Radiogeister in Kollisionen von Galaxienhaufen

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Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren haben Astronomen mysteriöse Erscheinungen in Galaxienhaufen beobachtet: Millionen Lichtjahre große Regionen senden Radiostrahlung aus, obwohl sie sich oft fernab von jeglicher Galaxie, die für die Strahlung verantwortlich sein könnte, befinden. Die Natur dieser 'Radiorelikte' in den Haufen konnte nun in zwei theoretischen Studien am Max-Planck Institut für Astrophysik geklärt werden.

Ein entscheidender Hinweis wurde durch Röntgenbeobachtungen von Galaxienhaufen mit Radiorelikten gegeben. Galaxienhaufen enthalten dünnes, heißes, im Röntgenbereich strahlendes Gas zwischen ihren Galaxien. In den meisten Haufen ist dieses Gas kugelsymmetrisch verteilt. Doch in den Haufen mit Relikten wurden starke Deformationen der Gasverteilung beobachtet (Abbildung 1). Diese Verformungen deuten darauf hin, dass in diesen Fällen zwei Galaxienhaufen kollidieren. Derartige Kollisionen sind - soweit wir wissen - die energiereichsten Ereignisse des Universums nach dem Urknall. Während der Zusammenstöße bilden sich riesige Stoßwellen, in denen das Gas komprimiert und erhitzt wird. Dabei wird Energie in einer Menge freigesetzt, die auch die Strahlung der Radiorelikte speisen kann. In mehreren Röntgenbeobachtungen konnte gezeigt werden, dass sich an dem Ort der Radiorelikte tatsächlich Stoßwellen befinden. Aber eine Frage blieb noch immer ungeklärt: Woraus bestehen Radiorelikte?

Abbildung 1: Röntgenemission des Galaxienhaufens Abell 754. Die Elongation des röntgenstrahlenden Gases zeigt an, dass der Haufen eine starke Kollision erfährt. Am Orte der Kollisionsstoßwelle konnte ein Radiorelikt (durch die gelb schraffierte Fläche gekennzeichnet) von einer internationalen Kollaboration unter Beteiligung des Max-Planck Institutes für Astrophysik nachgewiesen werden.

Die theoretischen Studien des Max-Planck-Instituts für Astrophysik kommen zu dem Schluss, dass die Radiorelikte sehr wahrscheinlich aus alten Überresten von Radiojets bestehen. Radiojets sind energiereiche Ausstöße von Schwarzen Löchern. Wie man aus Beobachtungen weiß, beherbergen viele Galaxien - wenn nicht alle - massive Schwarze Löcher in ihren Zentren. Wenn ein Schwarzes Loch Gas aus seiner Umgebung verschluckt, stößt es sehr heißes radioemittierendes Plasma in zwei entgegengesetzten Strahlen aus. Diese Plasmastrahlen blähen große Radioplasmablasen auf, die viel größer sein können als die Galaxie, von der sie ausgehen. Die Radioemission dieser Blasen erlischt nach etwa 100 Millionen Jahren. Danach sind die Blasen für uns unsichtbare Objekte, die 'Radiogeister' genannt werden.

Abbildung 2: Radiobild (in rot) des Radioplasmaausflusses aus der Galaxie 3C296. Das sichtbare Sternenlicht der Galaxie ist in blau abgebildet. Die Radioplasmablasen werden von den beiden Strahlen mit frischem Radioplasma gefüttert. Die Plasmastrahlen kommen aus der direkten Umgebung des Schwarzen Loches (nicht sichtbar in der Abbildung) im Zentrum der Galaxie.

Diese unsichtbaren Radiogeister sind der Ursprung der leuchtenden Radiorelikte in Galaxienhaufen. Ihre erloschene Radioemission wird durch die Stoßwellen von Galaxienhaufenkollisionen wieder aktiviert. Aus unsichtbaren Radiogeistern werden somit die beobachteten Radiorelikte. In einer theoretischen Studie konnten Torsten Enßlin (Max-Planck Institut für Astrophysik) und Gopal-Krishna (National Center for Radioastronomy in Pune, Indien) zeigen, dass bis zu einer Milliarde Jahre nach dem Erlöschen die Radioemission einer Radioblase durch eine starke Stoßwelle wieder angefacht werden kann. Neuere 3-dimensionale magnetohydrodynamische Simulationen am Max-Planck Institut für Astrophysik von Marcus Brüggen und Torsten Enßlin illustrieren die Details dieses Vorgangs. Ein ursprünglich kugelförmiger Radiogeist, der mit dem extrem heißen und dünnen Radioplasma gefüllt ist, wird in einen ringförmigen Radiorelikt verwandelt, wenn eine Stoßwelle über ihn hinwegläuft (Abb. 3).

Abbildung 3: Eine Stoßwelle läuft über einen ursprünglich kugelförmigen Radiogeist hinweg. Abgebildet ist für die zentrale Ebene des Simulationsvolumens oben die Gasdichte (rot bedeutet hohe Dichte, schwarz geringe) und unten die Magnetfeldenergiedichte (rot bedeutet starke Magnefelder, schwarz schwache). Die 3-dimensionale Struktur ist ungefähr rotationssymmetrisch um die horizontale Achse. Die Bildung eines Radioplasmaringes ist sichtbar. (Filme der Simulationen)

Abbildung 4 zeigt hochaufgelößte Bilder von Radiorelikten in Galaxienhaufen. Der Radiorelikt in dem Galaxienhaufen Abell 85 (oben rechts) sollte mit dem simulierten Radiobild eines Radioreliktes in Abbildung 5 verglichen werden. Radiobilder, die bei niedrigen Radiofrequenzen aufgenommen wurden zeigen, dass die filamentären Strukturen teilweise geschlossene Ringe bilden, wie es die Simulationen vorhersagen. Dieses ist ein gewichtiges Argument dafür, dass tatsächlich alte, unsichtbare Radioplasmablasen, die sogenannten Radiogeister, durch Stoßwellen re-illuminiert werden und somit die ehemals mysteriösen Radiorelikte bilden.

Abbildung 4: Hochaufgelöste 1.4 GHz Radiobilder von Radiorelikten in verschiedenen Galaxienhaufen. Die filamentären Strukturen sind in vielen Fällen geschlossene Ringe, wie Niederfrequenz-Radiobilder bestätigen. Die markierte Länge von 30 kpc entspricht fast Hunderttausend Lichtjahren.

Abbildung 5: Simulierter Radiorelikt. Er sollte mit dem Radiorelikt in dem Galaxienhaufen Abell 85 (Abb. 3, oben rechts) verglichen werden.


Torsten Enßlin and Marcus Brüggen


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Last modified: Tue Feb 27 17:42:21 2001
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