Infrarot-Leuchtfeuer im Universum - Rote Überriesen und die chemische Zusammensetzung von Galaxien

Rote Überriesen sind sehr interessante astronomische Objekte; mit zukünftigen Teleskopen könnten sie als Sonden für die chemische Zusammensetzung der kosmischen Materie außerhalb unserer eigenen Galaxis und sogar außerhalb der nächsten rund 500 bekannten Galaxien eingesetzt werden. Kürzlich ist es Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Zusammenarbeit mit Forschern am Hawaii-Institut für Astronomie und der IoA Cambridge gelungen, die physikalischen Eigenschaften der Photosphären dieser roten Überriesen zu analysieren und insbesondere die Abweichungen vom lokalen thermodynamischen Gleichgewicht zu untersuchen. Das Hauptziel war dabei zu eruieren, wie diese komplexen Phänomene die Bildung der Spektrallinien und somit die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung aus beobachteten Spektren beeinflussen. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass die Abschätzungen von Elementhäufigkeiten um mehr als einen Faktor 2 falsch liegen könnten, wenn diese Effekte vernachlässigt werden.

Abb. 1: Ein optisches Bild der jungen Sternassoziation Perseus OB-1 in der Milchstraße, in der etwa 70 blaue (BA-Typ) und 20 rote (M-Typ) Überriesen gefunden wurden (diese erscheinen im Bild rötlich).
Kredit: F. Calvert und A. Block (NOAO, AURA, NSF, KPNO).

Abb. 2: Ein theoretisches (grün) und beobachtetes (schwarz) Infrarotspektrum für den Stern Beteigeuze, einem Prototyp für RSG-Sterne. Der Vorteil des J-Bandes gegenüber dem H- oder K-Band liegt auf der Hand. Die Spektren stammen von IRTF (NASA IRTF, Mauna Kea; Cushing et al. 2005).

Abb. 3: Komplettes Atommodell für neutrales Titan.

Abb. 4: Die Unterschiede in den Titan-Häufigkeiten, die von RSG-Modellspektren abgeleitet wurden, zwischen dem nicht-LTE und dem LTE-Fall als Funktion der Effektivtemperatur. Die verschiedenen Farben zeigen die Ergebnisse für drei unterschiedliche Werte für die Metallizität im Modell, -0,5 (weiß), 0 (blau) und +0,5 (rot).

Abb. 5: Vergleich der beobachteten (schwarz) und theoretischen Spektren (rot) für Beteigeuze. Bei den meisten Linien gibt das nicht-LTE-Modell die Stärke der Linie gut wider.

Die chemische Zusammensetzung ist eines der wichtigsten Merkmale der beobachtbaren massereichen Galaxien, sowohl in unserer kosmischen Nachbarschaft als auch bei hohen Rotverschiebungen. Bisher stammen die meisten unserer Informationen über ihren Metallgehalt (Astrophysiker fassen alle Elemente schwerer als Helium als "Metalle" zusammen) aus der Analyse der ausgeprägten Emissionslinien von H II-Regionen, d.h. Wolken aus teilweise ionisiertem Wasserstoffgas mit geringer Dichte. Die Messungen der Metallizitäten einer Galaxie sind dann jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, da es systematische Ungewissheiten bei dieser Methode gibt. Darüber hinaus erhält man durch dieses Verfahren im Wesentlichen nur die Sauerstoffhäufigkeit, die dann als Platzhalter für den gesamten Metallgehalt dient. In diesem Fall gibt es keine Informationen über die relativen Häufigkeiten, die ein leistungsfähiges Diagnosewerkzeug für die Entwicklung der chemischen Anreicherung sein können.

Um diese Nachteile zu vermeiden, besteht ein alternativer Ansatz in der spektroskopischen Analyse von Überriesen, den hellsten Sternen in Galaxien mit Helligkeiten bis zu einer Million Mal heller als die der Sonne. Hier wurden in der Milchstraße (Abb. 1) und bei einigen anderen Galaxien der lokalen Gruppe durch die optische Spektroskopie von blauen Überriesen große Fortschritte gemacht. Für die extragalaktische Astrophysik sind rote Überriesen (RSG) allerdings aussichtsreicher. Der Großteil ihrer Energie wird bei Infrarotwellenlängen abgestrahlt, bei denen die interstellare Extinktion kleiner ist. Besonders attraktiv für die quantitive Spektroskopie ist das so genannte J-band (Abb. 2), das viele atomare Linien enthält. Die räumliche Auflösung im Infraroten ist höher als im optischen Wellenbereich und die Vorteile der Instrumente mit adaptiver Optik können voll ausgeschöpft werden. RSG sind daher ideale Ziele für die Spektroskopie mit zukünftigen Teleskopen wie dem Thirty Meter Telescope (TMT) oder dem European Extremely Large Telescope (E-ELT). Die Häufigkeiten der verschiedenen chemischen Elemente könnten dann bis zu Entfernungen von 70 Mpc direkt gemessen werden, weit über unsere Lokale Gruppe von Galaxien hinaus.

Die Analyse der RSG-Spektren ist jedoch eine schwierige Aufgabe. Eine große Komplikation ergibt sich durch die sehr geringe Schwerkraft (etwa 1000 Mal geringer als auf der Erde), wodurch es Abweichungen vom lokalen thermodynamischen Gleichgewicht (LTE) in ihren Photosphären gibt. Bisher war es nicht möglich, RSG-Spektren mit nicht-LTE zu berechnen, da hierzu detaillierte Atomdaten für die nicht-LTE-Atommodelle und für die Modellierung der komplexen Linienüberlagerung, die von Molekülen dominiert wird, benötigt werden. Bisher war die Qualität der Atomdaten dafür unzureichend. Hinzu kommt, dass beim LTE die Berechnung der Linienbildung ziemlich einfach ist; im nicht-LTE-Fall müssen präzise Strahlungsintensitäten für all jene Frequenzen berechnet werden, bei denen Strahlungsübergänge in Atomen stattfinden. Für Eisen und Titan heißt das für Wellenlängen von UV bis hin zum fernen Infrarot. Derartige Berechnungen lagen bisher einfach außerhalb der rechnerischen Möglichkeiten.

Das Wissenschaftlerteam hat jetzt vollständige atomare Modelle von neutralem Eisen und Titan (Abb. 3) erstellt und zum ersten Mal nicht-LTE Berechnungen dieser Atome für typische RSG-Atmosphärenmodelle durchgeführt. Werden nicht-LTE-Effekte bei den Berechnungen berücksichtigt, so ändern sich die Titan-Häufigkeiten dramatisch im Vergleich zum LTE, wobei sich die verschiedenen Korrekturfaktoren je nach Temperatur und der chemischen Zusammensetzung unterscheiden (Abb. 4). Für Eisen sind die Effekte im J-Band allerdings viel kleiner. Da die RSG-Metallizität von vielen Linien unterschiedlicher Atome bestimmt wird (Eisen, Titan, Silizium und Magnesium), dürfte der Effekt der nicht-LTE-Korrekturen insgesamt kleiner sein als für Titan allein. Als Beispiel zeigt Abb. 5 einen Vergleich mit dem besten Modell für J-Band-Spektren von Beteigeuze.

Als nächsten Schritt werden die Wissenschaftler die anderen wichtigen Atomarten für das J-Spektralband, insbesondere Silizium und Magnesium, berechnen. Diese Linien enthalten ebenfalls wichtige Informationen über die Metallizität, da sie zusammen mit Titan zusätzliche Einschränkungen für die Messung der galaktischen Häufigkeiten der Alpha-Elemente liefern, die durch die Fusion von Alpha-Teilchen in Sternen und bei Sternexplosionen hergestellt werden.


Maria Bergemann (MPA), Rolf Peter Kudritzki (IfA, Hawaii/MPA), Karin Lind (MPA)


Referenzen:

Bergemann, Kudritzki, et al. 2012, ApJ, in prep.

Kudritzki, Urbaneja, Gazak et al. 2012, ApJ, 747, 15

Davies, Kudritzki, Figer 2010, MNRAS, 407, 1203

Gieren, Pietrzynski, Bresolin, Kudritzki et al. 2005, ESO Messenger, No.121, p. 23-28

Cushing, M.C., Rayner, J.T, & Vacca, W.D. 2005, ApJ, 623, 1115

Rayner, J.T., Cushing, M.C., & Vacca, W.D. 2009, ApJS, 185, 289