Das Bluedisk-Projekt: Auf der Suche nach Hinweisen zur Entstehung von Scheibengalaxien

Wie bilden sich Sterne in Scheibengalaxien? Im Rahmen des Bluedisk Projekts beobachtete ein internationales Team von Astronomen das atomare Gas in einer Reihe von ungewöhnlich gasreichen nahen Galaxien. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Scheibengalaxien, mit einer Masse ähnlich der Milchstraße oder grösser, ihr Gas aktuell recht regulär akkretieren, ohne größere Wechselwirkungen mit anderen Galaxien.

Abb. 1: Das Westerbork Synthesis Radio Telescope in den Niederlanden.

Abb. 2: Beispiele für gasreiche (obere Reihe) und Kontrollgalaxien (untere Reihe). Die Konturen zeigen die Säulendichte für neutralen Wasserstoff an und sind optischen Bildern aus dem Sloan Digital Sky Survey überlagert. Alle Karten haben eine Größe von 140 kpc. Die äußere Kontur hat eine Säulendichte äquivalent zu der geschätzten Nachweisgrenze des gesamten neutralen Wasserstoffs im Bild.

Im Standardmodell für die Bildung von Scheibengalaxien geht man davon aus, dass Scheibengalaxien entstehen, wenn Gas abkühlt und im Zentrum eines Halos aus dunkler Materie kondensiert. In solchen Halos, die heute typische Spiralgalaxien enthalten wurden nur etwa 20 Prozent der verfügbaren Baryonen in Sterne umgewandelt. Deshalb sollte es ein großes Reservoir an Baryonen außerhalb der Galaxien geben. Theoretische Modelle sagen voraus, dass dieses Gas derzeit abkühlen und auf die zentrale Galaxie akkretieren sollte und damit zum Wachstum der Scheiben beiträgt. Allerdings fehlte bisher ein eindeutiger Beobachtungsnachweis für Gasakkretion und aktuelles Scheibenwachstum. Heißes, im Röntgenlicht strahlendes Gas wurde rund um die Milchstraße und um andere leuchtstarke Spiralgalaxien entdeckt, und wir wissen auch, dass Wolken aus neutralem Wasserstoff unsere Galaxie umgeben. Allerdings liefern Abschätzungen der Rate, mit der dieses Gas auf unsere Galaxie akkretiert, zu niedrige Werte, um die Sternentstehung in Galaxien wie unserer Milchstraße erklären zu können. Derzeit bildet unsere Galaxie neue Sterne mit einer Rate von wenigen Sonnenmassen pro Jahr. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz besteht darin, dass die Gasakkretion nicht kontinuierlich sondern episodisch verläuft.

Galaxien wie unsere Milchstraße bestehen zu etwa 10 Prozent aus Gas und zu 90 Prozent aus Sternen. Ein kleiner Anteil der Scheibengalaxien mit gleicher Gesamtmasse enthält allerdings bis zu 10-mal mehr Gas. Galaxien für das Bluedisk-Projekt wurden aus diesen gasreichsten Systemen im nahen Universum ausgewählt. Vorherige Arbeiten der gleichen Gruppe hatten ergeben, dass diese Galaxien äußere Scheiben mit sehr blauen Farben aufweisen, was auf eine aktive, fortlaufende Sternentstehung in diesen Regionen hinweist - eine Periode erneuten Wachstums, das möglicherwiese durch eine kürzliche Gasakkretion angetrieben wurde.

Um den Akkretionsprozess besser zu verstehen, verwendete ein internationales Astronomenteam, das von Guinevere Kauffmann und Jing Wang am MPA und Gyula Jozsa und Paolo Serra bei ASTRON geleitet wurde, das niederländische Westerbork Synthesis Radio Telescope (WSRT, siehe Abbildung 1), um Wasserstoff in 25 sehr gasreichen Galaxien zu beobachten. Gleichzeitig wurden auch eine ähnliche Anzahl von "Kontroll-Galaxien" mit ähnlichen Massen, Größen und Rotverschiebungen beobachtet. Abbildung 2 zeigt Beispiele für die beobachtete Verteilung von Wasserstoff. Die Beobachtungen erfolgten von Dezember 2011 bis Mai 2012.

Eines der bisher wichtigsten Ergebnisse ist, dass diese gasreichen Galaxien in der Tat sehr große Scheiben aus neutralem Wasserstoff besitzen, die viel größer sind als die stellaren Scheiben. In den extremsten Fällen haben diese Scheiben Durchmesser von bis zu 100 Kiloparsec und sind damit 3-4 mal größer als die stellaren Scheiben. Die Scheiben der gasreichen Galaxien sind außerdem deutlich klumpiger als die von normalen Spiralgalaxien (siehe die Galaxie oben links bei Abb. 2).

Bemerkenswerterweise haben diese enorm gasreichen Galaxien das gleiche Verhältnis von Gasmasse zu Ausdehnung wie normale Spiralgalaxien, d.h. das Gas ist über eine größere Scheibe verteilt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese großen Gasscheiben stark von einem Gleichgewichtszustand abweichen, weil sie weder einseitig unsymmetrisch noch stark gekippt sind. Tatsächlich ist das Zentrum der Wasserstoffverteilung in den gasreichen Galaxien näher am Zentrum des optischen Lichts als in normalen Spiralen.

Diese Ergebnisse scheinen dagegen zu sprechen, dass es vor kurzem eine größere Wechselwirkung mit anderen Galaxien gab, die für eine Gaszufuhr verantwortlich sein könnte. Das MPA/ASTRON-Team vermutet, dass das zusätzliche Gas mit sehr unterschiedlichem Drehimpuls und in einer relativ geordneten Weise akkretiert wurde. Möglicherweise ergibt sich diese "Ordnung" daraus, dass das Gas zunächst im Gleichgewicht mit dem umgebenden Halo war; diese Fragen müssen aber erst im Detail durch einen Vergleich der Beobachtungen mit hydrodynamischen Simulationen zur Scheibenentstehung in einem kosmologischen Kontext untersucht werden.

Das MPA/ASTRON-Team hofft, dass die Ergebnisse des Bluedisk-Projekts die Vorbereitungen für weitere, zukünftige groß angelegte Beobachtungskampagnen zu neutralem Wasserstoffgas mit großflächigen Instrumenten wie Apertif vorantreiben. Diese werden eine Fülle von Daten ähnlicher Qualität liefern, dann allerdings für Zehntausende naher Galaxien.


Jing Wang und Guinevere Kauffmann


Originalveröffentlichung:

Wang, J.; Kauffmann G.; J?zsa, G. I. G.; Serra, P. et al., "The Bluedisks project, a study of unusually HI-rich galaxies: I. HI Sizes and Morphology", 2013, submitted to MNRAS linkPfeilExtern.gif(arXiv:1303.3538)

Weitere Informationen:

linkPfeil.gifBluedisk Webseite

linkPfeilExtern.gifÜber Apertif