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Entschlüsselung hochaufgelöster Galaxienspektren


Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik haben ein neues Modell zur Entschlüsselung von hoch-aufgelösten Galaxienspektren entwickelt. Mit diesem Modell wird es möglich sein, solche Spektren von Galaxien, aufgenommen bei modernen spektroskopischen Himmelsdurchmusterungen, zu interpretieren und die Entwicklung von Sternbildung und chemischer Anreicherung im Universum genauer einzugrenzen.


Reproduktion eines SDSS Galaxienspektrums

Abb. 1 Reproduktion eines beobachteten Galaxienspektrums (Energie pro Wellenlängeneinheit) vom Sloan Digital Sky Survey (SDSS, in blau) durch ein Standard-Modell der sogenannten Populationssynthese (in rot). Die Kontinuums-Form konnte durch das Modellspektrum gut wieder gegeben werden, jedoch ist die Modell-Auflösung ( $\lambda/\Delta \lambda\approx 250$) weitaus geringer als die Auflösung der Beobachtung ( $\lambda/\Delta \lambda \approx1800$). Daher kann das Modell nicht zur Interpretation der Fülle von Absorptionslinien benutzt werden, die wichtige Informationen über das Alter und den Gehalt an schweren Elementen (,,Metalle``) in Sternen liefern, die zum angestrahlten Galaxienlicht beitragen.


Reproduktion desselben Spektrums mit hoher Aufloesung

Abb. 2: Reproduktion desselben SDSS-Spektrums wie in Abbildung 1 (in blau) durch das neue, hoch-aufgelöste ( $\lambda/\Delta \lambda \approx2000$) Populationssynthese-Modell, das am MPI für Astrophysik entwickelt wurde (in rot). Die wesentlichen stellaren Absorptions-Merkmale des beobachteten Spektrums sind nun gut durch das Model wiedergegeben. Die Forderung, diese Merkmale zu reproduzieren, führt zu wertvollen Informationen über die Sternpopulationen in den beobachteten Galaxien (siehe Text).

Die Sternentstehungsgeschichte und chemische Anreicherung des Universums manifestieren sich in dem von Galaxien ausgesandten Licht. Das Licht einer Galaxie setzt sich zusammen aus der Emission von Sternen verschiedenen Alters, die in unterschiedlichen kosmologischen Epochen entstanden sind. Sterne eines bestimmten Alters haben die chemische Zusammensetzung des Gases, aus dem sie sich formten, und das von ihnen ausgesandte Licht enthält Informationen sowohl über ihr Alter als auch ihre chemische Zusammensetzung. Wenn wir die Spektren von nahen Galaxien im Hinblick auf die unterschiedlichen Sterngenerationen, aus denen sie bestehen, interpretieren koennen, werden wir in der Lage sein, die Geschichte von Sternentstehung und chemischer Anreicherung im Universum zu rekonstruieren.

Die Synthese der Sternpopulationen (engl. stellar population synthesis), d.h. die Berechnung der von spezifischen Sternpopulationen emittierten Spektren, ist ein natürlicher Ansatz, um die beobachteten Galaxienspektren zu interpretieren. Diese Technik kombiniert die Sternentwicklungtheorie mit einer Bibliothek von individuellen Sternspektren, die die Ausstrahlung von Sternen beliebiger Masse, Alter und Metallgehalt beschreiben. Gegenwärtige sogenannte Populationssynthese-Modelle leiden jedoch unter ernsthaften Einschränkungen: ihre spektrale Auflösung ist typischerweise weitaus geringer als die von modernen spektroskopischen Beobachtungen von Galaxien. Abbildung 1 illustriert einen Vergleich eines gegenwärtigen Modells mit einem beobachteten hoch-aufgelösten Spektrum aus dem Sloan Digital Sky Survey (external page SDSS), an dem auch das MPA seit Januar 2001 als ein Partner-Institut beteiligt ist (siehe 'Aktuelle Forschung' vom April 2002). Aus der Abbildung wird ersichtlich, dass die Auflösung des Modells weitaus zu gering ist, um bei der Entschlüsselung einer Fülle von Absorptionslinien des beobachteten Spektrums zu helfen. Diese Linien wurden durch atomare und molekulare Übergänge in den Sternatmosphären erzeugt, und sie enthalten wertvolle Informationen über das Alter und die chemische Zusammensetzung der Sterne, die zum Galaxienlicht beitragen.

G. Bruzual (Center for Astronomical Research, Mérida, Venezuela und MPA) und S. Charlot (MPA) haben ein neues Populationssynthese-Modell entwickelt, das eine Interpretation von hoch-aufgelösten Galaxienspektren ermöglicht. Dieses Modell verbindet die neuesten Entwicklungen der Sternentstehungs-Theorie und eine external page neue Bibliothek von hoch-aufgelösten individuellen Sternspektren. Abbildung 2 zeigt einen Vergleich dieses Modells mit demselben beobachteten SDSS-Spektrum aus Abbildung 1. Die wesentlichen Absorptions-Merkmale der Beobachtung sind nun gut durch das Modell reproduziert. Die Anforderung, das Modell diesen Merkmalen anzupassen, führt zu wertvollen Einschränkungen der Sternpopulationen einer beobachteten Galaxie. In dem gezeigten Beispiel können 80% der gesamten Sternenmasse von $2\times 10^{10}$ Sonnenmassen Sternen mit gerinfügig untersolarem Anteil schwerer Elements zugeordnet werden, die vor 5-13 Gyr gebildet wurden, 16% Sternen mit leicht übersolarer Metallizität, die vor 2.5-5 Gyr entstanden sind, und die restlichen 4% mit leicht übersolarer Metallizität wurden vor 1.0-2.5 Gyr gebildet.

SDSS wird Spektren vom Typus des in Abbildung 2 gezeigten für fast 2 Millionen nahe Galaxien erhalten. Mit Hilfe des oben genannten neuen Modells zur Bestimmung der Sternenpopulationen von Galaxien wird es möglich sein, kosmologische Schlüsselfragen zu untersuchen: Wann wurden die Sterne des Universums gebildet? Fand Sternentstehung kontinuierlich oder in kurzen Ausbrüchen statt? Haben die Galaxien die schweren Elemente, die in ihnen produziert wurden, behalten oder wurde ein wesentliche Teil des angereicherten Gases ausgestossen? Wie hat sich die Masse der Galaxien mit der Zeit entwickelt? Und wie hängt ihr Alter und ihre Sternentstehungsgeschichte mit der Leuchtkraft, dem morphologischen Typ und ihrer intergalaktischen Umgebung zusammen?

Stephane Charlot



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  Last modified: Wed Oct 30 18:00:36 CET 2002     •     Comments to: info@mpa-garching.mpg.de