| |
Theoretisch gibt es gute Erklärungen für die Nukleosynthese von
Elementen, die schwerer sind als Eisen. Die meisten dieser Elemente
werden durch den langsamen oder den schnellen Neutroneneinfang auf
leichtere Ausgangskerne gebildet, den so genannten s-Prozess (vom
englischen "slow") bzw. r-Prozess (von "rapid"). Dabei entstehen die
Elemente des s-Prozesses zumeist in den späten Entwicklungsstadien von
Sternen geringer Masse. Ein kleiner Teil dieser Elemente entstehen
aber auch in massenreichen Sternen, die am Ende ihres Lebens als
Kernkollaps-Supernovae explodieren.
Allerdings werden die Vorhersagen der Sternentwicklungsmodelle nicht
vollständig von Beobachtungen gestützt. Zur Erklärung der Häufigkeiten
der s-Elemente in der Sonne und in metallarmen Sternen, die die
Zusammensetzung des interstellaren Mediums in verschiedenen Stadien
der galaktischen Entwicklung abbilden, sind alternative
Nukleosynthesemodelle nötig.
Die häufigsten Elemente des s-Prozesses sind Strontium (Sr) und Barium
(Ba) mit den magischen Neutronenzahlen 50 bzw. 82. Dies folgt direkt
aus ihren atomaren Eigenschaften, insbesondere ihrem sehr kleinen
Einfangsquerschnitt für Neutronen. Darüber hinaus liegen ihre
stärksten Absorptionslinien im optischen Teil des Spektrums, so dass
diese mit Teleskopen auf der Erde selbst bei den metallärmsten und am
weitesten entfernten Sternen des galaktischen Halos gemessen werden
können.
Tatsächlich besteht die schwierigste Aufgabe darin, aus den
beobachteten Datenpunkten auf die Elementhäufigkeiten zu schließen:
Die Linienprofile reagieren sehr empfindlich darauf, wie der
Strahlungstransfer in den Sternatmosphären modelliert wird. Die
meisten dokumentierten Beobachtungsstudien verließen sich auf stark
vereinfachte Modelle, bei denen der wichtige Einfluss von
nicht-lokalem thermodynamischem Gleichgewicht (non-LTE) auf die
Elementhäufigkeiten vernachlässigt wurde.
Wissenschaftler am MPA haben nun zum ersten Mal eine konsistente
non-LTE-Analyse einer großen Zahl von metallarmen Sternen
durchgeführt, die aus verschiedenen Bereichen unserer Galaxie stammen
(Halo, dicke und dünne Scheibe). Dabei wurden non-LTE-Effekte bei der
Bestimmung sowohl der wesentlichen stellaren Parameter als auch der
Elementhäufigkeiten berücksichtigt (Abb. 2) und neueste
quantenmechanische Atomdaten benutzt.
Für Sterne aus der galaktischen Scheibe stimmt die Bariumhäufigkeit
mit der skalierten Häufigkeit in der Sonne überein; dies kann man mit
Nukleosynthesemodellen für Sterne geringer Masse erklären. Halosterne
haben im Vergleich zu Eisen einen deutlichen Mangel an Barium. Auch
hier sind die Werte mit der Vorhersage von Sternmodellen konsistent,
wonach nur ein kleiner Teil der massenreichen Sterne zur Produktion
von Barium im r-Prozess beiträgt, wohingegen Eisen in
Supernova-Explosionen von Sternen mit verschiedenen Anfangsmassen
entsteht.
Demgegenüber nimmt die Strontiumhäufigkeit mit abnehmender
Metallizität eher zu und wird bei den Sternen mit geringster
Metallizität konstant. Dies widerspricht den Vorhersagen der
Sternentwicklungsmodelle. Was für ein Prozess könnte zu der Entstehung
von Strontium in der frühen Galaxie geführt haben? Und welcher Prozess
könnte im Vergleich zu Barium so viel mehr Strontium produziert haben,
zu einer Zeit als die ältesten und besonders metallarmen Sterne
geboren wurden? Fasst man alle Beiträge von r- und s-Prozessen
zusammen, so erhält man ein Strontium-zu-Barium-Verhältnis, das
deutlich unter dem beobachteten Wert für metallarme Sterne liegt
(Abb. 3).
Unkonventionelle Szenarien für die Nukleosynthese, wie der so genannte
Primärprozess leichter Elemente oder Supernovae mit Elektroneneinfang
bei relativ massearmen Sternen, könnten diese Beobachtungen
möglicherweise erklären.
Gregory Ruchti, Maria Bergemann
Referenzen
Travaglio, C., Gallino, R., Arnone, E., et al.,
"Galactic Evolution of Sr, Y, and Zr: A Multiplicity of Nucleosynthetic Processes",
2004, ApJ, 601, 864
Wanajo, S., Janka, H.-T., Mueller, B.,
"Electron-capture Supernovae as The Origin of Elements Beyond Iron",
2011, ApJL, 726, L15
Ruchti, G. and Bergemann, M.,
"New NLTE Results for Neutron-Capture Elements in Metal-Poor Milky Way Field Stars",
2012, MNRAS, in prep.
|