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  Aktuelle Forschung :: März 2009 Zur Übersicht

Galaxienhaufen als ferne Spiegel der Beschleunigung des Universums

Das Gas in Galaxienhaufen fungiert als Spiegel des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (Cosmic Microwave Background, CMB), der vom Urknall übrig gebliebenen Reststrahlung: Es zeigt uns, wie dieser Hintergrund sich in jüngster kosmologischer Zeit entwickelt hat. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) haben untersucht, wie ferne Galaxienhaufen den CMB widerspiegeln, bevor das Universum in die Phase der beschleunigten Ausdehnung eintrat, und was wir daraus lernen können.

Abb 1: Das Schaubild zeigt die Spiegelung der Strahlung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (CMB) durch zwei Galaxienhaufen: einen weit entfernten, für den der CMB noch keinen Beitrag des Integrierten Sachs-Wolfe-Effekts (ISW) hat, und einen nahe gelegenen, der das gesamte CMB-Signal widerspiegelt, das den Beitrag sowohl der letzten Streuung der CMB-Photonen als auch des ISW zum Anisotropiemuster des CMB enthält.

Abb 2: Das Anisotropiemuster des CMB gegen inverse Winkelskalen. Die durchgezogene und die gepunktete Linie entsprechen neueren Epochen, während die beiden gestrichelten Linien für eine ferne Vergangenheit in der Geschichte des Universums stehen. Der ISW tritt bei großen Winkelskalen nur in den noch nicht lange zurückliegenden Epochen auf: Ferne Galaxienhaufen spiegeln ihn nicht wider.

Abb 3: Die für die Durchführung einer ISW-Tomographie erforderlichen Abweichungen in der Korrektur der Eigenbewegung der Galaxienhaufen: Die schwarzen Kreise, Vierecke und Rauten stellen die Fehler dar, die für jeden Galaxienhaufen benötigt werden, für Populationen von mehr als 1-, 2- und 3-mal 1014 Sonnenmassen. Die roten Vierecke und grünen Kreise orientieren sich an den Vorhersagen für zwei unterschiedliche Untersuchungen von Galaxienhaufen durch die geplante Röntgenmission eROSITA.

Die kosmische Mikrowellenstrahlung wurde 370.000 Jahre nach dem Urknall freigesetzt, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Universum aufgrund der Rekombination transparent wurde und die letzte Streuung der CMB-Photonen stattfand. Seither hat das Licht des CMB das gesamte sichtbare Universum durchquert, bis es beim Beobachter angekommen ist. Es ist ein sehr isotropes Strahlungsfeld, das winzige Winkelabweichungen (von etwa einem Hunderttausendstel) in seiner Leuchtkraft und Polarisation aufweist, die größtenteils zum Zeitpunkt der letzten Streuung hervorgerufen wurden.

Zugleich gibt es aus Beobachtungen Hinweise, dass sich das Universum derzeit in einer Phase der beschleunigten Expansion befindet. Wenn dies zutreffen sollte, hätte es eine direkte Auswirkung auf die Gravitationspotentiale: Ein beschleunigtes Größenwachstum des Universums macht Potentialtöpfe in sehr großen Dimensionen flacher. Die CMB-Photonen, die diese Regionen durchqueren, hinterlassen einen Potentialtopf, der tiefer ist als zu dem Zeitpunkt, zu dem sie in die Region eintraten, das heißt die CMB-Photonen gewinnen an Gravitationsenergie. Die Menge an Energie, die gewonnen wird, hängt vom spezifischen Potentialtopf ab und ist nicht für alle CMB-Photonen gleich. Daher führt dieser Prozess sekundäre Anisotropien in den CMB ein, ein Vorgang, der als Integrierter Sachs-Wolfe-Effekt (ISW) bekannt ist. Dieser Prozess sollte beginnen, wenn das Universum ungefähr 6 - 8 Gyr alt ist (oder, gleichwertig, bei Rotverschiebungen im Bereich z ~ 0,6 - 1).

Die MPA-Wissenschaftler Carlos Hernandez-Monteagudo und Rashid Sunyaev untersuchten, wie Galaxienhaufen, die sich in unterschiedlichen Entfernungen befinden, die CMB-Anisotropien zu unterschiedlichen Epochen spiegeln und führten auf diese Weise eine Tomographie des späten ISW-Effekts durch. Galaxienhaufen sind die größten Strukturen im Universum und enthalten Elektronenplasma, das mit der CMB-Strahlung auf unterschiedliche Weise interagiert. Insbesondere verwischen die Elektronen die CMB-Anisotropien an der Position des Galaxienhaufens, indem sie die CMB-Photonen von der Sichtlinie streuen. Dieses Verwischen ist in der Tat empfindlich auf das CMB-Anisotropiefeld am Ort der Streuung und spiegelt gewissermaßen das CMB-Anisotropiemuster der jeweiligen kosmologischen Epoche wider. Wenn dieses Verwischen in Galaxienhaufen gemessen werden kann, die sich in unterschiedlichen Rotverschiebungsbereichen befinden (zwischen 0,1 und 1,3), dann sollte es beschreiben, wie der ISW in letzter Zeit aufgetreten ist (siehe Abbildung 1). Der ISW führt große Winkelanisotropien ein, also sollte ein typischer kalter oder heißer ISW-Punkt durch eine relativ große Anzahl von Galaxienhaufen geprüft werden (wobei jeder davon unabhängige Fehler im geschätzten "gespiegelten" CMB hat).

Abbildung 2 zeigt die theoretischen Erwartungen für das Anisotropiemuster des CMB gegen inverse Winkelskalen ("l" ~ inverser Winkel ~ 1/Winkel). Dieser Verlauf zeigt die Menge der CMB-Intensitäts-Anisotropie für jedes inverse Winkelmaß "l". Gegenwärtig (durchgezogene Linien) gibt es einen Überschuss an Energie bei hohen Winkelskalen aufgrund des ISW-Effekts. Dieser Effekt verschwindet bei früheren Epochen (vgl. die beiden gestrichelten Linien). Das obere Bild zeigt das Anisotropiemuster, gesehen von nahen (durchgezogene und gepunktete Linie) und fernen (zwei gestrichelte Linien) Galaxienhaufen, während das untere Bild die Projektion der Signale zeigt, die von Galaxienhaufen auf einen lokalen Beobachter gespiegelt werden. Wir sehen, dass der CMB, wenn er von Haufen gespiegelt wird, die sich in zunehmenden Rotverschiebungsbereichen befinden, geringere Anzeichen des ISW-Effekts haben sollte.

Elektronen in Haufen interagieren mit der CMB-Strahlung jedoch über zwei weitere Wege. Es gibt einen thermischen Weg, der den Energietransfer von heißen Elektronen zur CMB-Strahlung darstellt, aber dieser Wert wird Null für eine bestimmte Beobachtungsfrequenz. Es gibt auch einen kinetischen Weg, der aufgrund der Eigenbewegung von Haufen hinsichtlich der CMB-Strahlung entsteht. Der Beitrag dieser Quelle kann mit minimaler Kenntnis der Eigenbewegung des Haufens herausgenommen werden. Abbildung 3 zeigt die Abweichungen, die erforderlich sind, um die Eigenbewegungen einzelner Haufen zu bekommen und den Beginn des ISW-Effekts messen zu können.

Diese Untersuchung liefert einen weiteren Grund, CMB-Anisotropien entlang der Richtung von Galaxienhaufen genau zu vermessen, ein Weg, der von der Forschung derzeit intensiv begangen wird.


Carlos Hernandez-Monteagudo, Rashid A. Sunyaev; Übersetzung: Mona Clerico


Veröffentlichung:

Carlos Hernandez-Monteagudo & Rashid A. Sunyaev, "Galaxy Clusters as Distant Probes of Gravitational Potential Decay", 2009, eingereicht bei Astronomy & Astrophysics



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Letzte Änderung: 23.2.2009