Wie Dunkle Materie aussehen sollte

Zahlreiche Beobachtungen zeigen heute, dass Dunkle Materie existiert, aber ihre Natur ist immer noch nicht geklärt. Derzeit laufende Experimente zur Suche nach Dunkler Materie benötigen Informationen zu ihrer Verteilung auf Skalen, die wesentlich kleiner sind als die derzeit mit kosmologischen Supercomputer Simulationen zugänglichen Größenordnungen. Wissenschaftler des Max-Planck Instituts für Astrophysik (MPA) und der Universität Groningen haben nun eine neue bahnbrechende Simulationstechnik entwickelt, um die benötigten Skalen auflösen zu können. Dies erlaubt zum ersten Mal die Beobachtungen sehr feiner Strukturen in der Dunklen Materie Verteilung, die für die 'Jagd nach Dunkler Materie' benötigt werden.

Abb. 1: Ein-dimensionaler Phasenraum (Position-Geschwindigkeit-Plot) für CDM. CDM liegt auf der dicken Linie. Die Dicke dieser Linie repräsentiert die sehr kleine primordiale Geschwindigkeitsdispersion der kalten DM. Als das Universum noch sehr jung war, gab es nur einen Stream (Hubble Fluß). Sobald Überdichten anfangen zu wachsen rollt sich das Phasenraum-Blatt auf, wie es in der Abbildung gezeigt ist. Dadurch treten mehrere Streams auf: an einer Position gibt es nun DM Teilchen mit verschiedenen Geschwindigkeiten. An den Stellen wo sich die Zahl der Streams ändert ist die DM-Dichte sehr hoch. Dies sind sogenannte Kaustiken.

Abb. 2: Die Abbildung zeigt die Zahl durchlaufener Kaustiken für DM-Teilchen in der Simulation. Die Rechnung wurde für ein sphärisch symmetrisches Halo-Potential in Form eines Hernquist-Profils durchgeführt. Die rote Kurve zeigt das analytische Resultat, während die grüne das Ergebnis für eine Rechnung mit GADGET zeigt, wobei der Halo als ein N-Teilchen-System aufgesetzt wurde. Beide Kurven zeigen hervorragende Übereinstimmung bis zur Auflösungsgrenze der Simulation. Dies demonstriert wie gut die Kaustik-Identifikation mit der neuen Technik funktioniert.

Abb. 3: Abfall der Stream-Dichte für vier verschiedene Bahnen in einem sphärisch symmetrischen (blau) und triaxialen (rot) NFW DM Halo. Das zugrundeliegende Halo-Modell ist ein Fit zu Profilen, die in kosmologischen Simulationen beobachtet wurden. Die Triaxialität führt zu einem schnelleren Abfall der Stream-Dichte im inneren Bereich des Halos, weil das Halo-Potential bei diesen Radien nicht mehr sphärisch symmetrisch ist. Der schnelle Dichteabfall hat zur Folge, dass die zu erwartende Zahl von DM-Streams nahe der Erde relativ hoch ist und zu einer glatten und nicht klumpigen Geschwindigkeitsverteilung führt. Die Spitzen der Kurven entsprechen den Punkten, bei denen das Teilchen sich durch eine Kaustik bewegt.

Die Teilchenphysik sagt einige noch nicht entdeckte Teilchentypen als möglich Kandidaten für Dunkle Materie (DM) voraus, so zum Beispiel WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles). Obwohl diese Teilchen, wie der Name schon sagt, nur sehr schwach mit gewöhnlicher Materie wechselwirken, können sie möglicherweise durch direkte und indirekte Suchstrategien nachgewiesen werden. Eine direkte Detektion basiert auf einem Streuprozess mit gewöhnlicher Materie, welcher in einem Detektor nachgewiesen werden könnte. Indirekte Experimente machen sich eine weitere Eigenschaft zu nutze: zwei DM Teilchen können annihilieren und erzeugen dabei sichtbare Gamma-Strahlung, die beispielsweise mit dem kürzlich gestarteten GLAST-Satelliten beobachtet werden könnte. Beide Suchmethoden werden derzeit intensiv verfolgt, aber bis jetzt wurde mit ihnen noch keine DM nachgewiesen. Eine solche Entdeckung stellt den entscheidenden Test der DM Theorie dar.

Die schwache Wechselwirkung der DM Teilchen mit gewöhnlicher Materie macht die Suche nach ihnen extrem schwierig. Daher werden gute theoretische Vorhersagen ihrer Verteilung zur genauen Abstimmung der Detektoren benötigt. Die Abmessungen eines Detektors sind winzig im Vergleich zu den Größenordnungen mit denen sich Kosmologen gewöhnlich beschäftigen. Sowohl direkte als auch indirekte Suchtechniken hängen empfindlich von Eigenschaften der DM auf sehr kleinen Größenskalen ab. Das heutige Bild von DM nimmt an, dass diese hauptsächlich kalt ist: Kalte Dunkle Materie (Cold Dark Matter, CDM). Kalt bezieht sich hierbei auf die primordiale Geschwindigkeitsdispersion der DM Teilchen, die in diesem Fall sehr gering ist. Die Kälte bedingt eine sehr spezielle dynamische Entwicklung, die zu charakteristischen Eigenschaften der DM auf kleinen Skalen führt. Hierdurch können sogenannte Streams und Kaustiken auftreten (siehe Abb. 1). Eine geringe Anzahl von Streams an einer bestimmten Position im Raum führt zu einer sehr klumpigen Geschwindigkeitsverteilung der DM. Kaustiken auf der anderen Seite führen zu kleinen Gebieten mit möglicherweise sehr hoher Dichte. Diese Charakteristika beeinflussen die Detektorsignale. Kaustiken können beispielsweise dazu führen, dass die Gamma-Strahlung durch Annihilation deutlich höher ist als ohne Kaustiken. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Verstärkung durch die Kaustiken. Eine niedrige Anzahl von Streams nahe der Erde würde auf der anderen Seite ein sehr charakteristisches Signal in den direkten Suchexperimenten hervorrufen.

Das Hauptwerkzeug der modernen Kosmologie zum Verstehen der kosmischen Strukturbildung und DM-Verteilung sind kosmologische Supercomputer-Simulationen. Solche Simulation sind jedoch durch die derzeit zur Verfügung stehende Rechenleistung der Computer beschränkt. Daher war es bis jetzt nicht möglich, die für die Detektion relevanten kleinen Skalen aufzulösen.

Mark Vogelsberger, Simon White, Volker Springel (alle MPA) und Amina Helmi (Universität Groningen) haben deshalb eine neue Simulationstechnik entwickelt, um diese kleinen Strukturen in den derzeitigen N-Körper Simulationen zum ersten Mal sichtbar zu machen. Die MPA Wissenschaftler haben diese neue Technik in Volker Springel's GADGET Code, einem der führenden Programme für kosmologische Simulationen, eingebaut. Abb. 2 demonstriert die Identifikation von Kaustiken in der DM-Verteilung, was nun erstmals durch diese neue Technik möglich wurde. Gezeigt wird das Ergebnis einer Rechnung für einen sphärisch symmetrischen DM Halo. Die Kurven zeigen die Zahl der Kaustiken, die von einzelnen DM Simulationsteilchen passiert wurden, während sie sich auf ihrem Orbit im Halo bewegen. Die grüne Kurve zeigt das Resultat der neuen Methode, während die rote Kurve das analytische Ergebnis zum Vergleich zeigt. Es ist sehr beeindruckend, wie gut beide Kurven übereinstimmen. Dies demonstriert die sehr genaue Kaustik-Identifikation, die mit Hilfe der neuen Methode möglich ist. Dies kann nun weiter verwendet werden um die Kaustik-Verstärkungsfaktoren zur Gamma-Strahlung zu berechnen.

Eine andere Anwendung der neuen Methode ist die Berechnung der DM-Streamzahl in der Nähe der Erde. Mit Hilfe eines einfachen Halo-Modells für unsere Milchstraße, das die radialabhängige Triaxialität des Halos berücksichtigt, kann mit der neuen Technik eine Streamzahl von circa 100.000 vorhergesagt werden. Der Grund für diese recht hohe Zahl liegt in dem schnellen Abfall der Dichte individueller Streams. Es zeigt sich, dass diese Dichten im allgemeinen mit 1/(t/torbital)3 (siehe Abb. 3) im Halo abfallen. Weiter finden sich gerade im inneren Bereich des Halos auch chaotische Regionen, die dazu führen, dass die Streamdichte noch deutlich schneller abfällt. Die daraus resultierenden geringen Streamdichten führen dann zu der hohen Zahl von Streams nahe der Erde. Daher sollten Detektoren, die nach DM suchen, eine glatte und nicht klumpige Geschwindigkeitsverteilung sehen.


Mark Vogelsberger, Simon White, Amina Helmi, Volker Springel


Veröffentlichungen

Mark Vogelsberger, Simon White, Amina Helmi and Volker Springel
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 385, Issue 1, pp. 236-254.