Röntgenstrahlen-Archäologie des Milchstrassenzentrums |
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Die Hochenergie-Astrophysik beschäftigt sich hauptsächlich mit
extrem heissen Objekten, in denen die Materie aufgrund der
hohen Temperaturen vollständig ionisiert ist
und Röntgen- und Gammastrahlung abgibt.
Nun findet man an vielen Stellen im Universum Materie,
die aus nicht ionisierten Atomen oder Molekülen
bei Temperaturen wenig über dem absoluten Nullpunkt besteht.
Wenn harte, d.h. energiereiche Röntgenstrahlung auf ein solches
neutrales Gas trifft, werden Elektronen
aus der innersten Schale (die Kalpha-Schale) von Atomen mit mehreren
Elektronen herausgeschlagen.
Wird das dabei entstehende Loch durch
Strahlungsübergänge von Elektronen aus den oberen Schalen
wieder aufgefüllt, entstehen sog. Fluoreszenzphotonen.
In den Spektren von akkretierenden Objekten, z.B. in Röntgendoppelsternen,
aktiven galaktischen Kernen (engl. Active Galactic Nuclei = AGN),
Quasaren, Flare-Sternen, erzeugt das Element Eisen diese Photonen
der Kalpha-Linie bei einer Energie von 6.4 keV
(1 Kiloelektronenvolt entspricht der Energie, die Gasteilchen bei
etwa 10 Millionen Grad haben).
Das Interessante daran ist, dass das
Profil der Linie Rückschlüsse auf Eigenschaften des
streuenden Gases erlaubt.
Die "Röntgen-Archäologie" benutzt die
Tatsache, dass die Photonen von einer intensiv strahlenden Quelle lange Lichtlaufzeiten zu
molekularen Wolken in der Umgebung haben können, so dass wir,
ähnlich wie beim akustischen Echo, jetzt die gestreute Strahlung
als Signal längst
vergangener Ereignisse beobachten können. Die charakteristische
Änderung des Kalpha-Linienprofils kann somit einen Hinweis auf
starke Röntgenstrahlung in der Vergangenheit geben. Die Verzögerung
infolge der Lichtlaufzeit kann hunderte bis tausende von
Jahren betragen, wenn die typische Grösse der betrachteten
Gebiete einige hundert
Lichtjahre ist.
Ein interessantes Beispiel ist das Zentrum unserer
Milchstrasse. Abbildung 1 zeigt die Strahlungshelligkeit der
Kalpha-Linie des neutralen Eisens, beobachtet mit dem japanischen
Satelliten ASCA. Die erhöhte
Strahlung entlang der Milchstrassenebene entspricht der Verteilung der
molekularen Wolken, wobei besonders die Wolken Sagittarius A* und B2
auffallen.
Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung ist folgende: Angenommen im dynamischen Zentrum der Milchstrasse, wo die Röntgenquelle Sagittarius A* liegt, befindet sich ein schwarzes Loch (für dessen Existenz eine Reihe von astrophysikalischen Indizien spricht), dessen Masse das Millionenfache der Masse unserer Sonne ist, und das vor etwa 400 Jahren die Leuchtkraft von ungefähr einer Million Sonnen für die Dauer eines Jahres hatte, so würden wir jetzt das verzögerte Licht sehen, das die molekularen Wolken gestreut haben. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt zu uns das Licht jeweils von Orten, die auf einer Parabel um die Quelle der Röntgenstrahlung liegen. Abbildung 2 veranschaulicht die Geometrie. Zu einer Zeit t kommt Kalpha-Strahlung von den auf dieser Linie liegenden Gebieten der molekularen Wolken, zur Zeit t+delta t von etwas entfernteren Orten. Damit ändert sich die Intensität der Kalpha-Strahlung aus den Wolken mit der Zeit. Die Geschwindigkeit, mit der sich die angestrahlte Fläche scheinbar bewegt, kann grösser als die Lichtgeschwindigkeit (engl. superluminal) sein. In den nächsten Jahren werden neue, bessere Röntgensatelliten (AXAF, XMM, ASRO-E, ABRIXAS, Spectrum-X-Gamma) in Betrieb genommen, die es ermöglichen werden, Änderungen der Kalpha-Linie zu finden, die uns Hinweise auf die Geschichte unserer Milchstrasse geben können.
E. Churazov, M. Gilfanov, R. Sunyaev
Literaturhinweise:
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