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Jeder kann aus Kilometern Entfernung am Klang von Kirchenglocken
erkennen, ob es sich um das Geläut einer mächtigen Kathedrale oder das
einer kleinen Kapelle handelt. Auch ohne die Glocke zu sehen, weiß
man, ein kleines Glöckchen hat einen hellen Klang während ein
tonnenschwerer Stahlguß tiefe Töne erzeugt. Und selbst wenn die
Glocken gleich schwer sind, entscheiden Form und Material noch über
die Tonhöhe. Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Größe und Tonhöhe
haben nun Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astrophysik für
weit entfernte Neutronensterne gefunden. Und wie bei Kirchenglocken
wollen die Forscher die Tonhöhe nutzen, um die Radien und die
Zusammensetzung von Neutronensternen zu ermitteln.
Wie eine angeschlagene Glocke Schallwellen in der Luft anregt, so
erzeugen Vibrationen von Neutronensternen Schwingungen in der
Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit vom Ursprungsort
ausbreiten. Diese Gravitationswellen wurden schon von Einstein im
Rahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt, und
Wissenschaftler hoffen in den kommenden Jahren mit Hilfe aufwendiger
Experimente die winzigen Erschütterungen der Raumzeit "hören" zu
können (Abb. 2).
Doch wie soll man Neutronensterne in Schwingungen versetzen? Dazu
brauchen Forscher vor allem Geduld. Denn viele Neutronensterne kreisen
in Doppelsternsystemen umeinander, wobei sie sich im Laufe von einigen
100 Millionen Jahren immer weiter annähern. Schließlich kollidieren
die nur wenige zehn Kilometer großen Sterne und formen einen einzelnen,
deutlich schwereren Stern (siehe Abb. 1). Durch die Kollision werden
starke Schwingungen in dem neu entstandenen Neutronenstern angeregt,
die messbare Gravitationswellen aussenden. Da es Vorhersagen zufolge
eine große Zahl solcher Doppelsternsysteme in den Galaxien der
kosmischen Nachbarschaft unserer Milchstraße geben sollte, stehen die
Chancen nicht schlecht in naher Zukunft Zeuge einer solchen
Sternverschmelzung zu werden. Die neueste Generation von
Gravitationswellen-Detektoren wird Tausende Galaxien gleichzeitig
überwachen können. Ereignet sich wie vermutet alle 10.000 bis 100.000
Jahre eine Kollision in jeder Galaxie, wird sie den superempfindlichen
Antennen nicht entgehen.
Die Wissenschaftler vom MPA untersuchten nun mit Hilfe von
Computersimulationen, wie die "Tonhöhe" der ausgesandten
Gravitationswellen von der Größe der Neutronensterne abhängt. Der
Sterndurchmesser steht dabei in engem Zusammenhang mit dem inneren
Aufbau und den Eigenschaften von Neutronensternmaterie. Da letztere
nicht gut bekannt sind, benutzten die Forscher für ihre Rechnungen
viele verschiedene Vorschläge für die Materieeigenschaften und
bestimmten den entsprechenden Klang der Kollisionen. Dabei variierte
die Tonhöhe zwischen dem dreigestrichenen b und dem viergestrichen
b. Wie erwartet erzeugen kleine Sterne hohe Töne, während
ausgedehntere Objekte einen tieferen Klang hervorbringen (siehe
Abb.3). Die Rechnungen der Wissenschaftler eröffnen nun die
fantastische Möglichkeit, die Größe eines Objekts, das sich viele
Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt befindet, auf wenige 100
Meter genau zu bestimmen.
Die neuen Ergebnisse sind besonders deshalb spannend, weil es sich bei
Neutronensternen um äußerst extreme Objekte handelt. Bei Durchmessern
von 20 bis 30 Kilometern ist dabei die eineinhalb bis zweifache Masse
der Sonne auf Dichten jenseits von der in Atomkernen
zusammengepresst. Entsprechende Bedingungen können in keinem irdischen
Labor erzeugt und untersucht werden. Und doch ist Materie bei solchen
Dichten für viele Forscher von besonderem Interesse. In derart
extremen Umgebungen treten fundamentale Prozesse der Kern- und
Teilchenphysik in Erscheinung, wie zum Beispiel Wechselwirkungen
zwischen Elementarteilchen, und bestimmen die Eigenschaften der
Neutronensternmaterie. Auf diese Weise erlaubt die Beobachtung der
Signale weit entfernter astronomischer Objekte einen tieferen Einblick
in die Welt der fundamentalsten Bausteine der Natur.
Andreas Bauswein, Hannelore Hämmerle, H.-Thomas Janka
Kontakt:
Dr. Andreas Bauswein
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel.: +49 89 30000-2236
email: abausweinmpa-garching.mpg.de
Dr. Hans-Thomas Janka
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel.: +49 89 30000-2228
email: hjankampa-garching.mpg.de
Dr. Hannelore Hämmerle
Pressesprecherin
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel. +49 89 30000-3980
E-mail: hhaemmerlempa-garching.mpg.de
Originalveröffentlichung
Andreas Bauswein, Hans-Thomas Janka,
"Measuring Neutron-Star Properties via Gravitational Waves from Neutron-Star Mergers",
Physical Review Letters 108, 011101 (2012),
http://prl.aps.org/abstract/PRL/v108/i1/e011101
Nikolaos Stergioulas, Andreas Bauswein, Kimon Zagkouris, Hans-Thomas Janka,
"Gravitational waves and non-axisymmetric oscillation modes in mergers of compact object binaries",
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 418, 427 (2011),
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2966.2011.19493.x/full
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