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Abbildung 1:
Entwicklung der asymmetrischen Neutrinoemission im kollabierenden
Kern eines Sterns mit 11.2-facher Masse der Sonne. The Ellipsen
zeigen die gesamte Oberfläche des entstehenden Neutronensterns
(analog zu einer Weltkarte als ebener Projektion der Erdoberfläche).
Rot und Gelb bedeuten einen Überschuss von Elektronneutrinos
gegenüber Elektronantineutrinos, normiert auf den Mittelwert
für alle Richtungen; Blau steht für ein relatives Defizit von
Elektronneutrinos. Die Sequenz von Bildern zeigt anfänglich kleinere
Variationen zu einer Zeit von 0,148 Sekunden (linkes oberes Bild),
die dann nach und nach zu einer deutlichen hemisphärischen (dipolaren)
Asymmetrie bei 0,240 Sekunden verschmelzen (rechtes unteres Bild).
Der schwarze Kreis und das Kreuz markieren Emissionsmaximum und
-minimum, die dünne, dunkelgraue Linie deutet den Weg der langsam
driftenden Dipolrichtung an.
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Abbildung 2:
Blasen von "kochendem" und brodelndem heißen Gas, das den
(im Zentrum nicht sichtbaren) entstehenden Neutronenstern umgibt.
Trotz der extrem zeitabhängigen und dynamischen Veränderungen
der Strömungen heißer aufsteigender Materie und absinkender,
kühlerer Materie stellt sich eine hemisphärische Asymmetrie der
Neutrinoemission ein, die über viel längere Zeiten als die
Lebensdauer einzelner Blasen stabil erhalten bleibt.
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Abbildung 3:
Beobachtbare Asymmetrie der Neutrinoemission, gemittelt
über einen Zeitraum von 0,1 Sekunden. Analog zu Abb. 1 stellen die
Ellipsen alle möglichen Beobachtungsrichtungen dar. In den roten
Bereichen sehen Beobachter die stärkste Emission, wohingegen in den
blauen Gebieten minimale Emission empfangen wird. Während der
hemisphärische Unterschied der Summe von Elektronneutrinos und
-antineutrinos nur im Prozentbereich liegt (oben), betragen die
Differenzen bei Elektronneutrinos (mitte) und
Elektronantineutrinos (unten) individuell bis zu 20 Prozent des
Maximalwerts mit den jeweiligen Extrema in den entgegengesetzen
Hemisphären.
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Sterne mit mehr als zirka achtfacher Masse der Sonne beenden ihr Leben
in gigantischen Explosionen, sogenannten Supernovae. Diese spektakulären
Ereignisse gehören zu den energiereichsten und hellsten Erscheinungen im
Universum und können eine ganze Galaxie für Wochen überstrahlen.
Supernovae sind wichtige kosmische Quellen schwerer chemischer Elemente.
Sie schleudern nicht nur Kohlenstoff, Sauerstoff und Silizium in den
interstellaren Raum, nachdem diese über viele Millionen Jahre
im Innern der alternden Sterne erbrütet wurden, sondern
erzeugen auch Eisen und noch schwerere Elemente im Verlauf der Explosion.
Während der Großteil der Sternmaterie durch die Supernova
ausgeschleudert wird, kollabiert der Kern des sterbenden Sterns unter
seiner eigenen Schwerkraft zu einem ultrakompakten Überrest, einem
Neutronenstern. Diese wahrlich exotischen Objekte besitzen ungefähr die
eineinhalbfache Masse der Sonne, zusammengequetscht in eine Kugel
mit dem Durchmesser Münchens. Die zentrale Dichte in einem Neutronenstern
erreicht unvorstellbare 300 Millionen Tonnen (das Gewicht eines Berges)
im Volumen eines Zuckerwürfels und übersteigt damit die Dichte von
Atomkernen.
Die Materie in entstehenden Neutronensternen ist extrem heiß,
die Temperaturen können mehr als 500 Milliarden Grad betragen.
Bei derartigen Bedingungen erzeugen
Teilchenreaktionen von Neutronen, Protonen, Elektronen und Positronen
(den Antiteilchen der Elektronen) riesige Mengen von Neutrinos.
Daher kühlen neu geborene Neutronensterne durch die Abstrahlung von
rund 1058 dieser ungeladenen, fast masselosen Elementarteilchen,
die extrem selten mit irdischer Materie wechselwirken: Nur ein
einziges von einer Milliarde Neutrinos aus einer Supernova (oder
von der Sonne, die ebenfalls Neutrinos in einem nuklearen
"Fusionskraftwerk" in ihrem Zentrum erzeugt) kollidiert mit einem
Teilchen in der Erde, alle anderen fliegen ohne eine einzige
Wechselwirkung durch die Erde hindurch.
Neutronensterne emittieren Neutrinos und Antineutrinos aller drei
Flavors ("Geschmacksrichtungen"), die zu den drei bekannten
Familien geladener Leptonen gehören, nämlich Elektronneutrinos,
Myonneutrinos und Tauneutrinos. Diese Neutrinos sollten nach klassischer
Vorstellung in alle Raumrichtungen gleichförmig abgestrahlt werden,
weil Neutronensterne wegen ihrer gewaltigen Gravitationskräfte
nahezu perfekt kugelförmig sind. Die meisten bisherigen Computermodelle
für die Neutronensternentstehung haben daher Kugelsymmetrie angenommen.
Erst vor kurzem ist es aufgrund der wachsenden Leistungsstärke moderner
Supercomputer möglich geworden, die ersten dreidimensionalen Simulationen
unter Berücksichtigung der hochkomplexen Neutrinophysik durchzuführen (siehe hier ).
Wie erwartet ist die Neutrinoemission zunächst sphärisch, abgesehen
von kleineren, über die Oberfläche verteilten Variationen (siehe
Abb. 1, linkes oberes Bild). Diese Variationen entsprechen heißeren
und kühleren Regionen, die durch wildes "Kochen" und Brodeln der
heißen Materie in und um den Neutronenstern erzeugt werden, weil
Blasen heißen Gases aufsteigen und Strömungen kühleren Plasmas
nach innen sinken (Abb. 2). Allmählich aber wachsen die Gebiete mit
höheren und niedrigeren Temperaturen zu einer hemisphärischen
Anisotropie, so dass eine Halbkugel mehr Neutrinos abstrahlt als die
gegenüberliegende Seite. Eine stabile Dipolasymmetrie stellt sich
ein, die über lange Zeiten erhalten bleibt. Während die Emission
aller Neutrinos zusammen relativ kleine hemisphärische Unterschiede
im Prozentbereich aufweist (Abb. 3 oben), kann die Differenz zwischen
den Hemisphären bei Elektronneutrinos und -antineutrinos individuell
bis zu 20 Prozent des mittleren Wertes betragen (Abbn. 3 mitte , 3 unten).
Besonders ausgeprägt sind die Richtungsvariationen bei der Differenz
von Elektronneutrinos und -antineutrinos (Abb. 1, rechtes unteres Bild),
d.h. bei der sogenannten Leptonzahlemission.
Die Möglichkeit einer solchen globalen Anisotropie der Neutrinoabstrahlung
war nicht vorhergesagt worden und ihr Auftreten in den ersten
dreidimensionalen Simulationen der dynamischen Entstehung von
Neutronensternen ist ein völlig unerwartetes Ergebnis. Das Phänomen
zeigt erstaunliches Verhalten: Trotz des wilden Brodelns der "kochenden",
heißen Materie, welches rasche Variationen des Strömungsmusters
innerhalb und außerhalb des Neutronensterns zur Folge hat (Abb. 2),
bleibt der Unterschied der Neutrinoemission in beiden Hemisphären
über lange Zeiträume stabil bestehen und zeigt nur eine langsame
und moderate Verschiebung der räumlichen Richtung (siehe dünne,
dunkelgraue Linie in Abb. 1). Das Astrophysikerteam gab dem neuen
Phänomen daher den Namen "LESA" für Lepton-Emission Self-sustained
Asymmetry (deutsch: sich selbst erhaltende Leptonemissions-Asymmetrie),
denn der Emissionsdipol scheint sich durch komplizierte
Rückkopplungseffekte selbst zu stabilisieren und zu erhalten:
Die asymmetrische Neutrinostrahlung beeinflusst den Kollaps des
stellaren Kerns, so dass in beiden Hemisphären unterschiedlich
viel Materie auf den Neutronenstern fällt, was die anisotrope
Abstrahlung von Neutrinos unterstützt und verstärkt.
Dieses Ergebnis legt nahe, dass der kugelsymmetrische Kollaps eines
stellaren Kerns keine stabile Situation darstellt, sondern das
System eine neue, stabile Dipolasymmetrie annehmen möchte.
Falls LESA wirklich in kollabierenden stellaren Kernen auftritt,
hat dieses Phänomen wichtige Folgen für beobachtbare Erscheinungen
bei Supernovaexplosionen. Die vom Neutronenstern abgestrahlten
Neutrinos wechselwirken mit der aus dem innersten Zentrum der
Supernova ausgeschleuderten Materie und bestimmen dabei das
Verhältnis von Neutronen und Protonen in diesem Gas. Letzteres
ist entscheidend dafür, welche chemischen Elemente sich dann
später in den abkühlenden Ejekta bilden. Eine richtungsabhängige
Variation der Emission von Elektronneutrinos und -antineutrinos
wird daher zu unterschiedlicher Elemententstehung in verschiedenen
Richtungen führen. Außerdem tragen die anisotrop abgestrahlten
Neutrinos einen Impuls, der einen entgegengesetzten Rückstoß
auf den Neutronenstern verursacht. Wegen der gigantischen Zahl
entweichender Neutrinos genügt bereits eine kleine Asymmetrie
von nur einem Prozent, sollte sie über Sekunden aufrecht erhalten
bleiben, um den Neutronenstern auf rund 100 Kilometer pro Sekunde
zu beschleunigen. Auch der Neutrinoblitz, der die Erde von einer
zukünftigen galaktischen Supernova erreichen wird, muss dann
von der Beobachtungsrichtung abhängen. Zuverlässige Berechnungen
des Signals, das große Untergrundlabors wie IceCube am Südpol
und SuperKamiokande in Japan messen werden, sind daher nur unter
Berücksichtigung der Richtungsvariationen möglich, die von den
neuen dreidimensionalen Modellen vorhergesagt werden.
Jedoch ist die verblüffende neutrino-hydrodynamische Instabilität,
die sich im LESA-Phänomen manifestiert, noch nicht gut verstanden.
Viel mehr Forschung ist notwendig, um sicherzustellen, dass es sich
nicht um ein Artefakt der hochkomplexen numerischen Simulationen
handelt. Sollte der neue Effekt physikalisch real sein, stellt
er eine Entdeckung dar, die direkt durch den Einsatz modernster
Supercomputer bei der Berechnung eines nichtlinearen Systems
ermöglicht wurde, ohne dass dieses Phänomen durch theoretische
Überlegungen zuvor vermutet worden wäre.
Hans-Thomas Janka
Literatur:
Self-sustained asymmetry of lepton-number emission: A new phenomenon during the supernova shock-accretion phase in three dimensions;
Tamborra I., Hanke F., Janka H.-Th., Müller B., Raffelt G.G., Marek, A.;
Astrophys. Journal 792, 96 (2014),
http://arxiv.org/abs/1402.5418
Neutrino signature of supernova hydrodynamical instabilities in three dimensions;
Tamborra I., Hanke F., Müller B., Janka H.-Th., Raffelt G.;
Physical Review Letters 111, 121104 (2013),
http://arxiv.org/abs/1307.7936
Neutrino emission characteristics and detection opportunities based on three-dimensional supernova simulations;
Tamborra I., Raffelt G., Hanke F., Janka H.-Th., Müller B.;
Physical Review D 90, 045032 (2014),
http://arxiv.org/abs/1406.0006
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