| |
Eine der wichtigsten Aufgaben in der modernen Astrophysik besteht
darin zu verstehen, wie sich Galaxien bilden und
entwickeln. Beobachtungen ihrer leuchtenden Bestandteile, der Sterne,
liefern für dieses Problem wichtige Informationen. In anderen Galaxien
können wir einzelne Sterne fast nicht auflösen und erhalten damit nur
über die Massen-Funktion integrierte Spektren. Bei der Milchstraße
allerdings sind wir in einer einzigartigen Position: eines der
massivsten Mitglieder der Lokalen Gruppe kann detailliert, von innen
heraus, untersucht werden.
Moderne Teleskope sind in der Lage das Licht der Sterne aus allen
galaktischen Komponenten aufzufangen: dem Bulge, der Scheibe und dem
Halo. Mit den beobachteten Spektren und der Theorie der
Sternentwicklung können wir die chemische Zusammensetzung und das
Alter der Sterne bestimmen. Bei einem ausreichend großen Datensatz
können wir dann auch rekonstruieren, wie sich die chemische
Anreicherung in jeder der galaktischen Komponenten im Laufe der Zeit
entwickelt, d.h. welche Nukleosyntheseprozesse stattgefunden haben und
mit welcher Rate die schweren Elemente an das interstellare Medium
abgegeben wurden. Diese Information wird von der stellaren Kinematik
ergänzt und bildet auf Beobachterseite die Grundlage für Studien der
chemo-dynamischen Entwicklung unserer Galaxie.
Der Gaia-ESO-Sternsurvey (GES) beruht auf genau dieser Idee und bietet
mit bodengebundenen Teleskopen eine spektroskopische Ergänzung für die
astrometrische Weltraummission Gaia (ESA). Für GES wurden 300 Nächte
auf dem Very Large Telescope in Chile vergeben, die größte Zuteilung
die je ein Projekt bei einem 8-10m-Teleskop erhalten hat. Damit können
Spektren für etwa 100.000 Sterne aufgenommen werden, und zwar in einer
Entfernung von bis zu 15 kpc. (Zum Vergleich: Die Entfernung der Sonne
zum galaktischen Zentrum beträgt ca. 8 kpc oder 26.000 Lichtjahre.)
Abb. 2 zeigt in einer Karte die Abdeckung der Milchstraße durch den
Survey. Die Spektren werden einheitlich mit modernsten Modellen für
Sternatmosphären und -entwicklung analysiert, um die Daten zu
ergänzen. Durch die Möglichkeit, die detaillierte Chemie aller
Sternpopulationen homogen und mit guter Statistik abzubilden, ist
dieser Survey einzigartig.
Der komplette Datensatz wird ein enormes Potenzial haben, aber schon
die ersten Ergebnisse sind bereits hoch interessant. Die vorläufige
Analyse lieferte bereits detaillierte Messungen des Alter und der
Metallizität von Sternen in der Umgebung der Sonne. Im Gegensatz zu
den meisten bisherigen Studien sind wir nun in der Lage, neue
Dimensionen zu diesen Daten hinzufügen, wie zum Beispiel die
Häufigkeiten von verschiedenen Elementen wie Magnesium (Mg).
Im Metallizitätsbereich -0.5 < [Fe/H] < 0.5, der typisch für die dünne
Scheibe der Milchstraße ist, findet man Sterne im Alter zwischen 1 und
10 Milliarden Jahren. Je mehr die Metallizität aber abnimmt, umso
älter werden die Sterne und die Häufigkeit der sog. Alpha-Elemente
erhöht sich. Diese Elemente werden in Kernreaktionen gebildet, bei
denen Alpha-Teilchen eingefangen werden. Daher ist das verstärkt
auftretende Magnesium eine klare Signatur dafür, dass
Kernkollaps-Supernovae die Anreicherung bei dieser stellaren
Population dominieren. Aber auch Sterne mit niedrigeren,
sonnenähnlichen [Mg/Fe]-Verhältnissen zeigen eine große Bandbreite in
ihrem Alter (Abb. 3). Unterstützen diese Beobachtungen die
gegenwärtige Auffassung, wie unsere Galaxie entstanden ist? Einige
Modelle werden in der Tat durch diese Ergebnisse bestärkt, wie zum
Beispiel die Modelle mit radialer Migration. Diese sagen eine
erhebliche Streuung im Magnesium-Gehalt und beim Alter für eine
gegebene Metallizität in der Scheibe voraus, wie es auch beobachtet
wird.
Dies ist nur der Anfang. In ein paar Jahren wird GES ausreichend
große, statistisch signifikante Datensätze gesammelt haben, um solide
Aussagen über die Sternentwicklung und die chemische Anreicherung
machen zu können. Dies wird zweifellos einen neuen Bezugspunkt bei der
beobachtenden, galaktischen Astronomie setzen, vielleicht mit alten
Paradigmen brechen und frische Ideen einbringen, um zu verstehen wie
unsere Milchstraße entstanden ist.
Maria Bergemann und das Gaia-ESO-Survey-Team
Hinweis:
Das GES-Team umfasst mehr als 300 Co-PIs aus 90 Instituten weltweit. Das
Projekt wird geleitet von G. Gilmore (IOA, Cambridge) und S. Randich (INAF-
Arcetri). Das MPA wird von M. Asplund, M. Bergemann, K. Lind, A. Marino,
G. Ruchti und A. Serenelli vertreten.
References:
Gilmore, Randich et al.,
ESO Messenger 147, 2012
|