| |
Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Objekte im
Universum. Etwa 80 Prozent ihrer Masse besteht aus Dunkler Materie, 15
Prozent aus heißem Gas und nur wenige Prozent aus Sternen. Das heiße Gas
ist deshalb die dominante baryonische Komponente in Haufen und die
größte Masse, die man direkt beobachten kann. Entlang der Sichtlinie
kann man die Bewegung des Gases im Haufen prinzipiell mit Hilfe des
Dopplereffekts in Röntgenspektrallinien bestimmen. Allerdings braucht
man dazu Röntgenspektrometer mit hoher Auflösung, da die erwarteten
Dopplerverschiebungen sehr klein sind. Bewegungen quer zur Sichtlinie
mit den herkömmlichen spektroskopischen Methoden zu messen ist quasi
unmöglich, da die Dopplerverschiebung hier etwa 100 Mal kleiner ist.
Deshalb untersuchten wir, wie die Bewegungen des Gases die Polarisation
des Röntgenlichts beeinflussen.
Das heiße Gas (107 - 108 K) in Galaxienhaufen emittiert
Röntgenstrahlung sowohl als Kontinuum als auch in Emissionslinien von
ionisierten schweren Elementen. Da Eisen das häufigste Element ist, sind
die Eisen-Resonanzlinien besonders stark und hell. Für diese Linien ist
der Streuquerschnitt viel größer als für das Kontinuum und die optische
Tiefe erreicht Werte von eins und darüber, was bedeutet, dass jedes
emittierte Photon im Mittel mindestens einmal gestreut wird. So beträgt
zum Beispiel die optische Tiefe für die Eisenlinie bei einer Energie von
6,7 keV in den hellsten Galaxienhaufen am Himmel, dem Perseus- und dem
Virgo-Haufen, ungefähr 3 bzw. 1,4.
Die atomare Struktur der Ionen bestimmt die Absorption und Re-Emission
eines Photons als eine Kombination aus isotropischer und Rayleigh-
Streuung. Es ist bekannt, dass der Rayleigh-Anteil an der Streuung zu
einer Polarisation der emittierten Strahlung führt (genau wie bei der
Thomson-Streuung), wenn im ursprünglichen Strahlungsfeld ein
Quadrupolmoment vorhanden ist. In Galaxienhaufen entsteht ein derartiges
Quadrupolmoment natürlicherweise, wenn entweder die Streuung weit ab vom
hellen, zentralen Kern des Haufens stattfindet und/oder wenn
Gasbewegungen vorhanden sind. Der erwartete Anteil an Polarisation ist
groß: im Perseus-Haufen erreicht sie etwa 7 Prozent in der Eisenlinie
bei 6,7 keV, im Virgohaufen einige Prozent in den vielversprechendsten
Linien (siehe Abb. 1).
Transversale Gasbewegungen im Galaxienhaufen ändern den erwarteten
Anteil und die Richtung der Polarisation, da der Streuquerschnitt in der
Bewegungsrichtung abnimmt. Mithilfe von modernen, vollständig drei-
dimensionalen Simulationen von Galaxienhaufen berechneten wir die
erwartete Polarisation der Röntgenlinien, wenn man Gasbewegungen
berücksichtigt. In Abb. 2 sieht man, dass das die Polarisation in der
Eisenlinie 500 kpc vom Haufenzentrum entfernt etwa 25 Prozent erreicht,
wenn das Gas sich in Ruhe befindet. Mit dem Einfluss von Gasbewegungen
verringert sich die Polarisation auf etwa 10 Prozent und die
Polarisationsebene dreht sich.
Mit hoch auflösender Röntgenspektroskopie und polarimetrischen Studien
bricht eine neue Ära an, die von der Entwicklung einer neuen Generation
von Röntgendetektoren getrieben wird. Die erste polarimetrische Mission
GEMS ,
die auf dem Prinzip des
Photoeffekts beruht, ist bereits genehmigt und finanziert und wird in
Bälde starten. Mehrere weitere Missionen sind im Gespräch. Die Messung
der Polarisation von hellen Röntgen-Emissionslinien und der Vergleich
mit Simulationen wird uns mit neuen Informationen über die großräumige
und turbulente Gasbewegung in Galaxienhaufen versorgen.
Irina Zhuravleva, Eugene Churazov, Sergey Sazonov, Rashid Sunyaev, Klaus Dolag
Veröffentlichung:
Zhuravleva I.V., Churazov E.M., Sazonov S.Y., Sunyaev R.A., Forman W., Dolag K.,
'Polarization of X-ray lines from galaxy clusters and elliptical
galaxies - a way to measure the tangential component of gas velocity',
MNRAS, 403, 129—150 (2010)
|