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Galaxien im benachbarten Universum gibt es in vielen Formen, Farben
und Größen, und doch kann man bei dieser Vielfalt viele komplexe
Verbindungen zwischen ihren unterschiedlichen Eigenschaften
finden. Dabei kristallisiert sich ein Bild heraus, wonach sich die
meisten Galaxien in zwei Kategorien einteilen lassen: sie sind
entweder gasreiche, blaue, spiralähnliche Galaxien mit aktiver
Sternentstehung oder aber rote, gasarme Galaxien ohne auffällige
Strukturen. Wenn wir verstehen wollen, wie Galaxien entstehen und sich
entwickeln um schließlich dieses Bild zu erhalten, so ist es
unabdingbar genau festzustellen, wann, wo und wie sich Sterne in einer
Galaxie bilden. Auch wenn uns detaillierte Beobachtungen des
Sternenlichts der Galaxien schon viel verraten, so stellt unser
vergleichsweise dürftiges Wissen über den Gasgehalt in diesen Galaxien
doch ein beträchtliches Hindernis dar. Da das kalte Gas der Rohstoff
ist, aus dem junge Sterne gemacht sind, benötigen wir ein besseres
Bild davon, wie Galaxien mit Gas versorgt werden, wie das Gas zu
Sternen wird und wie einiges von diesem Gas dabei wieder an die
Umgebung abgegeben wird. Nur mit diesem Wissen können wir die
Entwicklung der Galaxien auch wirklich verstehen.
Um diese Fragen zu beantworten nutzen Wissenschaftler am
Max-Planck-Institut für Astrophysik als Teil einer internationalen
Kollaboration einige der größten Radioteleskope der Welt, um den
Gasgehalt massereicher Galaxien im nahen Universum zu
vermessen. Ergänzende Informationen erhält das Team von ausführlichen
Daten, gesammelt in vielen Wellenlängenbereichen u.a. vom Sloan
Digital Sky Survey (SDSS), dem UV-Satelliten GALEX und dem
Arecibo-Radioteleskop.
Das IRAM 30-Meter-Teleskop auf dem Pico Veleta im Süden Spaniens
liefert entscheidende Hinweise, wie Gas in Sterne umgewandelt
wird. Das Teleskop, das von der französischen Forschungsorganisation
CNRS, der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland und dem spanischen
IGN-Institut finanziert und betrieben wird, kann bei
Millimeter-Wellenlängen beobachten und so molekulares Gas in Galaxien
nachweisen. Es ermöglicht den Wissenschaftlern damit einen Blick auf
den letzten Schritt beim Gaskreislauf: Wenn die Galaxien Gas
angesammelt haben, kühlt dieses ab und verdichtet sich, und führt so
zur Bildung von Molekülen und schließlich Sternen. Mit dem IRAM
30m-Teleskop führte das “COLD GASS”-Team, geleitet von Amelie
Saintonge vom MPE und Guinevere Kaufmann vom MPA, nun einen Zensus
dieses molekularen Gases in 350 Galaxien durch, die die massereichen
Galaxien in nahen Universum gut repräsentieren sollten.
Bislang wurde die Studie genutzt, um die Häufigkeit des molekularen
Gases in den Galaxien in Abhängigkeit von ihrer Masse, Farbe und
Morphologie zu aufzuzeichnen. Dies zeigte eindrucksvoll, dass es klare
Abgrenzungen in der Galaxienpopulation gibt, allein aufgrund ihres
Gasgehalts. Mit den IRAM-Beobachtungen konnten die Wissenschaftler
einige Galaxien identifizieren, die nur noch Spuren von molekularem
Gas enthalten. Diese Galaxien sind in der jetzigen Epoche die
passivsten Galaxien und zeigen nur wenig oder gar keine
Sternentstehungsaktivitäten.
Ein Vergleich der IRAM-Daten mit den ausführlichen Daten aus anderen
Wellenlängen führt zu einer Überraschung: Während die IRAM-Daten diese
“roten und toten” Galaxien, ohne signifikante Spuren von
molekularem Gas oder Sternentstehung, finden, so zeigt das
Arecibo-Teleskop, dass diese Galaxien dennoch nennenswerte Mengen an
atomarem Gas enthalten können, das unter normalen Umständen abkühlen
sollte um schließlich Sterne zu bilden.
Wie können diese Galaxien gleichzeitig viel atomares Gas enthalten und
doch keine Sterne bilden? Allein der Nachweis derartiger Galaxien
enthüllt einen Engpass bei der Sternentstehung in massereichen
Galaxien: es reicht nicht aus, wenn eine Galaxie große Mengen an
atomarem Gas enthält, es müssen auch die richtigen Bedingungen gegeben
sein, damit dieses Gas die niedrigen Temperaturen und hohen Dichten
erreichen kann, die für die Entstehung junger Sterne nötig sind. Die
Ergebnisse großer numerischer Simulationen, die ebenfalls von den
MPA-Wissenschaftlern und ihren Kollegen durchgeführt wurden, werden
nun den Beobachtungen gegenübergestellt und getestet. Eine Kombination
der detaillierten Simulationen mit der großen Datenmenge im “COLD
GASS Survey” wird unser Wissen darüber, wie Galaxien sich durch
Gaskreislauf und Sternentstehung entwickeln, einen großen Schritt
voranbringen.
Amelie Saintonge
Weitere Links
COLD GASS
GASS
IRAM
Veröffentlichungen
Amelie Saintonge, Guinevere Kauffmann, Carsten Kramer et al.,
"COLD GASS, an IRAM legacy survey of molecular gas in massive galaxies - I.
Relations between H2, HI, stellar content and structural properties",
2011, MNRAS, 415, 32
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2966.2011.18677.x/full
Amelie Saintonge, Guinevere Kauffmann, Jing Wang et al.,
"COLD GASS, an IRAM legacy survey of molecular gas in massive galaxies - II. The
non-universality of the molecular gas depletion time-scale",
2011, MNRAS, 415, 61
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2966.2011.18823.x/full
Barbara Catinella, David Schiminovich, Guinevere Kauffmann et al.,
"The GALEX Arecibo SDSS Survey - I. Gas fraction scaling relations of
massive galaxies and first data release",
2010, MNRAS, 403, 683
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2966.2009.16180.x/full
Silvia Fabello, Barbara Catinella, Riccardo Giovanelli et al.,
"ALFALFA HI data stacking - I. Does the bulge quench ongoing star formation in early-type galaxies?",
2011, MNRAS, 411, 993
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2966.2010.17742.x/full
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