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  Verzerrungen der kosmologischen Galaxienflucht eröffnen neue Einsichten in die beschleunigte Expansion des Universums

Verzerrungen der kosmologischen Galaxienflucht eröffnen neue Einsichten in die beschleunigte Expansion des Universums

Aus Beobachtungen weit entfernter Supernovae des so genannten Typs Ia und der kosmischen Hintergrundstrahlung schließen Forscher, dass sich das Universum derzeit in einer Phase der beschleunigten Expansion befindet. Dabei dehnt sich die Raumzeit aus, wobei die Galaxien mitbewegt werden. Die physikalische Ursache der beschleunigten Ausdehnung ist bisher unbekannt. Forscher um Luigi Guzzo vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) und Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching haben jetzt eine neue Methode zur Erforschung der Ursache der beschleunigten Expansion vorgeschlagen und nachgewiesen, dass sie funktioniert. Dabei werden Verzerrungen der kosmologischen Rotverschiebung aufgrund der Eigenbewegung der Galaxien genutzt (Nature, 31. Januar 2008).

Abb: Die Computersimulation zeigt die Herausbildung einer massiven Supergalaxie. Die Größe des Gravitationswachstums hängt von der subtilen Balance zwischen dunkler Materie, dunkler Energie und der Expansion des Universums ab und kann mit den Geschwindigkeitsvektoren rund um die Struktur gemessen werden. Bildquelle:  Klaus Dolag, MPA, und das VVDS Team

Vor etwa zehn Jahren machten Forscher die Entdeckung, dass die Expansion des Universums heute schneller ist als in der Vergangenheit. Da man bis dahin geglaubt hatte, dass die Schwerkraft das Universum zusammenhalten müsste, war dieses Ergebnis überraschend und warf die Frage nach den Ursachen für diese beschleunigte Expansion auf. Zwei mögliche Erklärungen gelten bis heute als denkbar.

Um die hier wirkende "Anti-Gravitationskraft" zu erfassen, wurde der Begriff der dunklen Energie eingeführt. Dabei handelt es sich um eine Verallgemeinerung der von Albert Einstein eingeführten kosmologischen Konstante. Die kosmologische Konstante wurde später von Einstein verworfen, erlebte aber nach der Entdeckung der kosmologischen Beschleunigung im Jahr 1998 eine Renaissance. Die dunkle Energie macht ungefähr 75 Prozent der gesamten Energiedichte im Universum aus. Sie lässt sich nicht direkt nachweisen, sondern nur indirekt aus der Expansion des Universums und der Bildung der großräumigen Struktur ableiten.

Die andere Alternative ist, dass die Gleichung der allgemeinen Relativität und damit die Theorie der Schwerkraft einen Fehler enthält oder unvollständig ist. In diesem Fall wäre das Postulat der dunklen Energie überflüssig.

Die Forschergruppe um Luigi Guzzo hat jetzt vorgeschlagen, die Verzerrung der kosmologischen Rotverschiebung zum Ausgangspunkt der Suche nach den Ursachen der beschleunigten Expansion zu machen. Das Licht weit entfernter Galaxien erscheint zum Roten verschoben, weshalb die Rotverschiebung in erster Näherung Auskunft über die Entfernung einer Galaxie gibt. Die Rotverschiebung hängt nur von der Entfernung ab, solange sich die Galaxien in Ruhe befinden. Zusätzlich zur Expansion des Universums haben die Galaxien jedoch eine Eigenbewegung, die das Ergebnis verfälscht. Größere Materiekonzentrationen ziehen aufgrund ihrer Schwerkraft andere Galaxien an und rufen damit Bewegungen hervor, die zur Rotverschiebung beitragen.

Wenn man die kosmologische Rotverschiebung misst, erhält man somit die reale Distanz der Galaxien von uns plus eine Verzerrung aufgrund der Eigenbewegung der Galaxien, den so genannten Dopplereffekt. Die Verzerrung kann man sichtbar machen, indem man die räumliche Verteilung von Galaxien in einem großen Himmelsgebiet untersucht. Forscher am MPA führten große kosmologische Simulationen durch, um dies zu demonstrieren und zu verifizieren.

Die Verzerrung der kosmologischen Rotverschiebung kann mittels ihrer Wirkung auf die Haufenbildung der Galaxien gemessen werden. Wenn man so die Stärke der Verzerrung der Rotverschiebung sowohl im nahen (also heutigen) als auch im fernen (also frühen) Universum misst, erfährt man, wie sich die großräumigen Strukturen mit der Zeit verändert haben. Daraus wiederum lassen sich Schlüsse auf das Wesen und die Stärke der dunklen Energie und damit auf die beschleunigte Expansion ziehen.

Guzzos Forschergruppe führte eine Untersuchung der Rotverschiebung von Galaxien mit dem ESO VLT (Very Large Telescope) im Paranal-Observatorium im Norden Chiles durch. Dabei handelt es sich um ein Teleskop mit acht Metern Spiegeldurchmesser. Mit diesem riesigen Teleskop konnten die Forscher die Rotverschiebungen von fast 6000 besonders schwachen Galaxien untersuchen, die so weit von uns entfernt sind, dass wir sie heute so sehen, wie sie waren, als das Universum halb so alt war wie heute, also vor sieben Milliarden Jahren. Sie berechneten die Verzerrung in der Strukturbildung und verglichen sie mit Werten aus Untersuchungen, die sie bei niedriger Rotverschiebung durchgeführt hatten. So konnten sie nachweisen, dass ihre Beobachtungen mit dem Modell der kosmologischen Konstante übereinstimmen.

Allerdings gibt es noch große Unsicherheiten im Ergebnis, weshalb jetzt weitere Untersuchungen in mindestens zehnfach größerem Umfang geplant werden. Mit den Ergebnissen dieser zukünftigen Untersuchungen wird dann eine Antwort auf die Frage möglich sein, ob die Ursache der beschleunigten Ausdehnung des Universums dunkle Energie ist oder eine Form von Schwerkraft, die von unserem bisherigen Verständnis der Gravitation abweicht. Auch völlig neue, exotischere Erklärungen sind möglich.

Gegenwärtig werden auf der ganzen Welt weitere große Untersuchungen der kosmologischen Rotverschiebung geplant. Die Technik, die von Luigi Guzzo entwickelt wurde, könnte sich bei der Eingrenzung der möglichen Ursachen der kosmischen Beschleunigung als nützlich erweisen.


Weitere Information erhalten Sie von:

Prof. Dr. Simon White
Geschäftsführender Direktor
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel.: +49 89 30000-2211
Fax: +49 89 30000-2235
email: swhitempa-garching.mpg.de


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Letzte Änderung: 23.8.2010