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Gegenwärtig beschleunigt sich die Ausdehnung des Universums; der
Ursprung dieser Beschleunigung ist allerdings unbekannt. Dies könnte
entweder auf die so genannte "Dunkle Energie" - eine geheimnisvolle
Energiekomponente im Universum mit negativem Druck - zurückzuführen
sein, oder aber zeigen, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie
– die die Schwerkraft auf kosmologischen Skalen beschreibt – nicht
allgemein gültig ist. Um zwischen diesen beiden Erklärungen zu
unterscheiden, müssen Astronomen analysieren, wie sich die Strukturen
im Universum im Laufe der Zeit entwickeln.
Galaxienhaufen (siehe Abb. 1) nehmen an Masse zu, indem sie durch ihre
gravitative Anziehung Material aus ihrer Umgebung im Laufe der
kosmischen Geschichte ansammeln. Sie sind die größten bekannten,
gravitativ gebundenen Objekte im Universum und sind daher hervorragend
dazu geeignet, das Wachstum von großräumigen Strukturen
nachzuvollziehen - und dadurch Rückschlüsse auf den Ursprung der
kosmischen Beschleunigung zu ziehen. Dafür ist es allerdings notwendig
die Massen der Galaxienhaufen genau zu bestimmen. Obwohl diese Riesen
von unsichtbarer "dunkler Materie" dominiert werden, können wir ihre
Gesamtmasse aus Beobachtungen des Gases im Galaxienhaufen unter der
Annahme des hydrostatischen Gleichgewichts ableiten, d.h. wir nehmen
an, dass sich die Anziehungskraft der Gravitation und der Gasdruck,
oder genauer der Gradient des Gasdrucks die Waage halten.
Beobachtungen des Gases im Galaxienhaufen messen jedoch typischerweise
nur den thermischen Druck des Gases. Man weiß aber, dass der
nicht-thermische Druck, vor allem aus turbulenten Gasbewegungen, ein
zusätzliches Druckgefälle verursacht und daher ebenfalls
berücksichtigt werden muss. Vernachlässigt man diesen Beitrag, würde
die daraus abgeleitete Masse des Galaxienhaufens von der wahren Masse
abweichen und in der Folge würde dies auch die Rückschlüsse auf die
kosmische Beschleunigung beeinflussen.
Bisher wurde die Stärke des turbulenten Drucks vor allem mit großen
hydrodynamischen Computersimulationen abgeschätzt. Aktuelle
Simulationen ergeben jedoch quantitativ unterschiedliche Ergebnisse
bei Verwendung unterschiedlicher numerischer Verfahren. Darüber hinaus
sind sie rechnerisch sehr aufwendig und führen nicht zu einem direkten
physikalischen Verständnis dessen, was in den Galaxienhaufen passiert.
Deshalb entwickelten die Wissenschaftler am MPA einen anderen Ansatz
und lösten dieses Problem, indem sie physikalische Erkenntnisse
darüber heranzogen, wie Turbulenz im Gas des Galaxienhaufens entsteht
und sich anschließend in Wärme umwandelt. Daraus entwickelten sie ein
eindimensionales analytisches Modell des nicht-thermischen
Druckbeitrags, das die Geschwindigkeitsdispersion aufgrund von
Turbulenzen, die durch die oben erwähnt Massenzunahme entstehen, als
Funktion des Abstands zum Zentrum des Galaxienhaufens beschreibt.
Dieses neue analytische Modell sagt voraus, dass sich der
nicht-thermische Anteil am Gasdruck zu den Rändern des Haufens hin
erhöht, da es in größeren Entfernungen vom Galaxienhaufenzentrum
deutlich länger dauert, Turbulenzen abzubauen. Als eine weitere
Vorhersage sollte der nicht-thermische Druckanteil in Galaxienhaufen
mit größeren Massen und bei höherer Rotverschiebung (d.h. zu früheren
kosmischen Zeiten) größer sein, da sie schneller wachsen und dadurch
mehr Turbulenzen ausgelöst werden.
Mit Hilfe eines Modells für den Gesamtdruck kann man mit dem neu
entwickelten Modell auch den thermischen Druck sowie die daraus
abgeleitete Massenschätzung berechnen. Ein Vergleich mit Beobachtungen
von Galaxienhaufen zeigt, dass das vorhergesagte thermische
Druckprofil in sehr guter Übereinstimmung mit den Daten ist (Abb. 3).
Damit hat das neue Modell einen wichtigen Beobachtungstest
bestanden. Daneben stimmt es qualitativ mit Simulationsdaten
überein. Weitere spezielle Tests in Bezug auf die vorhergesagte
Abhängigkeit von Masse und Rotverschiebung werden sowohl mit
Beobachtungen und numerischen Simulationen durchgeführt werden. Wenn
alle Tests erfolgreich bestanden werden, kann das mit dem neuen Modell
gewonnene physikalische Verständnis dazu dienen, die Massen der
Galaxienhaufen genauer zu bestimmen. Galaxienhaufen können dann als
konkurrenzfähige Beobachtungsquelle für den Ursprung der kosmischen
Beschleunigung eingesetzt werden.
Xun Shi und Eiichiro Komatsu
Originalveröffentlichung:
Xun Shi, Eiichiro Komatsu,
"Analytical model for non-thermal pressure in galaxy clusters",
submitted to MNRAS
arXiv:1401.7657
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