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Röntgendiagnostik des Gebersterns in ultrakompakten Röntgendoppelsternen

Ultrakompakte Röntgendoppelsterne sind eine kleine aber faszinierende Unterklasse von Röntgendoppelsternen mit geringer Masse, bei denen der Geberstern ein Weißer Zwerg ist – der Überrest eines mäßig massereichen normalen Sterns. Um die Entstehung und Entwicklung dieser Systeme zu verstehen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Art des Gebersterns zu bestimmen, der entweder aus Helium oder aus Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen kann. MPA-Wissenschaftler schlagen nun eine prinzipiell neue Methode vor – die sie bereits an XMM-Newton-Beobachtungen getestet haben – um diese Frage mit Hilfe von Röntgenspektroskopie zu beantworten.

Abb. 1: Künstlerische Darstellung eines akkretierenden „LMXBs“ („low mass X-ray binaries“). Der Geberstern füllt seine sogenannte Roche-Keule aus und Material fließt durch den inneren Lagrangepunkt auf seinen Begleiter (in diesem Fall ein schwarzes Loch). Aufgrund des großen Drehimpulses des einfallenden Materials bildet sich eine Akkretionsscheibe um das kompakte Objekt. Credit: ESA 2002/medialab

Abb. 2: Skizze des zentralen Bereichs (~1000 Gravitationsradien) in einem LMXB im sogenannten "harten Zustand". Der innere Teil des Akkretionsflusses besteht aus heißem und dünnen, auch optisch dünnen Plasma. Die Comptonisierung der niederfrequenten Strahlung in der Plasmawolke ist der Hauptmechanismus für die Entstehung des Spektrums in diesem Stadium. Ein Teil der Strahlung beleuchtet die Akkretionsscheibe und den Geberstern. Diese wird dadurch wiederaufbereitet, wodurch die sogenannte „reflektierte Komponente“ (siehe Abb. 3) entsteht.

Abb. 3: Das Spektrum der reflektierten Komponente für eine Akkretionsscheibe mit solaren Häufigkeiten. Neben dem reflektierten Kontinuum, das durch Comptonstreuung an Elektronen entsteht, gibt es Absorptionskanten und die Fluoreszenzlinien einiger Elemente. Außerdem ist auch das Comptonisierte Kontinuum gezeigt, dass durch die heiße Plasmawolke in der Nähe des kompakten Objekts (siehe Abb. 2) erzeugt wird. Ein Beobachter auf der Erde würde die Summe beider Emissionen empfangen.

Sogenannte „LMXBs“ („low mass X-ray binaries“, Röntgendoppelsterne mit geringer Masse) sind Doppelsternsysteme aus einem relativistischen Objekt – einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch – und einem normalen, wenig massereichen Stern wie unserer Sonne (siehe Abb.1). Wenn der Abstand zwischen den beiden Objekten vergleichbar mit der Größe des normalen Sterns wird (der 100 000 Mal größer ist als sein relativistischer Begleiter), so kann er sein Roche-Volumen ausfüllen – die Region, in der Dynamik der Materie durch die gravitative Anziehung des Sterns dominiert wird. Deshalb beginnt der Stern seine äußeren Schichten aufgrund der Anziehung des zweiten Sterns zu verlieren. Material geht hauptsächlich durch den sogenannten inneren Lagrange-Punkt verloren – den Punkt auf der Verbindungslinie der beiden Sterne, an denen sich die Gravitation und die Fliehkraft gegenseitig aufheben. Das Material des Gebersterns fliesst durch diesen Punkt und fällt in das Gravitationspotential des relativistischen Sterns – der „Akkretion“ genannte Prozess kommt in Gang. Wegen des großen Drehimpulses bildet das einfallende Material eine Akkretionsscheibe um das relativistische Objekt (Abb. 1). Die klassische Theorie der Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher und Neutronensterne wurde 1972 von Nikolai Shakura und Rashid Sunyaev aufgestellt. Wegen der geringen Größe des relativistischen Objekts (~15 km für einen Neutronenstern) stellt die bei der Akkretion freigesetzte Gravitationsenergie einen nennenswerten Anteil an der Restmassenenergie des akkretierten Materials dar, typischerweise etwa 5-20%. Daher sind diese Systeme sehr leuchtkräftige Quellen von Röntgenstrahlung.

Bei einer kleinen, aber faszinierenden Untergruppe dieser LMXBs, den „UCXBs“ („Ultra-Compact X-ray Binaries“, extrem kompakte Röntgendoppelsterne), ist auch der Geber ein weißer Zwerg – der Überrest eines mäßig massereichen normalen Sterns. Diese Systeme sind extrem kompakt (daher ihr Name) und haben Umlaufzeiten von weniger als 40 Minuten; das schnellste hat sogar eine Periode von nur 11 Minuten.

Eine interessante Eigenschaft dieser Systeme ist, dass sich die chemische Zusammensetzung der Gebersterne radikal von der Zusammensetzung der Gebersterne unterscheidet, die in normalen LMXBs zu finden sind. Während die Gebersterne in normalen LMXBs eine chemische Zusammensetzung ähnlich der unserer Sonne haben, d.h. sie bestehen hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium mit kleinen Beimischungen von Metallen, ist bei den Gebersternen in UCXBs der Wasserstoff bereits aufgebraucht. Diese Gebersterne können aus der Asche des Wasserstoffbrennens (hauptsächlich Helium und Stickstoff), des Heliumbrennens (hauptsächlich Kohlenstoff und Sauerstoff) oder des Kohlenstoffbrennens (hauptsächlich Sauerstoff und Neon) bestehen.

Je nach dem speziellen Entwicklungspfad, der zur Entstehung des UCXBs führte, können diese Systeme viele verschiedene Arten von Gebersternen haben, die von nichtentarteten Heliumsternen bis zu Weißen Zwergen reichen. Es ist von entscheidender Bedeutung, zwischen diesen Möglichkeiten zu unterscheiden, um die Prozesse verstehen zu können, die zur Entstehung von UCXBs führten und auch ihre weitere Entwicklung kontrollieren. Bisher wurden hierfür Methoden der optischen Astronomie genutzt, mit durchwachsenem Erfolg.

Wissenschaftler am MPA schlagen nun eine prinzipiell neue Methode vor, um die Frage nach der Natur des Gebersterns in UCXBs mit Hilfe der Röntgenspektroskopie zu beantworten.

Die Methode nutzt ein Phänomen, dass als Röntgenreflektion bezeichnet wird. Ein Teil der Emission, die nahe des kompakten Objekts produziert wird, beleuchtet die Akkretionsscheibe und den Geberstern (siehe Abb. 2) und wird von diesem Material wiederaufbereitet. Die Hochenergie-Astrophysiker bezeichnen diese Emission als die „reflektierte Komponente“. Ein Beispiel eines derartigen Spektrums in Abb. 3 gezeigt.

Zusätzlich zu dem Kontinuum, das durch Comptonstreuung an Elektronen in der Akkretionsscheibe erzeugt wird, enthält diese Komponente eine Reihe von charakteristischen Linien von chemischen Elementen, die in dem akkretierten Material vorhanden sind. Diese Linien werden durch Fluoreszenz erzeugt und haben wohlbekannte Energien, die für jedes Element einzigartig sind. Die Art und relative Stärke dieser Linien enthalten Informationen über die Geometrie des Akkretionsflusses und die chemische Zusammensetzung des Materials.

Die reflektierte Komponente wird stark durch die Primäremission geschwächt, dadurch sind die Fluoreszenzlinien der meisten Elemente sehr schwach und nur schwer nachzuweisen. Eine Ausnahme stellt die Eisenlinie dar, die für neutrales Eisen bei 6.4 keV liegt. Durch die große Fluoreszenzausbeute und die Häufigkeit von Eisen ist dies das hellste spektroskopische Merkmal in einem anderweitig relativ glatten Kontinuum. Bei allen normalen LMXBs kann diese Linie leicht in ihrem Röntgenspektrum beobachtet werden.

Die Wiederaufbereitung der Röntgenstrahlung durch die Akkretionsscheibe und insbesondere die Form und Stärke der Eisenlinie wurden bereits seit den späten 1970er Jahren gründlich erforscht; alle früheren Arbeiten konzentrierten sich aber auf Akkretionsscheiben mit sonnenähnlichen Häufigkeiten, wobei nur moderate Schwankungen der Elementhäufigkeiten in einigen wenigen Veröffentlichungen berücksichtigt wurden. MPA-Wissenschaftler haben nun die ersten Schritte unternommen, um die Röntgenreflexion in Wasserstoff-armem Material zu modellieren, mit anomalen Häufigkeiten wie sie in den Akkretionsscheiben von UCXBs erwartet werden. Das Modell, das mit Hilfe eines Monte-Carlo-Verfahrens entwickelt wurde, ist die erste Simulation der Reflexionsspektren von C/O-, O/Ne/Mg- oder Helium-reichen Scheiben.

Mit diesen Simulationen kamen die Wissenschaftler zu einem paradoxen Ergebnis: die stärkste und am einfachsten zu beobachtende Auswirkung des Wasserstoff-armen und C/O-reichen Materials ist nicht das Auftreten von starken Fluoreszenzlinien von Kohlenstoff und Sauerstoff, wie man vielleicht erwartet hätte, sondern das fast vollständige Verschwinden der Fluoreszenzlinie von Eisen! Der Grund hierfür ist das Abschirmen der Linie durch den reichlich vorhandenen Kohlenstoff und Sauerstoff.

In neutralem Material mit solaren Elementhäufigkeiten ist der wahrscheinlichste Prozess für ein Photon, dessen Energie 7,1 keV – der Energiegrenze für Photoionisation der K-Schalen-Elektronen in Eisen - übersteigt, die Absorption in Eisen. Dieser Photoionisation folgt in etwa einem Drittel der Fälle die Emission eines Fluoreszenzphotons mit einer Energie von 6,4 keV. Deshalb werden die meisten Photonen oberhalb dieser Energie bei Eisen absorbiert und tragen zu dieser Fluoreszenzlinie bei.

Demgegenüber macht in einem C/O- oder O/Ne/Mg-dominierten Weißen Zwerg, die überwältigende Häufigkeit von Sauerstoff dieses Element zum dominierenden Absorber, selbst bei Energien weit jenseits der eigenen K-Kante. Damit bleiben nur wenige Photonen übrig für die Fluoreszenz von Eisen. Und auch wenn die dabei produzierte Fluoreszenzlinie von Sauerstoff dadurch erheblich verstärkt wird, bleibt sie stark durch das Kontinuum geschwächt und schwer zu beobachten. Ein sehr viel leichter sichtbarer Effekt ist das Verschwinden der Eisenlinie.

Helium, andererseits, kann das Eisen nicht abschirmen, da es eine sehr viel kleinere elektrische Ladung trägt und deshalb auch einen kleineren Wirkungsquerschnitt bei der K-Kante von Eisen besitzt. Deshalb läuft bei einem Helium-reichen Geberstern die Reflektion „normal“ ab und die Eisenlinie hat ihre nominale Stärke.

Diese Ergebnisse eröffnen die aufregende Möglichkeit mithilfe von Röntgenspektroskopie zwischen Helium- und Sauerstoff-reichen Gebersternen zu unterscheiden. Die MPA-Wissenschaftler kalibrierten ihre Methode mit aufwändigen Monte-Carlo-Simulationen, untersuchten die Abhängigkeit von der Leuchtkraft und schlagen Beobachtungstests vor. Sie verwendeten Daten des XMM-Newton-Satelliten um die Ergebnisse der theoretischen Rechnungen zu überprüfen, indem sie Beobachtungen mit UCXBs auswerteten, bei denen die Art des Gebersterns bereits bekannt war. Außerdem geben sie vorläufige Identifikationen der Gebersterne in etlichen Systemen an, bei denen deren Natur bislang unbekannt war.

Filippos Koliopanos and Marat Gilfanov


References:

1. Koliopanos F., Gilfanov M., Bildsten L., 2013, linkPfeilExtern.gifMNRAS, 432, 1264

2. Koliopanos F., Gilfanov M., Bildsten L., M.Diaz Trigo, linkPfeilExtern.gif2014 MNRAS


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Letzte Änderung: 31.10.2014