Neue Indizien für die Entwicklung galaktischer Scheiben von innen nach außen

Sterne bilden sich ständig in Galaxien, wobei einige Galaxien deutlich aktivere Sternentstehung zeigen als andere. Scheibengalaxien wie unsere Milchstraße wurden nun von Jing Wang, Guinevere Kauffmann, Roderik Overzier und Barbara Catinella am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) zusammen mit anderen Kollegen unter die Lupe genommen, um genaueres über die Galaxienentstehung und -entwicklung zu erfahren. Ihre Ergebnisse unterstützen das Modell der Galaxienentwicklung “von innen nach außen”, bei dem Sternentstehungsgebiete allmählich nach außen wandern, wenn im Laufe der Zeit Gas mit immer höherem Drehimpuls in die Scheibe fällt.

Abb. 1: SDSS- und GALEX-Bilder einer Galaxie aus der HI-Studie mit einem starken Farbgradienten. Links: zusammengesetztes Bild aus den SDSS g,r,i-Farben; rechts: NUV-Karte. Im ultravioletten Licht ist ein heller Ring sichtbar, der im optischen Bild nicht auffällt.

Abb. 2: Zusammenhang zwischen dem Farbgradienten und dem HI-Anteil. Vergleicht man jeweils Sterne ähnlicher Masse (gleich große Kreise), so sieht man, dass Galaxien mit einem höheren HI-Anteil einen größeren Farbgradienten aufweisen. Das bedeutet, dass diese Galaxien zum Rand hin immer blauer werden.

Abb. 3: SDSS-Bilder zweier Galaxien in der Studie. Das linke Bild zeigt eine typische Galaxie mit wenig Asymmetrie, das rechte Bild eine typische Galaxie mit hoher Asymmetrie. Die Studie zeigte, dass die Asymmetrie der Galaxien stärker mit der gesamten Sternentstehung korreliert ist als mit dem HI-Massenanteil.

In Galaxien wie unserer Milchstraße sind nur etwa 20 Prozent der verfügbaren Baryonen in Sternen gebunden. Einfache physikalische Überlegungen sagen voraus, dass die meisten der Baryonen sich abkühlen, zusammenballen und Sterne bilden. Bis zum heutigen Tag ziehen die Galaxien weiteres Material in der Form von Gas aus ihrer Umgebung an, wie durch Beobachtungen bestätigt wurde. So werden insbesondere Wolken aus neutralem Wasserstoff (HI), HI-reiche Zwerge in der Nähe von Spiralgalaxien, ausgedehnte und verzerrte, äußere Schichten aus HI in Spiralgalaxien, oder einseitige Galaxienscheiben als Hinweise darauf gesehen, dass die Gasakkretion in nahen Spiralgalaxien immer noch andauert. Die gesamte Gasmenge, die eine Galaxie auf die Weise zusätzlich erhält, ist allerdings viel zu gering um die beobachteten Sternentstehungsraten von 2-3 Sonnenmassen pro Jahr in diesen Spiralgalaxien aufrecht zu erhalten. Die Astronomen versuchten deshalb, Gasakkretion in anderer Form nachzuweisen, wie zum Beispiel in einer ausgedehnten, heißen, gasförmigen Korona um die Galaxie, in der Form von ionisiertem Gas bei mittleren Temperaturen oder als winzige Wolken neutralen Gases (wobei eine “winzige” Wolke für Astronomen nur etwa tausend bis hunderttausend Sonnenmassen enthält). Trotz dieser anhaltenden Suche steht ein handfester Beweis für Gasakkretion allerdings noch aus.

Wenn wir also die Gasakkretion nicht direkt beobachten können, besteht wenigstens die Hoffnung, dass wir ihre Auswirkungen sehen können? Semi-analytische Modelle für die Entstehung von Scheibengalaxien, ihre chemische Entwicklung und Sternentstehung bauen im Allgemeinen auf das “inside-out”-Bild (wörtlich: “von innen nach außen”) im Rahmen des kosmologischen Modells mit kalter, dunkler Materie. In diesem Modell kühlt sich das Gas im Dunklen-Materie-Halo rund um die Galaxie ab, fällt auf die Galaxie und schürt damit die Sternentstehung in der Scheibe. Da das Gas dabei seinen Drehimpuls behält und Gas umso später auf die Galaxie fällt je höher sein Drehimpuls ist, wandert die Gasakkretion allmählich in die äußeren Regionen. In diesem Modell sollten Galaxien, die erst kürzlich Gas aus ihrem Halo aufgenommen haben, nicht nur einen besonders hohen Gasanteil aufweisen, sondern auch junge äußere Scheiben, in denen besonders viel Sternentstehung stattfindet.

Um dies zu überprüfen, führten die MPA-Wissenschaftler eine statistische Studie der Farben, Sternentstehungsraten und des Anteils an neutralem Wasserstoff (HI) in Galaxien durch. Die dabei ausgewählten nahen, HI-reichen Galaxien (siehe Abb. 1) wurden dabei aufgrund von Daten ausgewählt die sowohl vom “Arecibo Legacy Fast ALFA”-Survey (ALFALFA) als auch vom “GALEX Arecibo SDSS”-Survey (GASS) stammten.

Galaxien mit mehr Gas sind im Allgemeinen blauer und zeigen aktivere Sternentstehung. Die neue Studie konnte nun zeigen, dass ein höherer HI-anteil zusätzlich zu einem Farbgradienten über die Scheibe hinweg führt: Bei Galaxien mit einem höheren HI-Anteil sind die äußeren Scheiben blauer und zeigen mehr Sternentstehung als die inneren Bereiche (siehe Abb. 2). Das bedeutet, dass die äußeren Bereiche der HI-reichen Galaxien jünger sind. HI-reiche Galaxien scheinen in blauem Licht außerdem größer zu sein als in rotem Licht.

Diese Ergebnisse stimmen also mit dem ”inside-out“-Bild der Entstehung von Spiralgalaxien überein. Außerdem sind sie auch indirekt Anzeichen dafür, dass Spiralgalaxien durch Gasakkretion im lokalen Universum weiterhin wachsen. Die Studie zeigte auch, dass es keinen intrinsischen Zusammenhang zwischen dem HI-Anteil und der gemessenen Symmetrie einer Galaxie in optischem Licht gibt. Dies deutet darauf hin, dass das Gas wahrscheinlich gleichförmig auf die Scheibe fällt und nicht in einzelnen Klumpen (siehe Abb. 3).


Jing Wang, Guinevere Kauffmann, Roderik Overzier und Barbara Catinella


Originalveröffentlichung:

Wang, J., Kauffmann, G., Overzier, R., Catinella, B. et al., "The GALEX Arecibo SDSS survey: III Evidence for the Inside-out Formation of Galactic Disks", 2011, MNRAS, 412, 1081 linkPfeilExtern.gif(http://adsabs.harvard.edu/abs/2011MNRAS.412.1081W)