Archäologie mit Sternspektren: Auf der Jagd nach Hinweisen zur Galaxie-Entstehung

100.000 Sterne sind ein ehrgeiziges Ziel für den Gaia-ESO-Survey, doch die ersten Ergebnisse sind bereits vielversprechend. Seit Dezember 2011 nimmt das VLT-Teleskop hochwertige Spektren von Sternen aus allen wichtigen Komponenten unserer Milchstraße auf. Kombiniert mit astrometrischen Messungen des Satelliten Gaia geben diese Daten einen Überblick über die Kinematik und die chemischen Häufigkeiten. Wissenschaftler am MPA haben bereits vorläufige Ergebnisse in Bezug auf den Magnesiumgehalt der Sterne erhalten, die die Vorhersagen von Modellen über die Entwicklung unserer Galaxie bestätigen, die radiale Migration der Sterne beinhalten.

Abb. 1: Der Gaia-ESO-Survey kombiniert spektroskopische Beobachtungen vom Boden (VLT) mit den astrometrischen Beobachtungen aus dem Weltraum (Gaia, 2013-2018).
© ESA/ESO

Abb. 2: Diese Karte zeigt die Abdeckung der Milchstraße.

Abb. 3: Verteilung des Magnesiumgehalts und der Metallizität für einen Teil der Sterne im Gaia-ESO-Survey. Die Farbe der Punkte deuten das Alter der Sterne an.

Eine der wichtigsten Aufgaben in der modernen Astrophysik besteht darin zu verstehen, wie sich Galaxien bilden und entwickeln. Beobachtungen ihrer leuchtenden Bestandteile, der Sterne, liefern für dieses Problem wichtige Informationen. In anderen Galaxien können wir einzelne Sterne fast nicht auflösen und erhalten damit nur über die Massen-Funktion integrierte Spektren. Bei der Milchstraße allerdings sind wir in einer einzigartigen Position: eines der massivsten Mitglieder der Lokalen Gruppe kann detailliert, von innen heraus, untersucht werden.

Moderne Teleskope sind in der Lage das Licht der Sterne aus allen galaktischen Komponenten aufzufangen: dem Bulge, der Scheibe und dem Halo. Mit den beobachteten Spektren und der Theorie der Sternentwicklung können wir die chemische Zusammensetzung und das Alter der Sterne bestimmen. Bei einem ausreichend großen Datensatz können wir dann auch rekonstruieren, wie sich die chemische Anreicherung in jeder der galaktischen Komponenten im Laufe der Zeit entwickelt, d.h. welche Nukleosyntheseprozesse stattgefunden haben und mit welcher Rate die schweren Elemente an das interstellare Medium abgegeben wurden. Diese Information wird von der stellaren Kinematik ergänzt und bildet auf Beobachterseite die Grundlage für Studien der chemo-dynamischen Entwicklung unserer Galaxie.

Der Gaia-ESO-Sternsurvey (GES) beruht auf genau dieser Idee und bietet mit bodengebundenen Teleskopen eine spektroskopische Ergänzung für die astrometrische Weltraummission Gaia (ESA). Für GES wurden 300 Nächte auf dem Very Large Telescope in Chile vergeben, die größte Zuteilung die je ein Projekt bei einem 8-10m-Teleskop erhalten hat. Damit können Spektren für etwa 100.000 Sterne aufgenommen werden, und zwar in einer Entfernung von bis zu 15 kpc. (Zum Vergleich: Die Entfernung der Sonne zum galaktischen Zentrum beträgt ca. 8 kpc oder 26.000 Lichtjahre.) Abb. 2 zeigt in einer Karte die Abdeckung der Milchstraße durch den Survey. Die Spektren werden einheitlich mit modernsten Modellen für Sternatmosphären und -entwicklung analysiert, um die Daten zu ergänzen. Durch die Möglichkeit, die detaillierte Chemie aller Sternpopulationen homogen und mit guter Statistik abzubilden, ist dieser Survey einzigartig.

Der komplette Datensatz wird ein enormes Potenzial haben, aber schon die ersten Ergebnisse sind bereits hoch interessant. Die vorläufige Analyse lieferte bereits detaillierte Messungen des Alter und der Metallizität von Sternen in der Umgebung der Sonne. Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Studien sind wir nun in der Lage, neue Dimensionen zu diesen Daten hinzufügen, wie zum Beispiel die Häufigkeiten von verschiedenen Elementen wie Magnesium (Mg).

Im Metallizitätsbereich -0.5 < [Fe/H] < 0.5, der typisch für die dünne Scheibe der Milchstraße ist, findet man Sterne im Alter zwischen 1 und 10 Milliarden Jahren. Je mehr die Metallizität aber abnimmt, umso älter werden die Sterne und die Häufigkeit der sog. Alpha-Elemente erhöht sich. Diese Elemente werden in Kernreaktionen gebildet, bei denen Alpha-Teilchen eingefangen werden. Daher ist das verstärkt auftretende Magnesium eine klare Signatur dafür, dass Kernkollaps-Supernovae die Anreicherung bei dieser stellaren Population dominieren. Aber auch Sterne mit niedrigeren, sonnenähnlichen [Mg/Fe]-Verhältnissen zeigen eine große Bandbreite in ihrem Alter (Abb. 3). Unterstützen diese Beobachtungen die gegenwärtige Auffassung, wie unsere Galaxie entstanden ist? Einige Modelle werden in der Tat durch diese Ergebnisse bestärkt, wie zum Beispiel die Modelle mit radialer Migration. Diese sagen eine erhebliche Streuung im Magnesium-Gehalt und beim Alter für eine gegebene Metallizität in der Scheibe voraus, wie es auch beobachtet wird.

Dies ist nur der Anfang. In ein paar Jahren wird GES ausreichend große, statistisch signifikante Datensätze gesammelt haben, um solide Aussagen über die Sternentwicklung und die chemische Anreicherung machen zu können. Dies wird zweifellos einen neuen Bezugspunkt bei der beobachtenden, galaktischen Astronomie setzen, vielleicht mit alten Paradigmen brechen und frische Ideen einbringen, um zu verstehen wie unsere Milchstraße entstanden ist.


Maria Bergemann und das Gaia-ESO-Survey-Team


Hinweis:

Das GES-Team umfasst mehr als 300 Co-PIs aus 90 Instituten weltweit. Das Projekt wird geleitet von G. Gilmore (IOA, Cambridge) und S. Randich (INAF- Arcetri). Das MPA wird von M. Asplund, M. Bergemann, K. Lind, A. Marino, G. Ruchti und A. Serenelli vertreten.

References:

Gilmore, Randich et al., ESO Messenger 147, 2012