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Die sichtbare Materie — Sterne, Planeten und interstellares Gas
— machen nur etwa fünf Prozent der gesamten Masse des
Universums aus. Der große Rest ist unsichtbar: Er besteht zu
etwa drei Viertel aus Dunkler Energie und knapp einem Viertel aus
Dunkler Materie und macht sich nur durch seine Gravitation
bemerkbar. Direkt nachweisen konnte man die Dunkle Materie bisher noch
nicht, aber ihre Eigenschaften spielen für die Struktur des
Universums eine entscheidende Rolle: Sie sagen voraus, wie die Halos
aus Dunkler Materie entstehen, in denen sich Galaxien entwickeln, und
auch, wie diese sich im Universum verteilen. Dieser Prozess der
kosmischen Strukturentstehung wurde am MPA bereits mit den
Millennium-Simulationen
in bis dahin unerreichter Auflösung untersucht.
Der Vergleich solcher Simulationen mit Beobachtungen einer
großen Anzahl von Galaxien erlaubt auch statistische Aussagen
darüber, wie die Entstehung von Galaxien und Halos
zusammenhängt. Nimmt man an, dass größere Galaxien in
größeren Halos entstehen, lässt sich aus diesem
Vergleich eine Relation für das durchschnittliche Verhältnis
von sichtbarer und unsichtbarer Materie in Galaxien unterschiedlicher
Masse herleiten. Um die Entwicklung einzelner Galaxien genauer zu
verstehen, sind allerdings sehr viel höher auflösende
Simulationen notwendig, in denen der sichtbare und unsichtbare Anteil
direkt in Wechselwirkung treten. Neben der Gravitation müssen
dabei viele weitere physikalische Prozesse berücksichtigt werden,
darunter die Hydrodynamik des Gases, die Temperaturentwicklung des
interstellaren und intergalaktischen Mediums, die Sternentstehung und
-entwicklung und der Effekt kosmischer UV-Strahlung.
Für ihre nun vorgestellte Arbeit wählten Till Sawala und
seine Mitautoren sechs Dunkle-Materie-Halos mit unterschiedlichen
Entstehungsgeschichten aus der Millennium-II Simulation und
simulierten sie erneut mit 100-fach höherer Auflösung. Alle
sechs Halos erreichen eine Masse von etwa 10 Milliarden Sonnenmassen,
was nach der statistischen Relation Galaxien mit etwa einer Million
Sonnenmassen in Sternen entspricht. Tatsächlich ergaben die
detaillierten Simulationen jedoch Sternenmassen zwischen 50 und 100
Millionen Sonnenmassen — ein Vielfaches des erwarteten Wertes.
Diese Ergebnisse sind zwar qualitativ im Einklang mit früheren,
vergleichbaren Simulationen einzelner Zwerggalaxien. Aufgrund der
repräsentativen Auswahl der Halos konnte das Team um Till Sawala
nun jedoch zeigen, dass die viel höhere Sternenmasse nicht auf
Besonderheiten der simulierten Galaxien zurückzuführen ist,
sondern einen echten Widerspruch zwischen den gegenwärtigen
Simulationen und den Beobachtungen darstellt.
"Dieser Widerspruch lässt prinzipiell drei Erklärungen zu",
kommentiert Till Sawala die Ergebnisse: "Entweder, die bisherigen
Beobachtungen sind unvollständig, und es gibt sehr viel mehr
Zwerggalaxien als wir bisher kennen. Als zweite Möglichkeit
könnte die Verteilung von Halos doch anders sein, als im
Standard-Modell der sogenannten kalten Dunklen Materie
vorhergesagt. Sind die beiden ersten Annahmen aber korrekt, bleibt als
letzte Erklärung nur, dass alle Simulationen die
tatsächliche Sternentstehungsrate um mindestens einen Faktor 10
überschätzen.”
Jede der möglichen Lösungen hätte interessante
Auswirkungen. “Wir glauben, dass die Beobachtungen von Galaxien
hinreichend vollständig sind und wir die verbleibende
Unvollständigkeit recht gut abschätzen können”,
so Mitautorin Qi Guo von der Universität Durham. “Eine
Differenz um den Faktor Vier stellt zudem andere Modelle infrage, die
sich auf diese Resultate stützen.”
Um den zweiten Ansatz, eine Alternative zum Standard-Modell kalter
Dunkler Materie, zu überprüfen, vergleichen die Autoren die
Verteilung der Halos auch mit Simulationen warmer Dunkler Materie. In
diesem Modell entstehen weniger kleinskalige Strukturen, was die
Anzahl der simulierten Zwerggalaxien tatsächlich mit den
Beobachtungen in Einklang zu bringen scheint. "Solch ein Modell steht
allerdings im Widerspruch zu anderen Beobachtungen, so dass diese
Erklärung wenig wahrscheinlich erscheint", merkt Professor Simon
White an.
Wenn die Beobachtungen annähernd vollständig sind, und auch
die Verteilung der Dunklen Materie den Vorhersagen entspricht, bleibt
als letzte Möglichkeit, dass die Simulationen die
tatsächliche Sternentstehungsrate falsch vorhersagen. Da alle
bisherigen Simulationen mit unterschiedlichen Techniken vergleichbare
Aussagen machen, scheint es sich dabei nicht um einen numerischen
Fehler zu handeln. Viel wahrscheinlicher ist, dass ein bisher
unbekannter Prozess die Sternentstehung behindert, der in
gegenwärtigen Simulationen nicht, oder nur unzureichend
berücksichtigt wird.
“Sicher ist nur eines: Die Beobachtungen der Galaxien, unser
Verständnis der Dunklen Materie und die bisherigen Simulationen
der Galaxienentstehung können nicht gleichzeitig richtig
sein”, fasst Till Sawala zusammen. Die Autoren sind sich einig:
"Die Erforschung der Galaxienentwicklung hält noch manche
Überraschung bereit."
Till Sawala
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