Magnetfelder in verschmelzenden Neutronensternen

Die vielleicht faszinierendste Frage beim Schicksal zweier verschmelzender Neutronensterne ist, ob hierbei extreme Magnetfelder von mehr als 1000 Billionen (1015) Gauss entstehen können und in welchem Ausmaß sie die Eigenschaften dieser Objekte beeinflussen. Durch Simulationen der Bedingungen, die in diesen Verschmelzungen herrschen, haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) und der Universität von Valencia die mögliche Stärke des Magnetfelds und seine Struktur abgeschätzt.

Abb. 1: Eine instabile Scherströmung, in der das Gas in der oberen und unteren Hälfte der Simulation nach rechts bzw. links strömt. Die Pfeile stellen die Geschwindigkeit des Gases dar. In der Mitte hat sich eine Reihe von Wirbeln ausgebildet (die Farbskala symbolisiert die Intensität der Verwirbelung der Strömung).

Abb. 2: Die Verteilung des Magnetfelds in einer instabilen Scherströmung. Die Stärke des Feldes ist durch eine Farbsequenz von dunkelrot (schwaches Feld) über weiß zu dunkelblau (starkes Feld) dargestellt. Das Magnetfeld ist in einer um den Wirbel vielfach gewundenen langen Schicht am stärksten, während der Großteil des Gases das ursprünglich schwache Feld beibehalten hat. Längs dieser Feldschicht erkennt man bereits, wie das Feld durch sekundäre Instabilitäten zu zerfallen beginnt: an diesen Stellen ist die Schicht auf komplexe Weise verbogen.

Abb. 3: Dasselbe Modell zu einer späteren Zeit, als der Wirbel bereits vollständig aufgelöst wurde und das Magnetfeld eine sehr komplexe Struktur aus einem Gewirr von dünnen Schichten angenommen hat.

Abb. 4: Eine Scherinstabilität in drei Dimensionen. Anfangs wurde dieses Modell von einem großen Wirbel beherrscht, der zum dargestellten Zeitpunkt bereits durch das Magnetfeld aufgelöst wurde. In der linken Hälfte ist das Magnetfeld blau und in der rechten Hälfte die Geschwindigkeit rot dargestellt. Beide weisen eine komplexe turbulente Struktur auf.

Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie strahlt ein Doppelsternsystem aus zwei Neutronensternen einen Teil seiner Bahnenergie und seines Drehimpulses in Form von Gravitationswellen ab. Die Sterne nähern sich deshalb immer weiter an, bis sie miteinander verschmelzen. Dabei bildet sich ein schwarzes Loch, das den größten Teil der Materie sofort aufsaugt. Ein kleiner Teil des Gases bildet vor seinem Verschwinden im Schwarzen Loch aber für kurze Zeit einen rotierenden Gasring. In weniger als einer Sekunde fällt auch dieser Überrest in das Schwarze Loch und beschleunigt dabei extrem schnelle Plasmajets (ähnlich einem riesigen, gewaltigen Geysir), die später eine Quelle intensiver Gammastrahlung darstellen, einen sogenannten kurzen Gammastrahlenblitz (engl. “gamma-ray burst”, GRB).

Die meisten Neutronensterne besitzen ein Magnetfeld, das bei Pulsaren direkt gemessen werden kann. Dieses könnte im Prinzip den Verschmelzungsvorgang beeinflussen. Dramatische Effekte treten nur bei Feldstärken auf, die weit über allen beobachteten Werten liegen, stärker sogar noch als die 100 Billionen Gauss der sogenannten Magnetare, der am stärksten magnetisierten Neutronensterne. Etwas schwächere Effekte könnten allerdings schon bei geringeren Feldstärken auftreten, falls das Feld während der Verschmelzung verstärkt wird.

Sobald die Neutronensterne aufeinander treffen, entsteht eine dünne Schicht, in der das Gas schnell in entgegengesetzter Richtung strömt. Diese Kontaktschicht ist instabil gegen die sogenannte Scherinstabilität. Nach kurzer Zeit bilden sich ungefähr kreisförmige Wirbel (siehe Abb. 1). In das Gas eingebettete magnetische Feldlinien werden durch die Wirbelströmung gedehnt und somit verstärkt - so wie die Spannung eines Gummibandes zunimmt, wenn man daran zieht. D. Price und S. Rosswog haben in einer früheren Arbeit abgeschätzt, dass das Magnetfeld auf diese Weise Werte von über 1000 Billionen Gauss erreichen kann; damit wären verschmelzende Neutronensterne die bei weitem stärksten Magnete im All.

Will man die Wechselwirkung zwischen dem Gas und dem Magnetfeld simulieren, so muss man äußerst kleine Längenskalen im Vergleich zur typischen Ausdehnung von Neutronensternen (von etwa 10 Kilometern) sehr genau abbilden, was einen großen Rechenaufwand erfordert. Will man andererseits die Bewegung der Neutronensterne insgesamt nachvollziehen, so muss man ein großes Gebiet (das beide Sterne umfasst) simulieren. Auch wenn in diesem Fall die extrem hohe Genauigkeit nur in einem kleinen Teil der Simulation benötigt wird, sind Simulationen der gesamten Neutronensternverschmelzung, die die magnetische Turbulenz in der Kontaktfläche genau beschreiben, gegenwärtig nicht möglich.

Modelle der Verschmelzung, die auch die letzte Phase der Annäherung, bevor sich die Neutronensterne berühren, umfassen, sind daher nicht imstande, einen genauen Wert für die zu erwartenden Feldstärken zu bestimmen, auch wenn sie in anderer Hinsicht eine recht gute Beschreibung der Vorgänge liefern. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astrophysik und der Universität Valencia führten deshalb Simulationen von magnetischen Scherströmungen durch, die denen in verschmelzenden Neutronensternen gleichen. Sie beschränkten sich dabei auf ein Gebiet von wenigen hundert Metern um die Kontaktfläche, simulierten also nur eine kleine Region der gesamten Verschmelzung, die sich über einige 10 Kilometer erstreckt.

Der Gasfluss ist instabil. Das Magnetfeld wächst anfangs zusammen mit der Scherinstabilität sehr rasch an. Bald entsteht allerdings ein Wirbel und das Wachstum der Scherinstabilität endet, wohingegen das Magnetfeld weiterhin verstärkt wird, da die Wirbelbewegung die Feldlinien dehnt (siehe Abb. 2).

Das Magnetfeld beeinflusst die Gasströmung nur dann nennenswert, wenn seine Energie der Bewegungsenergie des Gases vergleichbar ist. Das Magnetfeld ist in diesem Fall stark genug, einer weiteren Dehnung zu widerstehen und seinerseits Kräfte auf die Materie auszuüben. Aufgrund dieses Widerstands verlangsamt sich die Umdrehung des Wirbels und das Feld wird somit nicht weiter verstärkt. Im Extremfall wird der Wirbel sogar völlig aufgelöst (siehe Abb. 3). In dieser Phase nimmt das Magnetfeld wieder ab, zum einen, weil seine Energie das Gas abbremst, zum anderen, weil es in sekundären Instabilität abgebaut wird.

Die maximal erreichbare Feldstärke hängt nur von der Scherströmung, nicht aber vom Anfangsfeld ab. Allerdings vollzieht sich das Feldwachstum nicht gleichförmig in der gesamten instabilen und turbulenten Scherströmung. Ein starkes Magnetfeld wächst nur in kleinen, isolierten Gebieten. Der Rest der Kontaktschicht behält sein anfängliches, schwaches Feld bei (siehe Abb. 4). Aus diesem Grund ist der Mittelwert des Magnetfeldes geringer, je schwächer das Feld am Anfang der Simulation ist. Die Rückwirkung des Magnetfeldes auf das Gas läuft daher für ein schwaches Anfangsfeld deutlich langsamer ab als für ein starkes.

Übertragen auf die Scherströmung in verschmelzenden Neutronensternen bedeuten diese Ergebnisse, dass in der Tat ein extrem hoher Maximalwert des Magnetfeldes zu erwarten ist, auch wenn beide Neutronensterne nur schwach magnetisiert sind. Allerdings ist der Einfluss, den das Feld auf die Materie ausübt, örtlich begrenzt, da das starke Magnetfeld nur einen kleinen Teil des gesamten Volumens erfasst.


Martin Obergaulinger, Miguel Angel Aloy, Ewald Müller

Die Simulationen wurden am Rechenzentrum Garching (RZG) und am Barcelona Supercomputing Center - Centro Nacional de Supercomputación durchgeführt.

Originalveröffentlichung

M. Obergaulinger, M.A. Aloy, E. Müller, "Local simulations of the magnetized Kelvin-Helmholtz instability in neutron-star mergers", Astronomy & Astrophysics 515 (2010), id.A30