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In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte eine internationale
Kollaboration aus Wissenschaftlern vom MPA, der Universität von Wisconsin
und der Johns-Hopkins-Universität und anderen Kollegen aus dem BOSS-Team die
Massen und das Alter von rund 300.000 massereichen Galaxien bei
Rotverschiebungen zwischen 0,45 und 0,7 – und blickten damit zurück auf eine
Zeit, als das Universum erst 60 Prozent seines heutigen Alters hatte.
All diese Galaxien enthalten Sterne mit
insgesamt mehr als 100 Milliarden Sonnenmassen; somit ist dies die
größte Auswahl massereicher Galaxien mit Spektren, die je analysiert
wurde.
Massereiche Galaxien sind für Kosmologen sehr spannend, da sie das
Ende der Galaxienentwicklung darstellen dürften. Das Lambda-CDM-Modell
der Kosmologie, das inzwischen zum Standardmodell wurde, liefert
detaillierte Vorhersagen, wie sich die Strukturen in der Dunklen
Materie des Universums mit der Zeit bilden. Kurz gesagt ist die
Strukturbildung ein Prozess „vom Kleinen zum Großen“, bei dem zuerst
die kleinsten Halos aus Dunkler Materie kollabieren und dann
verschmelzen, um so immer größere Systeme zu bilden bis hin zu Gruppen
und riesigen Haufen von Galaxien.
Lange Zeit wurden diese kosmologischen Vorhersagen von vielen
Beobachtern kritisiert, da die massereichsten Galaxien, die man
kannte, scheinbar nur aus extrem alten Sternen bestanden. Wie aber
konnte man das mit einem Szenario in Einklang bringen, in dem sich die
massereichsten Strukturen zuletzt bilden? Mit immer leistungsfähigeren
Teleskopen konnten die Beobachter auch schwach leuchtende Galaxien im
sehr weit entfernten Universum untersuchen, wo die Lichtlaufzeit an
das Alter des Universums heranreicht. Dabei fanden die Beobachter,
dass die Anzahl der massereichen Galaxien zu frühen kosmischen Zeiten
tatsächlich viel geringer war als ihre Anzahl heute, was die These
unterstützt, das sich massereiche Galaxien erst vor relativ kurzer
Zeit gebildet haben. Allerdings fanden sie auch, dass die
massereichsten Galaxien im frühen Universum scheinbar dennoch aus
relativ weit entwickelten Sternen bestanden – oder anders gesagt, egal
wie weit die Beobachter in die Geschichte des Universums
zurückblickten, sie fanden nur wenige Hinweise für
Sternentstehungsaktivitäten, wenn eine Galaxie eine bestimmte stellare
Masse überschritten hatte.
Diese Ergebnisse riefen bei den Theoretikern einiges an Bestürzung
hervor, da sie berechnet hatten, dass sich in den Halos aus dunkler
Materie um die massereichen Galaxien große Mengen an Gas abkühlen und
Sterne bilden sollten. Daher gab es viele Diskussionen und
Spekulationen über exotische Mechanismen, die das Gas aufheizen
könnten und so die Sternentstehung verhindern. Beispiele dafür reichen
von riesigen Explosionen, angetrieben von Material, das auf das
zentrale Schwarze Loch mit Milliarden Sonnenmassen oder mehr
einstürzt, bis hin zu riesigen, Megaparsec-langen Jets aus geladenen
Teilchen mit relativistischen Geschwindigkeiten, die in das Gas rund
um die Galaxien eindringen und es aufheizen.
Die neuen Resultate von SDSS-III deuten nun darauf hin, dass es diesen
exotischen Mechanismen möglicherweise viel schwerer fällt, die
Sternentstehung in massereichen Galaxien zu stoppen, als bisher
angenommen. Das MPA-Wisconsin-JHU-Team verwendete eine Methode, mit
der das Alter der Sterne in einer Galaxie mithilfe detaillierter
stellarer Absorptionscharakteristika in ihren Spektren abgeschätzt
werden kann. In massereichen Galaxien sind die jüngsten Sterne oft von
staubighaltigem Gas umgeben, das einen Großteil des blauen Lichts
absorbiert, das von den jungen Sternen ausgestrahlt
wird. Abschätzungen aufgrund der Farbe einer Galaxie können daher zu
falschen Antworten führen. Die neue Methode und die große Anzahl an
Galaxien ermöglichten es dem Team nun festzustellen, dass der Anteil
der massereichsten Galaxien mit jungen Sternen im Laufe der letzten
vier Milliarden Jahre um mehr als das 10-fache abgenommen hat (siehe Abb. 3). Bei
einer Rotverschiebung von 0,5 haben mehr als 10% aller Galaxien mit
stellaren Massen von etwa 200 Milliarden Sonnenmassen kürzlich eine
signifikante Periode der Sternentstehung hinter sich.
Damit stehen diese Ergebnisse im Konflikt mit den Aussagen einiger
Beobachter, dass sich die Sterne in massereichen Galaxien alle bereits
2-3 Milliarden Jahre nach dem Urknall gebildet haben. Für die Wissenschaftler
sind diese Resultate auch spannend, da die nächste Generation an
Röntgensatelliten in der Lage sein sollte nachzuweisen, wie das Gas in
diesen massereichen Galaxien abkühlt und Sterne produziert. Außerdem
werden Himmelsdurchmusterungen der nächsten Generation im Radiobereich
verfolgen, wie energiereiche Teilchen, angetrieben vom schwarzen Loch,
ihre Energie an dieses Gas abgeben. Die derzeitigen Spekulationen über
exotische Mechanismen werden damit in handfeste Wissenschaft
umgewandelt werden.
Guinevere Kauffmann
Originalveröffentlichung:
http://arxiv.org/abs/1108.4719
Weiterführende Links:
BOSS
SDSS-III
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