Ein detailliertes Modell der Gravitationslinsenwirkung im Galaxienhaufen MACS J1149.5+2223

Informationen aus Beobachtungen für die zentrale Massenverteilung von Galaxienhaufen sind ein wichtiger Test für die Natur der dunklen Materie. Sie enthalten außerdem wertvolle Hinweise auf die Entstehung und Entwicklung der Galaxienhaufen und ihrer hellsten Haufengalaxien. Wissenschaftler am MPA haben nun eine neue Technik verwendet, um die Massenverteilung des Galaxienhaufens MACS J1149.5+2223 auf ganz unterschiedlichen Längenskalen mit Hilfe des Gravitationslinseneffektes zu rekonstruieren. Sie fanden, dass dieser Galaxienhaufen einen ausgedehnten Kern besitzt und seine Massenprofil somit flacher ist als jenes, das man aufgrund von numerischen N-Teilchen-Simulationen kalter, dunkler Materie erwarten würde.

Abb. 1: Aufnahme des Galaxienhaufens MACS J1149.5+2223 mit dem Hubble-Weltraumteleskop. Mehrere Hintergrundgalaxien werden mehrfach abgebildet (durch Kreise gekennzeichnet). Ein besonders markantes Beispiel ist eine frontal sichtbare Spiralgalaxie; vergrößerte Bilder dieser Galaxie sind an der Seite eingefügt. (Von Rau et al. 2014)

Abb. 2: Konturen der Massenverteilung des Galaxienhaufens, einschließlich der skalierten Haufengalaxien für zwei verschiedene Modelle (blau: Positionsbasierte Modellierung, rot: Hybrid-Modellierung). Der graue Hintergrund zeigt die gleiche Beobachtung wie in Abb. 1, jedoch in nur einem Farbfilter (F555W). (Von Rau et al. 2014)

Abb. 3: Ergebnisse für die Helligkeitsmodellierung der mehrfach abgebildeten Spiralgalaxie. Die Abbildungen von links nach rechts sind die Mehrfach-Bilder 1.1, 1.2, 1.3.1 und 1.3.2. Die obere Reihe zeigt die Modellrekonstruktion, die mittlere Reihe die beobachteten Daten und die untere Reihe zeigt das Residuum (d.h. die Differenz zwischen Modell und Daten). (Von Rau et al. 2014)

Auf großen Skalen ist das Modell der kalten dunklen Materie bisher sehr erfolgreich, die beobachteten Eigenschaften des Universums zu beschreiben. Mit N-Körper-Simulationen konnten detaillierte Vorhersagen über die Entstehung und Entwicklung der Verteilung der dunklen Materie auf unterschiedlichen Skalen gemacht werden. Insbesondere erwartet man, dass die kalten Dunkle-Materie-Halos über einen weiten Massenbereich selbstähnlich sind und eine gut definierte Verteilung der Massendichte haben.

Der Gravitationslinseneffekt ist ein leistungsfähiges Werkzeug, um genau diese Verteilung der Gesamtmasse zu messen, und zwar vom Zentrum des Galaxienhaufens bis hin zu relativ großen Entfernungen. In Kombination mit anderen Messungen erlaubt es uns dieser Effekt daher, die Interaktion zwischen der dunklen Materie und den Baryonen im Galaxienhaufen zu untersuchen. Bei unserer Arbeit konzentrierten wir uns auf den Galaxienhaufen MACS J1149.5+2223, um ein robustes Modell für die Gesamtmasse über einen großen Bereich von Entfernungen hinweg zu erhalten.

Der Galaxienhaufen MACS J1149.5+2223 (bei einer Rotverschiebung von 0,544) wurde zunächst durch die "Massive Cluster"-Studie entdeckt und wirkt als starke Gravitationslinse für mindestens fünf Galaxien (mit Rotverschiebungen zwischen 1,4 und 3,0), die auf mehr als 15 verschiedene Bilder abgebildet werden. Eine der gelinsten Galaxien ist eine eindrucksvolle, dreifach abgebildete Spiralgalaxie, die zusätzlich von zwei Haufengalaxien in zwei Einstein-Ringe abgebildet wird (siehe Abbildung 1).

Bisherige Gravitationslinsenmodelle dieses Galaxienhaufens basierten auf der Rekonstruktion einer relativ begrenzten Anzahl der Bildpositionen einiger mehrfach abgebildeter heller Klumpen und auf einfachen Skalierungsrelationen für den Beitrag einzelner Haufengalaxien zum Linsensignal. Aufgrund dieser Einschränkungen wurden viele Details dieses Linsensystems nur ungenau reproduziert.

In unserer Arbeit verwenden wir stattdessen eine differenziertere Vorgehensweise. Wir modellieren alle fünf Haufengalaxien im Haufenzentrum, die nahe an gelinsten Bildern liegen, und verwenden hierfür individuelle Massenprofile. Bei den gelinsten Hintergrundgalaxien identifizieren wir doppelt so viele wichtige Punkte die das Modell einschränken wie bei früheren Modellen. Unsere fortschrittliche Technik zur Linsenmodellierung nutzt nicht nur Informationen über die Position der Mehrfachbilder, sondern auch deren gesamte Oberflächenhelligkeitsverteilung.

Die einzigartige Konfiguration dieses Linsensystem erlaubt es uns, insbesondere die Oberflächenhelligkeitsverteilung der großen zentralen Spiralgalaxie im Detail zu rekonstruieren. Darüber hinaus waren wir in der Lage, die Massenprofile für mehrere einzelne Haufengalaxien zu messen und das gesamte Massenprofil des Galaxienhaufens von seinem Zentrum bis hin zu einer Entfernung von 33 Bogensekunden von der hellsten Haufengalaxie (von 8 bis 80 kiloparsec) zu bestimmen.

Unser Modell zeigt einen ausgedehnten Kern (ca. 12 Bogensekunden) bei der Verteilung der dunklen Materie im Galaxienhaufen. Es zeigt außerdem, dass das gesamte Massenprofil im Zentrum von der hellsten Haufengalaxie dominiert wird. Die daraus ermittelte Steigung des dunklen-Materie-Profils von MACS J1149.5+2223 ist daher flacher als das Profil, das aufgrund von Simulationen mit rein kalter dunkler Materie (das Navarro, Frenk and White-Profil) erwartet wird. Dies deutet darauf hin, dass die Baryonen im Haufenzentrum die Verteilung der Dunklen Materie beeinflusst haben.

Stefan Rau, Simona Vegetti und Simon White.


References:

Lensing model of MACS J1149.5+2223, I. Cluster mass reconstruction Rau S., Vegetti S., White S. D. M. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 2014; 443:957-968, July 17, 2014 linkPfeilExtern.gifpaper at arxiv