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Vor einigen Jahrzehnten basierte unser Verständnis der chemischen Evolution der
Milchstrasse auf zwei Beobachtungstatsachen. Zum einen ähnelte die chemische
Zusammensetzung von alten, massearmen Sternen im Halo stark der Zusammensetzung
unserer Sonne, wenn man sie an ihre geringe Metall-Häufigkeiten anpasste. Zum
anderen waren die Elementhäufigkeiten in Sternen der Scheibe - inklusive unserer
Sonne - identisch (mit einem Fehler von etwa 50%). Diese "Tatsachen" konnten
einfach durch das monolithische Kollapsszenario für Galaxienentstehung
beschrieben werden, bei dem sich Scheibengalaxien durch den Kollaps einer großen
Gaswolke bilden. Im Rahmen dieses Szenarios fand die stellare Nukleosynthese
aller schweren Elemente oder Metalle statt bevor der Halo kollabierte und eine
Scheibe bildete, d.h. während der ersten 0,1—0,3 Milliarden Jahre in der frühen
Galaxienentwicklung. Man nahm an, dass sich die mittlere Zusammensetzung der
interstellaren Materie (ISM) seitdem nicht grundlegend geändert hat.
Fortschritte bei den Instrumenten und Methoden zur Spektralanalyse ermöglichten
es in den letzten 20 Jahren die Häufigkeiten in Sternen mit einem Fehler von nur
etwa 10% zu berechnen. Das brachte interessante Regelmäßigkeiten bei den
unterschiedlichen Häufigkeiten von Sternen in verschiedenen Populationen ans
Licht. So deuteten beispielsweise Regelmäßigkeiten bei den so genannten
Alpha-Elementen (z.B. O, Mg, Ca) oder bei Elementen der Eisengruppe
(Kernladungszahlen 22 < Z < 28, d.h. Ti, V, Cr, Mn, Fe, Co, Ni) darauf hin, dass die
chemische und dynamische Evolution unserer Galaxie in der Tat sehr komplex ist.
Die verschiedenen Strukturen der Milchstrasse (Scheibe, Bulge, Halo,
Kugelsternhaufen) bildeten sich auf unterschiedlichen Zeitskalen und durch
unterschiedliche Mechanismen, unter anderem auch durch Verschmelzung mit
Satellitengalaxien und durch Akkretion von Gas aus dem intergalaktischen Medium.
Seltsamerweise können auch heute noch die modernsten chemischen
Evolutionsmodellen die beobachteten Häufigkeitsverteilungen der verschiedenen
Elemente der Eisengruppe in metallarmen Sternen der Milchstrasse nicht
gleichzeitig erklären. Spektroskopische Studien zeigen bei abnehmender
Metallizität abnehmende [Cr/Fe] und wachsende [Ti/Fe] Verhältnisse, während das
[Co/Fe] Verhältnis bis zu den geringsten Metallizitäten dem unserer Sonne
entspricht. (Die eckigen Klammern geben an, dass die logarithmischen relativen
Häufigkeiten dieser zwei Elemente in einem Stern relativ zur ihrem Verhältnis in
der Sonne bestimmt werden.) Diese Trends widersprechen der Theorie der stellaren
Nukleosynthese und ihrer Vorhersage, dass stabile Kerne mit ungerader
Kernladungszahl (V, Mn, Co) gegenüber stabilen Kernen mit gerader
Kernladungszahl (Cr, Fe, Ni) in einer metallarmen Umgebung unterdrückt werden.
Obwohl die meisten Studien dieses Problem Mängeln der Modellierung der
chemischen Evolution der Milchstrasse zuschreiben, beunruhigte uns die
Genauigkeit der spektroskopisch bestimmten Häufigkeiten in Sternen. Tatsächlich
enthalten alle vorherigen Abschätzungen der Häufigkeiten von
Eisengruppenelementen einen systematischen Fehler, da sie nicht das wahre
kinetische Gleichgewicht (auch bekannt unter dem Namen Nicht-lokales
thermodynamisches Gleichgewicht NLTE) eines Elements durch die gesamte stellare
Atmosphäre betrachten. NLTE-Berechnungen berücksichtigen explizit die
Wechselwirkung der Atome mit dem Strahlungsfeld, indem sie die Gleichungen für
Strahlungstransfer und statistisches Gleichgewicht für jedes atomare
Energieniveau und jede Ionisierungsstufe lösen.
Wir erstellten vollständige atomare Modelle für mehrere Elemente der Eisengruppe
und führten zum ersten Mal NLTE-Berechnungen zur Bildung spektraler Linien für
neutrale Atome und einfach geladene Ionen durch, mithilfe von Modellen der
Sternatmosphären. Die synthetischen Spektren wurden dann mit beobachteten
Spektren von metallarmen Feldsternen unserer Galaxie und des Kugelsternhaufens
Omega Centauri verglichen, um die Elementhäufigkeiten abzuleiten.
Anders als in früheren Studien stellen wir fest, dass metallarme galaktische
Sterne große Mengen des Elements Kobalt (mit ungerader Kernladungszahl)
enthalten, aber fast solare Anteile von Chrom (gerade Kernladungszahl) und
Mangan (ungerade Kernladungszahl) relativ zu Eisen. Die Titanhäufigkeiten in
metallarmen, galaktischen Sternen folgen dem bekannten Trend von Alpha-Elementen
(Mg, Ca) mit [Fe/H]. Das Verhalten von [Cr/Fe] mit [Fe/H] kann zwar mit
chemischen Evolutionsmodellen der Milchstrasse reproduziert werden ohne
zusätzliche Annahmen machen zu müssen, wie beispielsweise besondere Bedingungen
im ISM. Allerdings sind die Modelle immer noch völlig unzureichend um die
Halo-Trends von [Mn/Fe], [Co/Fe], und [Ti/Fe] zu reproduzieren. Diese relativen
Häufigkeiten hängen nur wenig von dem Großteil der Parameter in den chemischen
Evolutionsmodellen ab, außer für die stellare Nukleosynthese, die durch eine
theoretisch berechnete Element-Ausbeute für Sterne unterschiedlicher Masse und
Metallizität ausgedrückt wird. Elemente der Eisengruppe werden beim explosiven
Brennen von Silizium erzeugt, das entweder in massereichen Sternen stattfindet,
bei deren Explosion als Supernova vom Typ II, oder bei explodierenden Weissen
Zwergen in Binärsystemen (Supernova vom Typ Ia). Unsere Ergebnisse sind deshalb
nützlich um die Modelle von Supernovae und die Eigenschaften ihrer Vorläufer
einzugrenzen.
Für Riesensterne im Kugelsternhaufen Omega Centauri fanden wir ein interessantes
Muster bei den Mangan-Häufigkeiten. Die Werte für [Mn/Fe] bei metallarmen
Sternen in Omega Centauri ([Fe/H] ~ -1,5 ... -1,8) überlappen sich mit denen von
Halo-Sternen der Milchstrasse. Allerdings nimmt [Mn/Fe] in zwei metallreicheren
Sternen im Roten-Riesen-Ast von Omega Centauri ab, im Unterschied zu Sternen der
galaktischen Scheibe. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Supernovae mit
niedriger Metallizität (vom Typ II oder Ia) die Anreicherung von Sternen mit
mehr Metallen in diesem Kugelsternhaufen dominierten.
Die Analyse der Häufigkeiten von Elementen der Eisengruppe in alten, metallarmen
Sternen eröffnet viele Möglichkeiten. Sie ist nicht nur als Diagnosewerkzeug
für die physikalischen Bedingungen in den Sternatmosphären nützlich, sondern
eignet sich auch, um die Nukleosynthese in Supernovae, die Anreicherung des ISM
mit chemischen Elementen und damit die chemische Evolution der Milchstrasse und
von Galaxien im Allgemeinen besser zu verstehen.
Maria Bergemann
Veröffentlichungen:
M. Bergemann and G. Cescutti, 2010, submitted to A & A
Bergemann et al., 2010, MNRAS 401, 1334-1346
K. Cunha, V. V. Smith, M. Bergemann, N. Suntzeff and D. Lambert, 2010,
submitted to ApJ
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