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“Wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns mal janz
dumm...” (Die Feuerzangenbowle, 1944)
Im Inneren von Dampfmaschinen herrscht das molekulare Chaos. Die
Positionen und Geschwindigkeiten der unzähligen Moleküle in einem
Dampfkessel sind im Einzelnen unmöglich zu berechnen. Wenn ein
Ingenieur sich nun aber für die typischen Geschwindigkeiten dieser
Moleküle interessiert, um zum Beispiel den Druck in einem Dampfkessel
zu bestimmen, so kann er die Thermodynamik zu Hilfe nehmen. Diese
Theorie berechnet derartige globale Größen zuverlässig, wobei sie
elegant die unglaublich komplizierte Dynamik der einzelnen
Molekülbewegungen mit statistischen Argumenten vereinfacht.
Wenn moderne Astronomen mit ihren Teleskopen Licht aus den Tiefen des
Weltalls einfangen, um Bilder des Himmels bei verschiedenen
Wellenlängen anzufertigen, so hat dies mit den typischen Anwendungen
der Thermodynamik auf den ersten Blick nur wenig zu tun. Doch auch
hier gibt es Unsicherheiten, denen man nur mit statistischen Methoden
beikommen kann: die Helligkeit des Himmel muss an jedem der
theoretisch unendlich vielen Bildpunkte bestimmt werden, die
Beobachtungsdaten sind allerdings oft grobkörnig, verwaschen, durch
Rauschen gestört, fast immer unvollständig und in jedem Fall
endlich. Intelligente Methoden sind daher nötig, um aus den
Teleskopdaten ein möglichst getreues Abbild des Himmels zu machen.
Unglücklicherweise gibt es meist unendlich viele mögliche Bilder des
Himmels, die sich mit den Beobachtungsdaten vertragen würden. Diese
unendlichen Möglichkeiten sind genauso unübersichtlich wie das
molekulare Chaos in einem Dampfkessel und lassen sich mit den gleichen
statistischen Methoden zähmen. Bei der Dampfmaschine wird das
Verhalten der Wassermoleküle von zwei Größen bestimmt: der inneren
Energie U des Wassers und dessen Entropie S. Ersteres ist die mittlere
Energie, die die Moleküle aufgrund ihrer Bewegung und der
zwischenmolekularen Anziehungskräfte haben. Die Entropie ist ein Maß
des molekularen Chaos, je größer die Entropie ist, umso wilder fliegen
die Moleküle durcheinander. Die Thermodynamik besagt nun, dass das
Wasser einen Gleichgewichtszustand einnimmt, so dass die Kombination
aus innerer Energie, Entropie und Temperatur T möglichst gering
ist. Diese Kombination, die so genannte Gibbs-Energie, ergibt sich aus
der Formel G = U - TS. Somit kann man mithilfe der
Gibbs-Energie verstehen, wie sich Wasser bei verschiedenen
Temperaturen verhält. Bei niedrigen Temperaturen möchten die
Wassermoleküle möglichst die innere Energie minimieren, was sie durch
die Bildung von Wassertropfen oder Eiskristallen erreichen. Bei hohen
Temperaturen bevorzugen sie einen energetisch teuren, aber mit viel
Chaos (großer Entropie) verbundenen Gaszustand.
Torsten Enßlin und Cornelius Weig vom Max-Planck-Institut für
Astrophysik haben nun gezeigt, dass dieselben Begriffe der inneren
Energie, Entropie und Gibbs-Energie auf das Problem digitaler
Bildrekonstruktionen angewendet werden können. Die Entropie beschreibt
hierbei die Unsicherheit, mit der den einzelnen Himmelspunkten ein
bestimmter Helligkeitswert zugeordnet werden kann. Die innere Energie
beschreibt, wie wahrscheinlich die einzelnen möglichen Himmelsbilder
sind, die im Rahmen der Unsicherheit in Betracht gezogen werden
müssen. Aus dem Wechselspiel von innerer Energie und Entropie kann aus
den Teleskopdaten so das bestmögliche Bild des Himmels errechnet
werden. Zudem liefert das Verfahren im Gegensatz zu vielen
herkömmlichen Verfahren eine Fehlerkarte, die die Unsicherheit aller
Bildpunkte angibt.
Die Forscher konnten zeigen, dass viele bereits bewährte bildgebende
Algorithmen im Grunde auf diesen neuen Ansatz, der auf der über
hundert Jahre alten Thermodynamik beruht, zurückgeführt werden
können. Es lassen sich aber auch ganz neuartige Algorithmen
entwickeln. Der Begriff der Entropie war in der Theorie der
Bildverarbeitung zwar schon bekannt, doch die innere Energie, die für
die Bestimmung der Gibbs-Energie nötig ist, war zuvor noch nicht
korrekt eingeführt worden. Dieselben Gesetze der Thermodynamik, die
schon bei der industriellen Revolution einen wesentlichen Beitrag
geliefert haben, könnten somit auch bei der heutigen Entwicklung von
Informationstechnologien eine wichtige Rolle spielen.
Torsten Enßlin und Cornelius Weig
Referenzen:
Torsten A. Enßlin and Cornelius Weig,
"Inference with minimal Gibbs free energy in information field theory",
Phys. Rev. E 82, 051112 (2010)
http://pre.aps.org/abstract/PRE/v82/i5/e051112
http://arxiv.org/abs/1004.2868
Niels Oppermann, Henrik Junklewitz, Georg Robbers, Torsten A. Enßlin,
"Probing Magnetic Helicity in Different Astrophysical Contexts",
submitted, arXiv:1008.1246
http://arxiv.org/abs/1008.1246
Taylor, A. R.; Stil, J. M.; Sunstrum, C.,
"A Rotation Measure Image of the Sky",
Volume 702, Issue 2, pp. 1230-1236 (2009)
http://iopscience.iop.org/0004-637X/702/2/1230/
Links
Aktuelle Forschung August 2009
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