Die Sonnengranulation genauer betrachtet

Wie würde die Oberfläche unserer Sonne aussehen, wenn wir Teleskope zur Verfügung hätten mit einer Auflösung zehnmal höher als die der heutigen Instrumente? Würde die Sonne weiter im Inneren unterschiedlich aussehen? In einer internationalen Zusammenarbeit sind Wissenschaftler der Universität Wien, Österreich, und des Max Planck Instituts für Astrophysik der Beantwortung dieser Frage mit numerischen Simulationen auf Hochleistungsrechnern nachgegangen. Eine hoch turbulente Strömung, die immer mehr Details erkennen ließ, fand sich versteckt unter der glatt erscheinenden Oberfläche, wie wir sie von Aufnahmen unserer Sonne im sichtbaren Licht kennen.

Abb. 1: Die Abbildung zeigt ein 2600 km breites und 2000 km tiefes Gebiet. Horizontale und vertikale Auflösung betragen jeweils 3 km bzw. 2 km. Die Region befindet sich in einem 11200 km breiten und 3000 km tiefen Gebiet, das mit einer Auflösung von 12 km mal 8 km simuliert wird. Das obere Bild zeigt die Simulation, das untere die Grössenverhältnisse. Die dargestellte Größe ist die Entropie. Sie hängt eng mit der Temperatur zusammen und erlaubt es, den Ursprung des Gases leichter zu verfolgen. Gas mit hoher Entropie ist rot dargestellt und stammt weiter aus dem Inneren. Gas mit niedriger Entropie ist blau dargestellt und wurde in den Oberflächenschichten abgekühlt. Zwischenwerte werden grün und gelb dargestellt. Diese treten auch am Übergang zwischen den sichtbaren Schichten (oben) zu den unterhalb verborgenen Schichten auf, als scharfe, aber glatte Grenze im obersten Teil der Abbildung.

Abb. 2: Der Film zeigt die Entwicklung der Temperatur im selben Gebiet für dieselbe Simulation wie in Abb. 1, aber zu einem früheren Zeitpunkt. Er illustriert die Entwicklung von einem Zustand, wie er auch in niedriger Auflösung beobachtet werden kann (erstes Bild) bis zur Ausbildung kleinskaliger Strukturen (bereits nach den ersten 40 von 262 Einzelbildern). Die gezeigte Größe ist die Differenz zwischen der lokalen Temperatur und der horizontal gemittelten Temperatur (beide auf einer logarithmischen Skala). Überdurchschnittlich heiße Gebiete sind rot dargestellt, überdurchschnittlich kalte blau, Gebiete mit Durchschnittstemperaturen grün. Dünne schwarze Linien verbinden Orte mit identischer Differenz zwischen dem Druck und seinem horizontalen Mittel. Diese Darstellung ähnelt daher einer Wettervorhersagekarte. Zu beachten ist hier, daß die senkrechte Richtung (X) tatsächlich der Vertikalen in der Simulation entspricht (Y bezeichnet die horizontale Richtung, angedeutet durch die Pfeile) und in einer Wettervorhersagekarte die Isolinien Orte mit gleichem lokalen Druck verbinden. (Langversion des linkPfeil.gifFilms, 32 MB)

Abb. 3: Der Film zeigt ein Gebiet, das in jeder horizontalen Richtung (Y, Z) 4000 km breit ist und 2000 km tief (X). Horizontale und vertikale Auflösung betragen jeweils 10 km bzw. 7 km. Diese Region ist in ein 11200 km breites und 3000 km tiefes Gebiet eingebettet, das mit einer horizontalen Auflösung von 40 km und einer vertikalen von 28 km simuliert wird. Die dunkelgelbe Oberfläche verbindet alle Punkte mit einer Temperatur von 8000 K. Eine spezielle räumliche Darstellung (volume rendering) wird benutzt, um große Druckunterschiede sichtbar zu machen. Die dafür ausgesuchte physikalische Größe ist die Norm (Länge) des Gradienten der Differenz zwischen lokalem Druck und dessen horizontalem Mittel (beide in logarithmischen Einheiten). Orte mit großen lokalen Druckschwankungen erscheinen rot. Mäßig große Druckschwankungen sind blau dargestellt, Zwischenwerte in grün und hellgelb.

Beobachtungen unserer Sonne zeigen ein bekanntes Granulationsmuster von hellen Strukturen im sichtbaren Licht (den Granulen), die in ein Netzwerk aus Gas mit viel geringerer Helligkeit eingebettet sind. Im Durchschnitt dehnen sich solche Granulen etwa 1200 km weit aus. Innerhalb der Granulen ist das Gas heißer als in seiner Umgebung und bewegt sich aufwärts mit etwa 2 km/s bis die Abstrahlung in den Weltraum zu ausreichender Abkühlung führt. Nachdem es seitwärts aus der Granule verdrängt wurde, sinkt das kalte und dichte Gas abwärts als Teil eines Netzwerks, das die Granulen umgibt. Die besten Instrumente, die derzeit für Aufnahmen der Sonnenoberfläche verfügbar sind, können Details mit einer Größe von 70 km erkennen (Beispiele: linkPfeilExtern.gifNAOJ, linkPfeilExtern.gifInstitute for Solar Physics). Bei dieser Auflösung erscheinen die Granulen bemerkenswert glatt. Numerische Simulationen der Sonnengranulation ergaben bei ähnlicher Auflösung genau das gleiche Resultat. Was würden wir finden, wenn wir dieselben Schichten in der Sonne ansehen könnten, aber Details mit einer Größe von nur wenigen km erkennen könnten? Da jede Granule auch durch ihre Umgebung beeinflußt wird, müssen numerische Simulationen dieses Vorgangs für ein wesentlich größeres Gebiet durchgeführt werden, das mehr als 10000 km breit und 3000 km tief sein sollte. Selbst auf massiv parallelen Computern muß dabei eine kleinere Region ausgewählt werden, für die das zeitabhängige Verhalten solch kleiner Strukturen untersucht werden soll. Dieses Teilgebiet enthält bloß einige wenige Granulen. Seine Umgebung wird mit einer geringeren Auflösung numerisch simuliert. Abb. 1 zeigt eine solche Simulation, bei der aber nur eine horizontale Richtung berücksichtigt wurde. Die Sonnenoberfläche ist klar sichtbar als Gebiet von geringer vertikaler Ausdehnung, das im horizontalen Verlauf aber stark gekrümmt erscheint und dadurch unterschiedlich tief liegt. Die meisten kleinen Strukturen sind in den wenigen Fronten zu finden, die sich innerhalb der sichtbaren Sonnenatmosphäre nach oben bewegen. Dieses Bild stimmt mit Aufnahmen von der Sonnenoberfläche und in der physikalischen Literatur beschriebenen Vorstellungen gut überein, aber hier betrachten wir dasselbe Phänomen mit viel höherer Auflösung. Das Gebiet unterhalb der Oberfläche sieht allerdings völlig anders aus: Je länger das Gas Zeit gehabt hat, ins Innere abzusinken, um so mehr kleine Details werden sichtbar. Die kleinräumigen Strukturen werden hauptsächlich von den Scherkräften zwischen den Auf- und Abströmgebieten erzeugt.

Solch kleine Strukturen treten nicht auf, sofern nicht ein Mindestmaß an räumlicher Auflösung erreicht wird und fortgeschrittene numerische Rechenverfahren in den Simulationen verwendet werden. Dieser Gesichtspunkt wurde durch Simulationen mit niedrigerer Auflösung sowie mit anderen numerischen Verfahren überprüft. Die eben beschriebenen Resultate werden dabei durch das Ergebnis unterstützt, daß verschiedene Verfahren immer ähnlicher werdende Resultate liefern, sobald ein bestimmte räumliche Auflösung überschritten wird. Da die hochgradig turbulenten Strukturen in der Strömung in Abb. 1 von Schichten von undurchsichtigem Gas verdeckt werden (der sichtbaren Sonnenoberfläche), müssen indirekte Beobachtungsverfahren herangezogen werden. Eine Möglichkeit sind Oszillationen und Wellen, die von der Strömung erzeugt werden. Die Sonne pulsiert bekanntermaßen und diese Pulsationen sind die beste "Sonde", die zur Untersuchung des Sonneninneren verfügbar ist. Es handelt sich dabei um (stehende) Schallwellen, die in der Sonnenhülle bleiben. Die meiste Energie wird in den Schichten unmittelbar unterhalb der Sonnenoberfläche in diese Wellen übertragen, gerade da, wo auch die kleinskaligen Strukturen in Abb. 1 erscheinen. Eine Analyse dieser Simulationen zeigt zahlreiche "akustische Ereignisse", Pulse, die in den Grenzgebieten von Auf- und Abströmungen entstehen, wo große Scherkräfte auftreten und Gebiete niedriger Dichte plötzlich komprimiert werden können. Abb. 2 zeigt einen Film, der diese Pulse als schwarze Linien darstellt. Sie verbinden Orte, an denen der gleiche Unterschied zwischen lokalem und horizontal gemitteltem Druck herrscht. Diese Druckschwankungen bewegen sich meist in einer Richtung, die nicht mit der lokalen Strömung zusammenhängt. Letztere wird hier durch die Zeitentwicklung der Temperaturschwankungen sichtbar (farbcodiert). Die Pulse kreuzen einander, werden gedämpft oder verstärkt und manche schaffen es bis an die Oberfläche. In welchem Zusammenhang stehen sie zu den beobachteten Oszillationen? Denn diese finden eigentlich auf den Längenskalen einiger Granulen und noch größer statt.

Um diese Frage zu beantworten sind noch realistischere Simulationen nötig, die beide horizontalen Raumrichtungen berücksichtigen. Die Einschränkung auf zwei räumliche Dimensionen erzeugt Phänomene, die für die reale Konvektion in der Sonne nicht erwartet (und auch nicht beobachtet) werden, wie etwa die stabilen Wirbel sowohl in Abb. 1 als auch im Film in Abb. 2 (diese gelangen jedoch nicht bis zur Oberfläche). Die Rechenanforderungen für solch dreidimensionale Simulationen sind beträchtlich und dieselbe Auflösung wie in Abb. 2 zu erreichen bedeutet, die heutigen, leistungsfähigsten Supercomputer bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu bringen. Abb. 3 zeigt Resultate aus einer ersten Reihe solcher Simulationen, bei etwa einem Drittel der Auflösung, wie sie im zweidimensionalen Fall erzielt wurde. Der Anstieg an Komplexität in der Strömung ist klar erkennbar, wenn die Entwicklung vom Anfangsstadium (bei einer Auflösung, die effektiv mit jener vergleichbar ist, die in Bildern von der Sonnenoberfläche mit den leistungsfähigsten Instrumenten erreicht wird) bis zu ihrem Abschlußstadium verfolgt wird. In realer Zeit auf der Sonne ist das nur ein paar Minuten später, etwas kürzer als die Entwicklung, die in Abb. 2 gezeigt wird. Die glatte Oberfläche bezeichnet eine Temperaturregion gerade unterhalb der sichtbaren Schichten der Sonne und ihre Entwicklung zeigt, wie die Aufströmgebiete mit der Zeit zerfallen (und neu entstehen) und wie ihre Grenzen zu den Abströmgebieten durch Scherkräfte zerrissen werden. Mit der Zeit tauchen Fronten mit starken Druckunterschieden auf (gelb-rot), besonders entlang der Grenzen der Aufströmgebiete (dem Innen liegenden Teil der Granulen), die sich weiter nach oben bewegen. Das Auftreten dieser Phänomene und der drastische Anstieg an Komplexität innerhalb starker Abströmgebiete ist der Anlaß zu Simulationen mit einer ähnlichen Auflösung wie in Abb. 2, um die Rolle der Scherkräfte bei der Entstehung von Schallwellen in der Sonne zu klären. Diese werden nun als teil eines bewilligten Projektes im Rahmen von linkPfeilExtern.gifDEISA durchgeführt. Jedoch ist bereits jetzt klar erkennbar, daß das, was von außen bei der bisher erreichten Auflösung in den Beobachtungen glatt aussieht, recht verschieden erscheint, wenn weiterentwickelte Methoden verwendet werden, mit denen wir auch unter die Sonnenoberfläche mit hoher Auflösung schauen können.


Friedrich Kupka, Herbert J. Muthsam, Christof Obertscheider, Florian Zaussinger


Reference:

Muthsam et al., Mon. Not. Roy. Astr. Soc. 380, 1335-1340 (2007) doi:10.1111/j.1365-2966.2007.12185.x