Überraschende Entdeckung mit SDSS-III: Die schwersten Galaxien des Universums bilden auch 8 Milliarden Jahre nach dem Urknall noch Sterne

Aufbauend auf der Himmelsdurchmusterung des SDSS (Sloan Digital Sky Survey) kartographiert die BOSS-Studie (SDSS-III's Baryon Oscillation Spectroscopic Survey) derzeit die räumliche Verteilung der massereichsten Galaxien im Universum. Wissenschaftler am MPA sind bereits seit über zehn Jahren an SDSS beteiligt und nutzen die Galaxienspektren aus diesen Experimenten um wichtige physikalische Informationen über die Sterne und das Gas in diesen Systemen zu gewinnen. Damit können sie erklären, wie sich Galaxien im Laufe der Geschichte unseres Universums gebildet und entwickelt haben.

Abb. 1: Dieses Diagramm zeigt die Verteilung der massereichen BOSS-Galaxien am Himmel. Die neuen BOSS-Galaxien sind in Rot dargestellt, sie sondieren höhere Rotverschiebungen (größere Entfernungen) als die vorherigen leuchtstarken roten Galaxien (LRG) des SDSS (weiße Punkte) und die normalen (MAIN) SDSS-Galaxien in Gelb.
Image Credit: Michael Blanton and the SDSS-III Collaboration

Abb. 2: Eine massereiche elliptische Galaxie zusammen mit hochenergetischen Teilchen, die im Radiobereich strahlen.

Abb. 3: Die durchgezogenen roten, schwarzen und blauen Linien zeigen den Anteil an Galaxien die mehr als 5, 10, bzw. 15% ihrer Sterne im Laufe der letzten Milliarde Jahre gebildet haben als Funktion der stellaren Masse. Diese Resultate sind für Galaxien aus der MAIN-Studie des SDSS mit einer mittleren Rotverschiebung von z=0,1. Die gestrichelten roten, schwarzen und blauen Linien zeigen das Gleiche für Galaxien aus der BOSS-Studie mit einer Rotverschiebung von z=0,5.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte eine internationale Kollaboration aus Wissenschaftlern vom MPA, der Universität von Wisconsin und der Johns-Hopkins-Universität und anderen Kollegen aus dem BOSS-Team die Massen und das Alter von rund 300.000 massereichen Galaxien bei Rotverschiebungen zwischen 0,45 und 0,7 – und blickten damit zurück auf eine Zeit, als das Universum erst 60 Prozent seines heutigen Alters hatte. All diese Galaxien enthalten Sterne mit insgesamt mehr als 100 Milliarden Sonnenmassen; somit ist dies die größte Auswahl massereicher Galaxien mit Spektren, die je analysiert wurde.

Massereiche Galaxien sind für Kosmologen sehr spannend, da sie das Ende der Galaxienentwicklung darstellen dürften. Das Lambda-CDM-Modell der Kosmologie, das inzwischen zum Standardmodell wurde, liefert detaillierte Vorhersagen, wie sich die Strukturen in der Dunklen Materie des Universums mit der Zeit bilden. Kurz gesagt ist die Strukturbildung ein Prozess „vom Kleinen zum Großen“, bei dem zuerst die kleinsten Halos aus Dunkler Materie kollabieren und dann verschmelzen, um so immer größere Systeme zu bilden bis hin zu Gruppen und riesigen Haufen von Galaxien.

Lange Zeit wurden diese kosmologischen Vorhersagen von vielen Beobachtern kritisiert, da die massereichsten Galaxien, die man kannte, scheinbar nur aus extrem alten Sternen bestanden. Wie aber konnte man das mit einem Szenario in Einklang bringen, in dem sich die massereichsten Strukturen zuletzt bilden? Mit immer leistungsfähigeren Teleskopen konnten die Beobachter auch schwach leuchtende Galaxien im sehr weit entfernten Universum untersuchen, wo die Lichtlaufzeit an das Alter des Universums heranreicht. Dabei fanden die Beobachter, dass die Anzahl der massereichen Galaxien zu frühen kosmischen Zeiten tatsächlich viel geringer war als ihre Anzahl heute, was die These unterstützt, das sich massereiche Galaxien erst vor relativ kurzer Zeit gebildet haben. Allerdings fanden sie auch, dass die massereichsten Galaxien im frühen Universum scheinbar dennoch aus relativ weit entwickelten Sternen bestanden – oder anders gesagt, egal wie weit die Beobachter in die Geschichte des Universums zurückblickten, sie fanden nur wenige Hinweise für Sternentstehungsaktivitäten, wenn eine Galaxie eine bestimmte stellare Masse überschritten hatte.

Diese Ergebnisse riefen bei den Theoretikern einiges an Bestürzung hervor, da sie berechnet hatten, dass sich in den Halos aus dunkler Materie um die massereichen Galaxien große Mengen an Gas abkühlen und Sterne bilden sollten. Daher gab es viele Diskussionen und Spekulationen über exotische Mechanismen, die das Gas aufheizen könnten und so die Sternentstehung verhindern. Beispiele dafür reichen von riesigen Explosionen, angetrieben von Material, das auf das zentrale Schwarze Loch mit Milliarden Sonnenmassen oder mehr einstürzt, bis hin zu riesigen, Megaparsec-langen Jets aus geladenen Teilchen mit relativistischen Geschwindigkeiten, die in das Gas rund um die Galaxien eindringen und es aufheizen.

Die neuen Resultate von SDSS-III deuten nun darauf hin, dass es diesen exotischen Mechanismen möglicherweise viel schwerer fällt, die Sternentstehung in massereichen Galaxien zu stoppen, als bisher angenommen. Das MPA-Wisconsin-JHU-Team verwendete eine Methode, mit der das Alter der Sterne in einer Galaxie mithilfe detaillierter stellarer Absorptionscharakteristika in ihren Spektren abgeschätzt werden kann. In massereichen Galaxien sind die jüngsten Sterne oft von staubighaltigem Gas umgeben, das einen Großteil des blauen Lichts absorbiert, das von den jungen Sternen ausgestrahlt wird. Abschätzungen aufgrund der Farbe einer Galaxie können daher zu falschen Antworten führen. Die neue Methode und die große Anzahl an Galaxien ermöglichten es dem Team nun festzustellen, dass der Anteil der massereichsten Galaxien mit jungen Sternen im Laufe der letzten vier Milliarden Jahre um mehr als das 10-fache abgenommen hat (siehe Abb. 3). Bei einer Rotverschiebung von 0,5 haben mehr als 10% aller Galaxien mit stellaren Massen von etwa 200 Milliarden Sonnenmassen kürzlich eine signifikante Periode der Sternentstehung hinter sich. Damit stehen diese Ergebnisse im Konflikt mit den Aussagen einiger Beobachter, dass sich die Sterne in massereichen Galaxien alle bereits 2-3 Milliarden Jahre nach dem Urknall gebildet haben. Für die Wissenschaftler sind diese Resultate auch spannend, da die nächste Generation an Röntgensatelliten in der Lage sein sollte nachzuweisen, wie das Gas in diesen massereichen Galaxien abkühlt und Sterne produziert. Außerdem werden Himmelsdurchmusterungen der nächsten Generation im Radiobereich verfolgen, wie energiereiche Teilchen, angetrieben vom schwarzen Loch, ihre Energie an dieses Gas abgeben. Die derzeitigen Spekulationen über exotische Mechanismen werden damit in handfeste Wissenschaft umgewandelt werden.


Guinevere Kauffmann


Originalveröffentlichung:

linkPfeilExtern.gifhttp://arxiv.org/abs/1108.4719

Weiterführende Links:

linkPfeilExtern.gifBOSS
linkPfeilExtern.gifSDSS-III