Dynamische Bildung von Röntgendoppelsternen im Kern der Andromeda-Galaxie

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astrophysik haben eine ungewöhnliche Population heller kompakter Röntgenquellen im Kern der Andromeda-Galaxie entdeckt. Diese Quellen werden durch Akkretion auf relativistische Objekte mit Energie versorgt und haben sich bei Zusammenstößen von schwarzen Löchern und Neutronensternen mit gewöhnlichen Sternen gebildet, wie sie häufig in der durch hohe Sternendichte geprägten Umgebung des Kerns vorkommen.

Fig. 1: Chandra-Röntgenbild des inneren Bulge der Andromeda-Galaxie im Bereich 0,5-2 keV. Die Mehrheit der Quellen innerhalb des dunkelblauen Kreises (Radius von 60") werden über Absorption von Sternen niedriger Masse durch schwarze Löcher und Neutronensterne sowie über Kollisionen der letzteren mit roten Riesen gebildet.

Fig. 2: Die radiale Verteilung kompakter Röntgenquellen in M31. Zwei glatte durchgezogene Linien zeigen die prognostizierte Verteilung der stellaren Masse ρ und ihres Quadrats ρ².

Es ist seit langem bekannt, dass das Verhältnis der Anzahl von Röntgendoppelsternen geringer Masse (low mass X-ray binaries, LMXBs) zur Sternenmasse in Kugelsternhaufen ungefähr zwei Größenordnungen höher ist als in der galaktischen Scheibe. Seit Chandra und XMM-Newton in Betrieb sind, sind Studien punktförmiger Röntgenquellen in äußeren Galaxien möglich geworden und haben gezeigt, dass auch dort LMXBs in Kugelhaufen besonders reichlich vorhanden sind. Dies wird auf dynamische Prozesse zurückgeführt, durch welche LMXBs bei Zusammenstößen kompakter Objekte mit normalen Sternen entstehen. Der bekannteste dieser Prozesse ist das Absorbieren eines Hauptreihensterns durch einen Neutronenstern oder ein schwarzes Loch. Zusammenstöße kompakter Objekte mit roten Riesen und Austauschreaktionen während Interaktionen zwischen Doppelsternen und Einzelsternen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Aufgrund der ρ² Abhängigkeit von Zusammenstößen zweier Objekte von der Sternendichte sind sie in Kugelsternhaufen häufig, außerhalb dagegen vernachlässigbar. Zum Beispiel in massereichen elliptischen Galaxien, die gewöhnlich durch reiche Kugelsternsysteme gekennzeichnet sind, genauso wie ∼ 2/3 von Röntgendoppelsternen in Kugelsternhaufen angesiedelt sein können.

In den zentralen Teiler massiver Galaxien können die Sternendichten ∼ 103 - 104 pc-3 erreichen. Dies ist immer noch etwas niedriger als die Dichten in den hellsten Kugelsternhaufen, wo die LMXBs vorzugsweise zu finden sind. Jedoch gleicht die hohe Menge die geringe Dichte aus, und LMXBs können nahe den galaktischen Zentren bei Zusammenstößen zweier Objekte in hoher Zahl erzeugt werden. Wegen der hohen Sternenmasse, die in der zentralen Region einer Galaxie enthalten ist, existiert dort auch eine gewisse Zahl primordialer LMXBs, die sich auf dem evolutionären Standardwege gebildet haben. Obwohl diese nicht leicht von Doppelsternen, die aus Zusammenstößen zweier Objekte hervorgegangen sind, unterschieden werden können, kann ein statistisches Argument angewandt werden, das vorher für die Entdeckung der dynamischen Bildung von Doppelsternen in Kugelsternhaufen gebraucht wurde. Die Volumendichte der ursprünglichen LMXBs folgt der Verteilung der Sternenmasse in einer Galaxie, während die räumliche Verteilung der dynamisch gebildeten Doppelsterne dem ρ²/v Gesetz folgen sollte. Daher sollte man erwarten, dass die letztere in Richtung des Zentrums der Muttergalaxie eine viel höhere Konzentration aufweisen und sich als Population von “überzähligen” Quellen in ihrem Kern erweisen sollte.

M31 ist die uns nächste Spiralgalaxie in voller Größe. Bei einer Entfernung von 780 kpc können Röntgenquellen leicht mit Chandra aufgelöst werden, selbst in der Nähe des Zentrums der Galaxie (Abb. 1). Es wurde mit Chandra ausgiebig untersucht. Wenn wir diese Daten benutzen, finden wir eine deutliche Steigerung der spezifischen Häufigkeit von Röntgenquellen, pro Sternenmassen-Einheit, innerhalb von einer Bogenminute Entfernung vom Zentrum der Galaxie. Die radiale Verteilung überzähliger Quellen in diesem Gebiet folgt dem ρ² Gesetz (Abb. 2), was nahe legt, dass sie Röntgendoppelsterne niedriger Masse sind, die sich dynamisch in der dichten Sternenumgebung des inneren Bulge gebildet haben.

Während dynamische Interaktionen in Kugelsternhaufen in den 70er und 80er Jahren untersucht wurden, ist die Bandbreite der Parameter, die für galaktische Zentren typisch sind, noch unerforscht. Die Geschwindigkeiten von Sternen sind im Bulge um eine Größenordnung höher, was den Charakter der dynamischen Interaktionen verändert und daher auch die Rolle unterschiedlicher Entstehungswege. Wir haben die dynamische Entstehung von Doppelsternen und ihre weitere Entwicklung bis zur Phase aktiver Röntgenstrahlung im Bereich hoher Sternengeschwindigkeiten untersucht. Wir fanden heraus, dass Röntgendoppelsterne im Bulge einer typischen Spiralgalaxie mit einer Geschwindigkeit von of ∼ 50 - 100 per Gyr gebildet werden. Die Berechnungen legen nahe, dass die Mehrzahl der überzähligen Quellen aus der Absorption von Hauptreihensternen geringer Masse durch schwarze Löcher resultieren, M < 0.3Msun, mit einem geringeren Beitrag durch Neutronensternsysteme desselben Typs. Wegen der hohen Sternengeschwindigkeiten im Bulge sollten sehr kompakte und helle Doppelsternsysteme erzeugt werden, mit einer Röntgenhelligkeit von log LX > 37 und einer Umlaufdauer von ∼ 1 - 2 Stunden und kürzer. Aufgrund der geringen Größe der Akkretionsscheiben in solchen Systemen könnte ein Großteil der schwarzen Löcher langlebige Röntgenquellen sein, im Gegensatz zur Population der meist kurzlebigen primordialen binären schwarzen Löcher in der galaktischen Scheibe. Einige der Quellen werden ultrakompakte Röntgendoppelsterne mit Heliumsternen oder Weißen Zwergen als Begleiter sein, die sich in den Zusammenstößen kompakter Objekte mit roten Riesen gebildet haben. Wir sagen auch eine hohe Zahl schwacher schnell variabler Quellen innerhalb von ∼ 1 Bogenminuten vom galaktischen Zentrum von M31 voraus, sowohl schwarze Löcher als auch Neutronensterne. Letztere könnten Vorläufer der akkretierenden Millisekunden-Pulsare sein, ähnlich dem berühmten SAX J1808.4-3658, der vor zehn Jahren in unserer Galaxis entdeckt wurde.


Marat Gilfanov, Rasmus Voss; Übersetzung: Mona Clerico


Veröffentlichungen:

R.Voss and M.Gilfanov, 2007, A&A, 468, 49

R.Voss and M.Gilfanov, 2007, MNRAS, 380, 1685

R.Voss, M.Gilfanov, R.Kraft et al., 2009, ApJ, eingereicht