Die Verteilung atomaren Gases in Galaxien – Beobachtung und Theorie

Wie verläuft die Akkretion von kaltem Gas in Galaxien? Beobachter und Theoretiker am MPA untersuchten nun gemeinsam die radiale Verteilung von atomarem Gas in ungewöhnlich gasreichen Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft. Dabei fanden sie heraus, dass das Gas in den äußeren Bereichen der beobachteten Galaxien ein universelles radiales Profil besitzt; außerdem zeigte sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung der Beobachtungen mit Simulationen. Bei der Hälfte der Galaxien könnte das atomare Gas in der Form von "Ringen" akkretiert werden.

Abb. 1: Zwei Galaxien, deren Gasscheiben sehr unterschiedliche Morphologien aufweisen. Von links nach rechts: die Konturen der beobachteten Säulendichte für das neutrale Wasserstoffgas überlagert auf optischen Bildern aus dem Sloan Digital Sky Survey, der neutrale Wasserstoff selbst, sowie Geschwindigkeitskarten des neutralen Wasserstoffs.

Abb. 2: Die gemittelten Radialprofile der verschiedenen Galaxien bei Beobachtungen (blau: gas-reich, grün: normal, rot: gas-arm). Bei allen Galaxien wurde der Radius auf den Radius R1 skaliert, bei dem das Gas eine Oberflächendichte von einer Sonnenmasse / Quadrat-Parsec erreicht. Die beobachteten Profile (links) können mit den Ergebnissen von semi- analytischen Modellen (SAM, Mitte) und Ergebnissen der hydrodynamischen Simulationen (SPH, rechts) verglichen werden.

Abb. 3: Ein extremer Fall, bei dem Gas in Form eines Ringes akkretiert wird. Diese simulierte Galaxie bei einer Rotverschiebung von z~0.5 ist das Ergebnis einer hydrodynamischen Simulation.
(Bild zur Verfügung gestellt von Michael Aumer)

Jeder angehende Astronom lernt, dass Sterne in Galaxien aus riesigen Gaswolken entstehen. Die Details der Akkretion und der Verteilung dieses Gases in Galaxien ist jedoch noch unklar. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern am MPA und bei ASTRON in den Niederlanden beschloss deshalb gemeinsam das Bluedisk-Projekt durchzuführen, mit dem der neutrale Wasserstoff kartiert wird und zwar einmal in 25 sehr gasreichen Galaxien sowie in einer ähnlich großen Stichprobe von "Kontrollgalaxien" mit ähnlicher Masse, Größe und Entfernung, aber normalem Gasgehalt. Ihr wichtigstes Instrument hierbei war das Westerbork Synthesis Radio Telescope (WSRT) ergänzt durch aufwändige Computersimulationen (linkPfeil.gifAktuelle Forschung: Mai 2013).

In den letzten drei Jahrzehnten gab es bereits etliche Versuche, die Verteilung des kalten atomaren Gases in Galaxien mit Radio-Synthese-Teleskopen zu vermessen. Die ersten Analysen zeigten, dass das atomare Gas im Detail eine Vielzahl von unterschiedlichen Merkmalen aufweist. Diese können mit Unregelmäßigkeiten in der Galaxie in Verbindung gebracht werden, wie Spiralarmen, Ringen, Balken, Verzerrungen usw. Untersuchungen von größeren Stichproben ergaben auch grundlegende Skalierungsrelationen, die Hinweise auf die Mechanismen liefern, die die Entwicklung der Galaxien regeln.

Im Gegensatz zur Flächendichte der Sterne, die im Zentrum der Galaxie ansteigt und steil mit zunehmendem Radius abfällt, wird die radiale Verteilung des atomaren Gas zur Mitte hin oft flach oder sinkt sogar nahe dem Galaxienzentrum. In den äußeren Bereichen erstrecken sich die Gasscheiben in der Regel viel weiter nach außen als die stellaren Scheiben und lassen sich gut durch Exponentialfunktionen beschreiben.

Dank Verbesserungen bei der Instrumentierung des WSRT und der Datenanalyse konnten mit dem Bluedisk-Projekt deutlich niedrigere Säulendichten als bei bisherigen Surveys beobachtet werden, d.h. das Team war in der Lage, das Gas auch in Regionen zu vermessen, wo es eine geringe Dichte hat. Damit ist diese Stichprobe auch für den direkten Vergleich mit theoretischen Modellen gut geeignet. Beobachter und Theoretiker arbeiteten eng zusammen, um ihr Verständnis für die radiale Verteilung des kalten atomaren Gases zu verbessern und eine physikalische Erklärung für seine Struktur zu finden.

Die Studie zeigte eine interessante Besonderheit bei den Beobachtungen: in den Außenbereichen aller Galaxien folgt die Oberflächendichte des Gases einem homogenen Profil (sofern die Größen der Gasscheiben korrekt skaliert werden). Das Profil kann gut durch eine Exponentialfunktion mit einer universellen Skalenlänge parametrisiert werden. Dieses universelle Profil scheint für alle Galaxien zu gelten, unabhängig von ihren stellaren Eigenschaften, ihrer Gasmasse, Größe oder Morphologie (siehe Beispiele in Abbildung 1). Dies ist bemerkenswert, weil die gasreichen Galaxien im Schnitt das 10-fache an Gas enthalten wie die Kontrollgalaxien.

Darüber hinaus fand das Team eine überraschend gute Übereinstimmung zwischen dem beobachteten, universellen Profil und Ergebnissen von Galaxiensimulationen, sowohl für kosmologische hydrodynamische Mehrteilchensimulationen mit der „Smoothed Particle Hydrodynamics“-Methode als auch für semi-analytische Modelle der Entstehung von Scheibengalaxien (siehe Abbildung 2). Es ist allerdings rätselhaft, warum die Übereinstimmung mit den kosmologischen Simulationen dermaßen gut ist.

In den semi-analytischen Modellen folgt die universelle Form der äußeren Radialprofile direkt aus der Annahme, dass das einfallende Gas immer exponentiell verteilt ist. Allerdings gibt es bei den Beobachtungen Hinweise darauf, dass das atomare Gas in Form von "Ringen" akkretiert werden könnte. Weitere theoretische Arbeiten sind deshalb im Gange, um zu versuchen mit den hydrodynamischen Simulationen besser zu verstehen, wie sich Gas in den simulierten Galaxien im Detail ablagert (siehe Abbildung 3).


Jing Wang & Guinevere Kauffmann


Originalpublikation:

Wang, J.; Fu, J., Aumer, M., Kauffmann, G., et al., "An observational and theoretical view of radial distribution of HI gas in galaxies", 2014, submitted to MNRAS linkPfeilExtern.gifhttp://arxiv.org/abs/1401.8164

Weiterführende Links:

linkPfeil.gif Das Bluedisk-Projekt