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Sogenannte „LMXBs“ („low mass X-ray binaries“, Röntgendoppelsterne mit geringer
Masse) sind Doppelsternsysteme aus einem relativistischen Objekt – einem
Neutronenstern oder Schwarzen Loch – und einem normalen, wenig massereichen
Stern wie unserer Sonne (siehe Abb.1). Wenn der Abstand zwischen den beiden
Objekten vergleichbar mit der Größe des normalen Sterns wird (der 100 000 Mal
größer ist als sein relativistischer Begleiter), so kann er sein Roche-Volumen
ausfüllen – die Region, in der Dynamik der Materie durch die gravitative
Anziehung des Sterns dominiert wird. Deshalb beginnt der Stern seine äußeren
Schichten aufgrund der Anziehung des zweiten Sterns zu verlieren. Material geht
hauptsächlich durch den sogenannten inneren Lagrange-Punkt verloren – den Punkt
auf der Verbindungslinie der beiden Sterne, an denen sich die Gravitation und
die Fliehkraft gegenseitig aufheben. Das Material des Gebersterns fliesst durch
diesen Punkt und fällt in das Gravitationspotential des relativistischen Sterns
– der „Akkretion“ genannte Prozess kommt in Gang. Wegen des großen Drehimpulses
bildet das einfallende Material eine Akkretionsscheibe um das relativistische
Objekt (Abb. 1). Die klassische Theorie der Akkretionsscheiben um Schwarze
Löcher und Neutronensterne wurde 1972 von Nikolai Shakura und Rashid Sunyaev
aufgestellt. Wegen der geringen Größe des relativistischen Objekts (~15 km für
einen Neutronenstern) stellt die bei der Akkretion freigesetzte
Gravitationsenergie einen nennenswerten Anteil an der Restmassenenergie des
akkretierten Materials dar, typischerweise etwa 5-20%. Daher sind diese Systeme
sehr leuchtkräftige Quellen von Röntgenstrahlung.
Bei einer kleinen, aber faszinierenden Untergruppe dieser LMXBs, den „UCXBs“
(„Ultra-Compact X-ray Binaries“, extrem kompakte Röntgendoppelsterne), ist auch
der Geber ein weißer Zwerg – der Überrest eines mäßig massereichen normalen
Sterns. Diese Systeme sind extrem kompakt (daher ihr Name) und haben
Umlaufzeiten von weniger als 40 Minuten; das schnellste hat sogar eine Periode
von nur 11 Minuten.
Eine interessante Eigenschaft dieser Systeme ist, dass sich die chemische
Zusammensetzung der Gebersterne radikal von der Zusammensetzung der Gebersterne
unterscheidet, die in normalen LMXBs zu finden sind. Während die Gebersterne in
normalen LMXBs eine chemische Zusammensetzung ähnlich der unserer Sonne haben,
d.h. sie bestehen hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium mit kleinen
Beimischungen von Metallen, ist bei den Gebersternen in UCXBs der Wasserstoff
bereits aufgebraucht. Diese Gebersterne können aus der Asche des
Wasserstoffbrennens (hauptsächlich Helium und Stickstoff), des Heliumbrennens
(hauptsächlich Kohlenstoff und Sauerstoff) oder des Kohlenstoffbrennens
(hauptsächlich Sauerstoff und Neon) bestehen.
Je nach dem speziellen Entwicklungspfad, der zur Entstehung des UCXBs führte,
können diese Systeme viele verschiedene Arten von Gebersternen haben, die von
nichtentarteten Heliumsternen bis zu Weißen Zwergen reichen. Es ist von
entscheidender Bedeutung, zwischen diesen Möglichkeiten zu unterscheiden, um die
Prozesse verstehen zu können, die zur Entstehung von UCXBs führten und auch ihre
weitere Entwicklung kontrollieren. Bisher wurden hierfür Methoden der optischen
Astronomie genutzt, mit durchwachsenem Erfolg.
Wissenschaftler am MPA schlagen nun eine prinzipiell neue Methode vor, um die
Frage nach der Natur des Gebersterns in UCXBs mit Hilfe der Röntgenspektroskopie
zu beantworten.
Die Methode nutzt ein Phänomen, dass als Röntgenreflektion bezeichnet wird. Ein
Teil der Emission, die nahe des kompakten Objekts produziert wird, beleuchtet
die Akkretionsscheibe und den Geberstern (siehe Abb. 2) und wird von diesem
Material wiederaufbereitet. Die Hochenergie-Astrophysiker bezeichnen diese
Emission als die „reflektierte Komponente“. Ein Beispiel eines derartigen
Spektrums in Abb. 3 gezeigt.
Zusätzlich zu dem Kontinuum, das durch Comptonstreuung an Elektronen in der
Akkretionsscheibe erzeugt wird, enthält diese Komponente eine Reihe von
charakteristischen Linien von chemischen Elementen, die in dem akkretierten
Material vorhanden sind. Diese Linien werden durch Fluoreszenz erzeugt und haben
wohlbekannte Energien, die für jedes Element einzigartig sind. Die Art und
relative Stärke dieser Linien enthalten Informationen über die Geometrie des
Akkretionsflusses und die chemische Zusammensetzung des Materials.
Die reflektierte Komponente wird stark durch die Primäremission geschwächt,
dadurch sind die Fluoreszenzlinien der meisten Elemente sehr schwach und nur
schwer nachzuweisen. Eine Ausnahme stellt die Eisenlinie dar, die für neutrales
Eisen bei 6.4 keV liegt. Durch die große Fluoreszenzausbeute und die Häufigkeit
von Eisen ist dies das hellste spektroskopische Merkmal in einem anderweitig
relativ glatten Kontinuum. Bei allen normalen LMXBs kann diese Linie leicht in
ihrem Röntgenspektrum beobachtet werden.
Die Wiederaufbereitung der Röntgenstrahlung durch die Akkretionsscheibe und
insbesondere die Form und Stärke der Eisenlinie wurden bereits seit den späten
1970er Jahren gründlich erforscht; alle früheren Arbeiten konzentrierten sich
aber auf Akkretionsscheiben mit sonnenähnlichen Häufigkeiten, wobei nur moderate
Schwankungen der Elementhäufigkeiten in einigen wenigen Veröffentlichungen
berücksichtigt wurden. MPA-Wissenschaftler haben nun die ersten Schritte
unternommen, um die Röntgenreflexion in Wasserstoff-armem Material zu
modellieren, mit anomalen Häufigkeiten wie sie in den Akkretionsscheiben von
UCXBs erwartet werden. Das Modell, das mit Hilfe eines Monte-Carlo-Verfahrens
entwickelt wurde, ist die erste Simulation der Reflexionsspektren von C/O-,
O/Ne/Mg- oder Helium-reichen Scheiben.
Mit diesen Simulationen kamen die Wissenschaftler zu einem paradoxen Ergebnis:
die stärkste und am einfachsten zu beobachtende Auswirkung des Wasserstoff-armen
und C/O-reichen Materials ist nicht das Auftreten von starken Fluoreszenzlinien
von Kohlenstoff und Sauerstoff, wie man vielleicht erwartet hätte, sondern das
fast vollständige Verschwinden der Fluoreszenzlinie von Eisen! Der Grund hierfür
ist das Abschirmen der Linie durch den reichlich vorhandenen Kohlenstoff und
Sauerstoff.
In neutralem Material mit solaren Elementhäufigkeiten ist der wahrscheinlichste
Prozess für ein Photon, dessen Energie 7,1 keV – der Energiegrenze für
Photoionisation der K-Schalen-Elektronen in Eisen - übersteigt, die Absorption
in Eisen. Dieser Photoionisation folgt in etwa einem Drittel der Fälle die
Emission eines Fluoreszenzphotons mit einer Energie von 6,4 keV. Deshalb werden
die meisten Photonen oberhalb dieser Energie bei Eisen absorbiert und tragen zu
dieser Fluoreszenzlinie bei.
Demgegenüber macht in einem C/O- oder O/Ne/Mg-dominierten Weißen Zwerg, die
überwältigende Häufigkeit von Sauerstoff dieses Element zum dominierenden
Absorber, selbst bei Energien weit jenseits der eigenen K-Kante. Damit bleiben
nur wenige Photonen übrig für die Fluoreszenz von Eisen. Und auch wenn die dabei
produzierte Fluoreszenzlinie von Sauerstoff dadurch erheblich verstärkt wird,
bleibt sie stark durch das Kontinuum geschwächt und schwer zu beobachten. Ein
sehr viel leichter sichtbarer Effekt ist das Verschwinden der Eisenlinie.
Helium, andererseits, kann das Eisen nicht abschirmen, da es eine sehr viel
kleinere elektrische Ladung trägt und deshalb auch einen kleineren
Wirkungsquerschnitt bei der K-Kante von Eisen besitzt. Deshalb läuft bei einem
Helium-reichen Geberstern die Reflektion „normal“ ab und die Eisenlinie hat ihre
nominale Stärke.
Diese Ergebnisse eröffnen die aufregende Möglichkeit mithilfe von
Röntgenspektroskopie zwischen Helium- und Sauerstoff-reichen Gebersternen zu
unterscheiden. Die MPA-Wissenschaftler kalibrierten ihre Methode mit aufwändigen
Monte-Carlo-Simulationen, untersuchten die Abhängigkeit von der Leuchtkraft und
schlagen Beobachtungstests vor. Sie verwendeten Daten des XMM-Newton-Satelliten
um die Ergebnisse der theoretischen Rechnungen zu überprüfen, indem sie
Beobachtungen mit UCXBs auswerteten, bei denen die Art des Gebersterns bereits
bekannt war. Außerdem geben sie vorläufige Identifikationen der Gebersterne in
etlichen Systemen an, bei denen deren Natur bislang unbekannt war.
Filippos Koliopanos and Marat Gilfanov
References:
1. Koliopanos F., Gilfanov M., Bildsten L., 2013, MNRAS, 432, 1264
2. Koliopanos F., Gilfanov M., Bildsten L., M.Diaz Trigo, 2014 MNRAS
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