Chemische Zusammensetzung alter, metallarmer Sterne wirft neue Fragen auf

Neue Messungen der Elementhäufigkeiten für Strontium und Barium in der galaktischen Scheibe und dem Halo führen zu verblüffenden Ergebnissen. Wissenschaftler am Max Planck Institut für Astrophysik haben die Elementhäufigkeiten für eine große Zahl an alten, metallarmen Sternen bestimmt und dabei entdeckt, dass diese durch keines der klassischen Nukleosynthesemodelle in der Entwicklung von Sternen erklärt werden können. Die Daten zeigen, dass vor allem ein - bisher unbekannter - Prozess zur Produktion dieser Elemente in der frühen Galaxie geführt haben muss.

Fig. 1: Die Milchstraße enthält etwa 300 Milliarden Sterne. Um die galaktische Scheibe, die sich teilweise hinter Gas- und Staubwolken verbirgt, erstreckt sich ein sphärischer Halo aus alten Sternen und Sternhaufen.
Bild: Wei-Hao Wang

Fig. 2: Neu gemessene Barium- (Ba) und Strontium- (Sr) Häufigkeiten für Halo- und Scheibensterne als Funktion der Metallizität. Die Messwerte zeigen die Abweichung der stellaren Elementhäufigkeiten normalisiert auf Eisen von den Werten der Sonne. Für Scheibensterne mit geringer Metallizität (-1.5 < [Fe/H] -0.5) stimmt die Bariumhäufigkeit mit den Werten der Sonne überein; für Halosterne entspricht die Bariumhäufigkeit den Vorhersagen aus dem r-Prozess in Supernovaexplosionen. Die Strontiumhäufigkeiten hingegen passen nicht zu Vorhersagen der Standardmodelle für Nukleosynthese.

Fig. 3: Relative Häufigkeit von Strontium und Barium, wobei Scheiben- und Halosterne durch rote und schwarze Kreise unterschieden werden. Herkömmliche Nukleosynthesemodelle sagen einen leicht negativen Wert für [Sr/Ba] voraus. Der beobachtet Wert ist aber eindeutig positiv, insbesondere für Sterne mit sehr geringer Metallizität, [Fe/H] < -1.5.

Theoretisch gibt es gute Erklärungen für die Nukleosynthese von Elementen, die schwerer sind als Eisen. Die meisten dieser Elemente werden durch den langsamen oder den schnellen Neutroneneinfang auf leichtere Ausgangskerne gebildet, den so genannten s-Prozess (vom englischen "slow") bzw. r-Prozess (von "rapid"). Dabei entstehen die Elemente des s-Prozesses zumeist in den späten Entwicklungsstadien von Sternen geringer Masse. Ein kleiner Teil dieser Elemente entstehen aber auch in massenreichen Sternen, die am Ende ihres Lebens als Kernkollaps-Supernovae explodieren.

Allerdings werden die Vorhersagen der Sternentwicklungsmodelle nicht vollständig von Beobachtungen gestützt. Zur Erklärung der Häufigkeiten der s-Elemente in der Sonne und in metallarmen Sternen, die die Zusammensetzung des interstellaren Mediums in verschiedenen Stadien der galaktischen Entwicklung abbilden, sind alternative Nukleosynthesemodelle nötig.

Die häufigsten Elemente des s-Prozesses sind Strontium (Sr) und Barium (Ba) mit den magischen Neutronenzahlen 50 bzw. 82. Dies folgt direkt aus ihren atomaren Eigenschaften, insbesondere ihrem sehr kleinen Einfangsquerschnitt für Neutronen. Darüber hinaus liegen ihre stärksten Absorptionslinien im optischen Teil des Spektrums, so dass diese mit Teleskopen auf der Erde selbst bei den metallärmsten und am weitesten entfernten Sternen des galaktischen Halos gemessen werden können.

Tatsächlich besteht die schwierigste Aufgabe darin, aus den beobachteten Datenpunkten auf die Elementhäufigkeiten zu schließen: Die Linienprofile reagieren sehr empfindlich darauf, wie der Strahlungstransfer in den Sternatmosphären modelliert wird. Die meisten dokumentierten Beobachtungsstudien verließen sich auf stark vereinfachte Modelle, bei denen der wichtige Einfluss von nicht-lokalem thermodynamischem Gleichgewicht (non-LTE) auf die Elementhäufigkeiten vernachlässigt wurde.

Wissenschaftler am MPA haben nun zum ersten Mal eine konsistente non-LTE-Analyse einer großen Zahl von metallarmen Sternen durchgeführt, die aus verschiedenen Bereichen unserer Galaxie stammen (Halo, dicke und dünne Scheibe). Dabei wurden non-LTE-Effekte bei der Bestimmung sowohl der wesentlichen stellaren Parameter als auch der Elementhäufigkeiten berücksichtigt (Abb. 2) und neueste quantenmechanische Atomdaten benutzt.

Für Sterne aus der galaktischen Scheibe stimmt die Bariumhäufigkeit mit der skalierten Häufigkeit in der Sonne überein; dies kann man mit Nukleosynthesemodellen für Sterne geringer Masse erklären. Halosterne haben im Vergleich zu Eisen einen deutlichen Mangel an Barium. Auch hier sind die Werte mit der Vorhersage von Sternmodellen konsistent, wonach nur ein kleiner Teil der massenreichen Sterne zur Produktion von Barium im r-Prozess beiträgt, wohingegen Eisen in Supernova-Explosionen von Sternen mit verschiedenen Anfangsmassen entsteht.

Demgegenüber nimmt die Strontiumhäufigkeit mit abnehmender Metallizität eher zu und wird bei den Sternen mit geringster Metallizität konstant. Dies widerspricht den Vorhersagen der Sternentwicklungsmodelle. Was für ein Prozess könnte zu der Entstehung von Strontium in der frühen Galaxie geführt haben? Und welcher Prozess könnte im Vergleich zu Barium so viel mehr Strontium produziert haben, zu einer Zeit als die ältesten und besonders metallarmen Sterne geboren wurden? Fasst man alle Beiträge von r- und s-Prozessen zusammen, so erhält man ein Strontium-zu-Barium-Verhältnis, das deutlich unter dem beobachteten Wert für metallarme Sterne liegt (Abb. 3).

Unkonventionelle Szenarien für die Nukleosynthese, wie der so genannte Primärprozess leichter Elemente oder Supernovae mit Elektroneneinfang bei relativ massearmen Sternen, könnten diese Beobachtungen möglicherweise erklären.


Gregory Ruchti, Maria Bergemann


Referenzen

Travaglio, C., Gallino, R., Arnone, E., et al., "Galactic Evolution of Sr, Y, and Zr: A Multiplicity of Nucleosynthetic Processes", 2004, linkPfeilExtern.gifApJ, 601, 864

Wanajo, S., Janka, H.-T., Mueller, B., "Electron-capture Supernovae as The Origin of Elements Beyond Iron", 2011, linkPfeilExtern.gifApJL, 726, L15

Ruchti, G. and Bergemann, M., "New NLTE Results for Neutron-Capture Elements in Metal-Poor Milky Way Field Stars", 2012, MNRAS, in prep.