Polarisation als Maß für die Bewegung von Gas in Galaxienhaufen

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) haben das erwartete Polarisationssignal von hellen Röntgenlinien in Galaxienhaufen berechnet und gezeigt, dass dieses Signal besonders empfindlich von der Gasbewegung quer zur Sichtlinie abhängt. Die Polarisation, die durch Resonanzstreuung im heißen Intracluster-Medium verursacht wird, eröffnet die einzigartige Möglichkeit, die Bewegung von Gas in Galaxienhaufen quer zur Sichtlinie zu untersuchen.

Abb. 1: Diese Grafiken zeigen den Polarisationsanteil in verschiedenen Emissionslinien als Funktion des projizierten Abstands vom Haufenzentrum. Auf dem rechten Bild ist die Polarisation in der stärksten Eisen-Resonanzlinie bei einer Energie von 6,7 keV im Perseus- Haufen gezeigt, auf dem linken Bild die Polarisation in einigen der stärksten Resonanzlinien im Virgohaufen (M87).

Abb. 2: In diesen Simulationen sind der Anteil der Polarisation sowie deren Richtung in der Eisenlinie bei 6,7 keV gezeigt, wobei die Farben ein Maß für die Stärke der Polarisation darstellen und die kurzen Striche die Orientierung des elektrischen Vektors wiedergeben. Dem überlagert sind die Konturen der Oberflächenhelligkeit im Röntgenbereich zu sehen. Das linke Bild zeigt den Fall, wenn das Gas sich in Ruhe befindet, das rechte Bild die Ergebnisse, wenn Gasbewegungen berücksichtigt werden.

Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Objekte im Universum. Etwa 80 Prozent ihrer Masse besteht aus Dunkler Materie, 15 Prozent aus heißem Gas und nur wenige Prozent aus Sternen. Das heiße Gas ist deshalb die dominante baryonische Komponente in Haufen und die größte Masse, die man direkt beobachten kann. Entlang der Sichtlinie kann man die Bewegung des Gases im Haufen prinzipiell mit Hilfe des Dopplereffekts in Röntgenspektrallinien bestimmen. Allerdings braucht man dazu Röntgenspektrometer mit hoher Auflösung, da die erwarteten Dopplerverschiebungen sehr klein sind. Bewegungen quer zur Sichtlinie mit den herkömmlichen spektroskopischen Methoden zu messen ist quasi unmöglich, da die Dopplerverschiebung hier etwa 100 Mal kleiner ist. Deshalb untersuchten wir, wie die Bewegungen des Gases die Polarisation des Röntgenlichts beeinflussen.

Das heiße Gas (107 - 108 K) in Galaxienhaufen emittiert Röntgenstrahlung sowohl als Kontinuum als auch in Emissionslinien von ionisierten schweren Elementen. Da Eisen das häufigste Element ist, sind die Eisen-Resonanzlinien besonders stark und hell. Für diese Linien ist der Streuquerschnitt viel größer als für das Kontinuum und die optische Tiefe erreicht Werte von eins und darüber, was bedeutet, dass jedes emittierte Photon im Mittel mindestens einmal gestreut wird. So beträgt zum Beispiel die optische Tiefe für die Eisenlinie bei einer Energie von 6,7 keV in den hellsten Galaxienhaufen am Himmel, dem Perseus- und dem Virgo-Haufen, ungefähr 3 bzw. 1,4.

Die atomare Struktur der Ionen bestimmt die Absorption und Re-Emission eines Photons als eine Kombination aus isotropischer und Rayleigh- Streuung. Es ist bekannt, dass der Rayleigh-Anteil an der Streuung zu einer Polarisation der emittierten Strahlung führt (genau wie bei der Thomson-Streuung), wenn im ursprünglichen Strahlungsfeld ein Quadrupolmoment vorhanden ist. In Galaxienhaufen entsteht ein derartiges Quadrupolmoment natürlicherweise, wenn entweder die Streuung weit ab vom hellen, zentralen Kern des Haufens stattfindet und/oder wenn Gasbewegungen vorhanden sind. Der erwartete Anteil an Polarisation ist groß: im Perseus-Haufen erreicht sie etwa 7 Prozent in der Eisenlinie bei 6,7 keV, im Virgohaufen einige Prozent in den vielversprechendsten Linien (siehe Abb. 1).

Transversale Gasbewegungen im Galaxienhaufen ändern den erwarteten Anteil und die Richtung der Polarisation, da der Streuquerschnitt in der Bewegungsrichtung abnimmt. Mithilfe von modernen, vollständig drei- dimensionalen Simulationen von Galaxienhaufen berechneten wir die erwartete Polarisation der Röntgenlinien, wenn man Gasbewegungen berücksichtigt. In Abb. 2 sieht man, dass das die Polarisation in der Eisenlinie 500 kpc vom Haufenzentrum entfernt etwa 25 Prozent erreicht, wenn das Gas sich in Ruhe befindet. Mit dem Einfluss von Gasbewegungen verringert sich die Polarisation auf etwa 10 Prozent und die Polarisationsebene dreht sich.

Mit hoch auflösender Röntgenspektroskopie und polarimetrischen Studien bricht eine neue Ära an, die von der Entwicklung einer neuen Generation von Röntgendetektoren getrieben wird. Die erste polarimetrische Mission linkPfeilExtern.gif GEMS , die auf dem Prinzip des Photoeffekts beruht, ist bereits genehmigt und finanziert und wird in Bälde starten. Mehrere weitere Missionen sind im Gespräch. Die Messung der Polarisation von hellen Röntgen-Emissionslinien und der Vergleich mit Simulationen wird uns mit neuen Informationen über die großräumige und turbulente Gasbewegung in Galaxienhaufen versorgen.


Irina Zhuravleva, Eugene Churazov, Sergey Sazonov, Rashid Sunyaev, Klaus Dolag


Veröffentlichung:

Zhuravleva I.V., Churazov E.M., Sazonov S.Y., Sunyaev R.A., Forman W., Dolag K., 'Polarization of X-ray lines from galaxy clusters and elliptical galaxies - a way to measure the tangential component of gas velocity', MNRAS, 403, 129—150 (2010)