Stellare Lithium-Häufigkeiten stützen Standardmodell des Urknalls

Seit Jahrzehnten bereitet es den Astronomen große Schwierigkeiten, die beim Urknall produzierte Menge an Lithium mit den gemessenen Häufigkeiten in sehr alten Sternen in Einklang zu bringen. Beide stabile Lithiumisotope führten zu vielen rauchenden Köpfen, da ein Widerspruch beobachtet wurde: die Sterne enthalten zu große Mengen des leichteren 6Li und nicht genug von dem schwereren 7Li. Mit neuen und verbesserten Modellen zur Entstehung der Spektrallinien in metallarmen Sternen war ein internationales, vom MPA geleitetes Wissenschaftlerteam nun in der Lage, neues Licht auf diese Fragestellung zu werfen. Letztlich stehen die neu berechneten Häufigkeiten der Lithium-Isotope in diesen alten Sternen nicht im Widerspruch zu den Vorhersagen aus dem Standardmodell der Urknall-Nukleosynthese.

Abb. 1: Diese Visualisierung einer 3D hydrodynamischen Strahlungssimulation zeigt, wie die Lithium-Linienstärke auf der Oberfläche einer metallarmen Sternatmosphäre variiert.

Abb. 2: Diese Grafik zeigt die entsprechenden Linienprofile zu Abb. 1, wobei eine dunkle Farbe eine höhere Dichte der Linienprofile andeutet. Das räumlich gemittelte Profil ist schwarz eingezeichnet. Die zentralen Positionen der Komponenten der 7Li- und 6Li-Linien sind oben schwarz und rot markiert.

Die Messung der Lithium-Isotopen-Verhältnisse in Sternen ist sehr schwierig, sowohl was die Beobachtungen als auch was die Theorie betrifft. Beobachter brauchen Daten von höchster Qualität, die nur moderne Teleskope und Spektrographen liefern können, um die schwache Signatur des leichteren Isotops von dem beobachteten Hintergrundrauschen entwirren zu können - in der Praxis beträgt die Nachweisgrenze von 6Li in metallarmen Sternspektren nur etwa 2% des gesamten Lithiumgehalts. Darüber hinaus können viele Effekte das Profil der Spektrallinie beeinflussen und dadurch das Isotopenverhältnis verändern, daher müssen diese im Modell korrekt beschrieben sein.

Zunächst führen thermische und konvektive Gasbewegungen zu Doppler-Verschiebungen in den Spektrallinien, so dass realistische 3D hydrodynamische Simulationen der Sternatmosphären nötig sind, wie beispielsweise die am MPA berechneten Stagger-Modelle. Zweitens muss man die großen Abweichungen vom lokalen thermodynamischen Gleichgewicht (engl. local thermodynamic equilibrium - kurz LTE) berücksichtigen, wenn die Verteilung der Atome in verschiedenen Anregungs- und Ionisationszuständen korrekt beschrieben werden soll. Derartig komplexe Berechnungen der Linienbildung sind teuer und müssen mehrere Wochen lang auf leistungsstarken Multi-Core-Computern laufen. Daher konnten bisher nicht alle Effekte gleichzeitig berücksichtigt werden und vereinfachende Annahmen wurden gemacht.

Zum ersten Mal wurde nun eine kombinierte 3D, nicht-LTE-Methode angewendet, um die Lithium-, Natrium-und Kalzium-Spektrallinien in vier sehr metallarmen Sterne zu modellieren. Dabei sollte das Lithium-Isotopenverhältnis bestimmt werden, die anderen neutralen Elemente wurden zur Kalibration der unbekannten, projizierten Rotationsgeschwindigkeit der Sterne herangezogen. Überraschenderweise fanden die Astronomen in keinem der Sterne bedeutende Vorkommen des leichteren 6Li, entgegen der in mehreren Studien der vergangenen zwei Jahrzehnte vorgelegten Hinweise.

Die verfeinerten Modelle zeigen insbesondere, dass die LTE-Annahme zu einer systematischen Überschätzung und sogar zu Fehldetektionen von 6Li über einen breiten Parameterbereich hinweg führt. Ein interessantes Beispiel hierfür ist der metallarme Stern HD84937, der einen Großteil seines Brennstoffes aufgebraucht hat. Mindestens drei konkurrierende Studien führen einen unstrittigen Nachweis von 6Li vor, während das neue Modell keine signifikanten Anzeichen des Isotops zeigt.

Die Ergebnisse für alle vier Sterne stimmen erfreulicherweise sehr gut mit den Vorhersagen des Standardmodells der Urknall-Nukleosynthese überein, bei der nur unwesentliche Mengen des leichteren Isotops entstehen. Damit bleibt allerdings die Frage offen, warum die Elementhäufigkeiten von 7Li geringer sind als die Vorhersagen aus dem Urknall. Unser 3D NLTE-Modell stärkt die spannende Hypothese, dass Sterne für beide Lithiumisotopen als Senke wirken können, was im Laufe der Zeit zum einem allmählichen Verschwinden dieser und schwererer Elemente aus ihren Atmosphären führt. Diese langsame Diffusion wurde theoretisch postuliert und könnte erklären, warum die beobachteten stellaren Häufigkeiten von schwerem Lithium niedriger sind als erwartet. Somit könnten beide kosmologischen Lithium-Probleme, mit denen Teilchenphysiker und Astrophysiker seit dem Start des WMAP-Satelliten kämpfen, durch eine verbesserte Physik der Sternatmosphären gelöst werden.


Karin Lind (MPA), Jorge Melendez (Department of Astronomy, University of Sao Paulo, Brasil), Martin Asplund (Mount Stromlo Observatory, Australian National University, Australia), Remo Collet (Mount Stromlo Observatory, Australian National University, Australia), Zazralt Magic (MPA)


Originalveröffentlichung

Lind K., Melendez J., Asplund M., Collet R. & Magic Z., "The lithium isotopic ratio in very metal-poor stars", (submitted to A&A)

Weitere Artikel

Asplund, M., Lambert, D. L., Nissen, P. E., Primas, F., & Smith, V.V., "Lithium Isotopic Abundances in Metal-poor Halo Stars", 2006, ApJ, 644, 229

Cayrel, R., Steffen, M., Chand, H., et al., "Line shift, line asymmetry, and the 6Li/7Li isotopic ratio determination", 2007, A&A, 473, L37