Wandersterne im intergalaktischen Raum: Hinweis auf eine bewegte Geschichte von Galaxienhaufen

Nicht alle Sterne in einem Galaxienhaufen sind in Galaxien zu finden, viele von ihnen schweben einfach im intergalaktischen Raum, ohne an eine bestimmte Galaxie gebunden zu sein. Woher kommen sie, wie ist diese Population von Sternen entstanden? Indem sie fast 700 Galaxienhaufen im Sloan Digital Sky Survey untersucht haben, haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik nun zum erstenmal systematisch die Eigenschaften dieser mysteriösen Komponente vermessen. Die Ergebnisse enthüllen wichtige Indizien auf die gewaltigen Prozesse die Galaxienhaufen formen und stellen eine wertvolle Meßgröße für theoretische Modelle dar.

Abb. 1: Ein ausgedehnter Galaxienhaufen, der für die hier vorgestellte Analyse herangezogen wurde. Die nicht scharf begrenzten weiß-gelben Objekte sind Galaxien, die zum Cluster gehören. Alles andere sind Vordergrund- und Hintergrundobjekte, unter anderem zwei helle Sterne. Das eigentliche Intraclusterlicht ist in einer einzigen solchen Aufnahmen nicht zu sehen, aber die Kombination von einigen hundert bringt es zum Vorschein, sodaß es zuverlässig gemessen werden kann, wie im Text erklärt.

Abb. 2: Der nahe Galaxienhaufen Abell 1367 auf frischer Tat ertappt, bei der Erzeugung intergalaktischer Sterne: zwei Arme aus Gas und Sternen gehen von den zwei Galaxien links und rechts unten aus, wahrscheinlich aufgrund eines von Gezeitenkräften ausgelösten Ereignisses, das sich vor etwa 50 Millionen Jahren abgespielt hat. (Mit freundlicher Genehmigung von Peppo Gavazzi, Universita di Milano Bicocca)

Galaxienhaufen (engl.: cluster) sind große Ansammlungen von einigen dutzend bis zu tausenden von Galaxien, zusammengehalten von ihrer gegenseitigen gravitativen Anziehung, welche sich über mehrere Millionen Lichtjahre erstrecken. Im sichtbaren Licht sieht ein typischer Galaxienhaufen wie der in Abb. 1 aus. Anscheinend kommt alles Licht das wir sehen von Sternen, die zu einer der Galaxien gehören. Allerdings wurde schon vor langem erkannt, daß auch der intergalaktische Raum mit einem diffusen Sternlicht erfüllt ist. Fritz Zwicky berichtete 1951, "riesige und oftmals sehr irreguläre Schwärme von Sternen und anderer Materie existieren in den Räumen zwischen den konventionellen elliptischen, spiralförmigen und irregulären Galaxien" aus denen sich einer der größten bekannten Galaxienhaufen im Sternbild Coma Berenices zusammensetzt. Auch wenn diese Behauptung wohl eher die grundlegende Überzeugung des schweizer Astronomen als eine tatsächliche Detektion auf dem relativ schlechten photographischen Material jener Zeit darstellen dürfte, so wurde dennoch das Vorhandensein diffusen Sternlichtes von einigen neueren Beobachtungen in den letzten Jahren bestätigt. Tatsächlich werden solche Beobachtungen durch die von Natur aus sehr schwache Flächenhelligkeit dieses Interclusterlichtes (ICL) ernsthaft erschwert: der Lichtintensität pro Einheitsfläche ist ungefähr um einen Faktor 1.000 schwächer als diejenige von normalen Galaxien und ungefähr um den selben Faktor schwächer, als was wir vom normalen "dunklen" Nachthimmel erhalten. Bisher konnte nur für eine handvoll Galaxienhaufen (weniger als 40) eine erfolgreiche Beobachtung mittels sehr langer Belichtungen und extrem sorgfältiger Datennachbearbeitung durchgeführt werden. Jedoch reicht das nicht aus, um den Ursprung und die Rolle des ICL für die Galaxienhaufenentstehung zu verstehen. Eine systematische Beschreibung des ICL wird daher dringend benötigt.

Am Max-Planck-Institut für Astrophysik haben wir vor kurzem eine neuartige Technik entwickelt (siehe auch linkPfeil.gif"Sternhalos um Galaxien"), welche es uns erlaubt, die Aufnahmen von einigen hundert Galaxienhaufen derart zu kombinieren, daß sich daraus eine deutlich höhere Beobachtungsempfindlichkeit ergibt. Die Bilder werden übereinandergelegt (engl.: stacking), nachdem alle Galaxien im Cluster ausmaskiert wurden, ebenso wie alle unerwünschten Fremdlichtquellen, die sich im Gesichtsfeld befinden (wie etwa Vordergrundsterne und weitere Galaxien). Auf diese Weise erhalten wir ein Bild, in dem ausschließlich das diffuse ICL sich von einem extrem glatten und gleichmäßig ausgeleuchteten Hintergrund abhebt, wodurch es mit bisher unerreichter Präzession gemessen werden kann - über einen Bereich von vier Größenordnungen in der Flächenhelligkeit. Desweiteren entspricht der gemessene Wert der mittleren Lichtemission einer statistisch repräsentativen Stichprobe, was es ermöglicht, allgemeingültige Eigenschaften abzuleiten.

Die riesige Beobachtungsdatenbank, auf der diese Studie basiert, wurde vom linkPfeilExtern.gifSloan Digital Sky Survey zur Verfügung gestellt. Auf ungefähr 1.500 Quadratgrad am Himmel haben wir 683 Galaxienhaufen im Rotverschiebungsbereich z=2 bis z=3 identifiziert, deren Aufnahmen in drei verschiedenen Filterwellenlängen für unsere Stacking-Technik verwendet wurden. Aufgrund unserer Analyse können wir nun sagen, daß ein bedeutender Teil (17%) der optischen Helligkeit eines Galaxienhaufens von intergalaktischen Sternen ausgemacht wird, und zwar anscheinend unabhängig von den globalen Clustereigenschaften. Das bedeutet z.B., daß Galaxienhaufen, die mehr oder hellere Galaxien haben, auch mehr intergalaktische Sterne besitzen. Deren Verteilung spiegelt allerdings nicht die der Galaxien wieder: intergalaktische Sterne sind relativ häufiger im Clusterzentrum vertreten, als in den Randbereichen. Andererseits weisen unsere Daten eindeutig darauf hin, daß diese Sterne jenen in Galaxien sehr ähnlich sind, was ihre chemische Zusammensetzung und ihr Alter betrifft. Diese und andere, komplexere Analysen weisen darauf hin, daß intergalaktische Sterne tatsächlich in Galaxien geboren wurden. Der Grund dafür, warum sie irgendwann den Ort ihrer Geburt verlassen haben, um sich auf eine Reise ohne Ziel zu machen, liegt sehr wahrscheinlich in den extremen Wechselwirkungen, denen Galaxien in der Enge eines Galaxienhaufens ausgesetzt sind. Starke Gezeitenkräfte, die eine Galaxie strecken oder sogar zerreißen, wiederholte nahe Begegnungen mit Artgenossen oder die Verschmelzung zweier Galaxien, sind Ereignisse, die eine große Anzahl dieser ungebundenen Sterne produzieren können, umso effizienter, je weiter man sich dem Clusterzentrum nähert.

Unsere Ergebnisse stellen einen wichtigen Beitrag zur Enträtselung der relevanten physikalischen Mechanismen in Galaxienwechselwirkungen dar. Zum erstenmal haben wir genaue quantitative Beobachtungen zur Verfügung, wie groß der "Schaden" ist, den Galaxien bei ihren gravitativen Wechselwirkungen erleiden. Diese Erkenntnisse können nun den Modellen zur Bildung und Enstehung von Galaxien gegenübergestellt werden.


Stefano Zibetti

Literatur:

Zibetti, S., White, S.D.M., Schneider, D.P., Brinkmann, J., Intergalactic stars in z ~ 0.25 galaxy clusters: systematic properties from stacking of Sloan Digital Sky Survey imaging data, MNRAS submitted

Zibetti, S, and White, S.D.M., Intracluster light at z ~ 0.25 from SDSS imaging data, in the proceedings of "IAU Colloquium 195 - Outskirts of galaxy clusters: intense life in the suburbs - Torino, Italy - March 12-16, 2004", astro-ph/0404326