Kartographie des Universums jenseits des Bekannten

Ein Forscherteam am Max-Planck-Institut für Astrophysik hat nicht nur die bisher detailgetreuste Kartographierung des sichtbaren Universums anhand eines Galaxienkataloges vorgenommen, sondern tat dies gleich in 40.000 Versionen. Jede davon zeigt ein mögliches Universum, passend zu den bekannten Galaxien. Diese 40.000 Karten stellen daher nicht nur unser momentanes Wissen über beobachtete kosmische Strukturen dar, sondern ihre Unterschiede zeigen auch auf, wie unbekannte Regionen des Universums aussehen könnten.

Abb. 1: Ansicht (blau) und Querschnitte (rot) der über die 40.000 möglichen Universen gemittelten dreidimensionalen kosmischen Karte.

Abb. 2: Querschnitt durch den Mittelwert aller 40.000 kosmischen Karten, welche auf der Basis des Sloan Digital Sky Surveys mittels des HADES Computeralgorithmus erstellt wurden. Wie von Simulationen vorhergesagt, kann man hier klar die filamentare Struktur der Materieverteilung im Universum erkennen. Die zugehörige linkPfeil.gifAnimation zeigt tomographische Schnitte durch das beobachtete Universum und gibt ebenfalls das kosmische Netz in großer Detailtreue wieder.

Abb. 3: Querschnitt durch eine der 40.000 möglichen kosmischen Karten. Die zugehörige linkPfeil.gifAnimation verdeutlicht die Unsicherheit, mit der einzelne Strukturen im Universum detektiert werden können.

Die endlosen Weiten des Universums sind erfüllt von Galaxien, deren Milliarden Jahre altes Licht wir heute in unseren Teleskopen beobachten. Dabei sind sie nicht in beliebiger Weise im All verteilt, sondern zeichnen die Konturen eines gigantischen kosmischen Geflechtes ab. Dieses besteht aus mysteriöser unsichtbarer dunkler Materie und hat sich in der Geschichte des Kosmos durch das Zusammenspiel vieler physikalischer Phänomene gebildet.

Der Ursprung dieser beobachteten kosmischen Struktur findet sich in den mikroskopischen Quantenfluktuationen, die während der ersten Sekundenbruchteile des Universums auftraten. Unter dem wesentlichen Einfluss der Gravitation formten diese, im Verlauf der folgenden 14 Milliarden Jahre, das kosmische Netzwerk, wie wir es heute beobachten.

Eine exakte Vermessung und Kartographierung dieser kosmischen Struktur ermöglicht daher einen Einblick in die Frühphasen des Universums kurz nach dem Urknall, als der Raum noch mit Strahlung und heißem Plasma gefüllt war, und es weder Sterne noch Galaxien gab. Zudem liefern Analysen dieser Struktur Aufschluss über die Eigenschaften der kosmischen Materie, der Gravitation und Galaxienbildung sowie über geometrische Eigenschaften von Raum und Zeit des Universums. Solche kosmischen Karten ermöglichen ebenfalls die Vorhersage vieler beobachtbarer Effekte, welche durch Vergleiche mit tatsächlichen Messungen unser Verständnis von Raum, Zeit und Materie überprüfbar machen.

Anders jedoch als vergangene Seefahrer und Entdecker, welche die Umrisse der Kontinente mit ihren Schiffen erkundeten, können wir heute die Strukturen im Universum nur mittels unsere Teleskope auf der Erde kartographieren. Dabei unterliegt eine jede Beobachtung oder Messung der Galaxienverteilung auch leider immer einer Vielzahl von Messungenauigkeiten. Insbesondere können lichtschwache Galaxien mit zunehmendem Abstand von der Erde immer schlechter detektiert werden. Somit verschwindet auch die Information über die kosmische Struktur bei großen Abständen im Nebel der Ungewissheit. In großer Entfernung, oder aber auch in schlecht beobachteten Bereichen, erscheinen die kosmischen Strukturen daher unscharf und ihre Konturen können nur noch erahnt werden.

Eine wissenschaftlich gehaltvolle Karte des Universums muss daher neben der Darstellung der kosmischen Struktur auch noch Aussagen über deren Glaubwürdigkeit tätigen. Hierbei wird die Glaubwürdigkeit - gemäß dem Mathematiker Bayes - mittels einer Wahrscheinlichkeit quantifiziert, die ausdrückt, wie gut wir das kosmische Netz erkennen können.

Die Erstellung derartiger Karten bedarf der Durchmusterung von extrem hochdimensionalen Räumen und war bisher ein nicht zu bewältigendes Rechenproblem. Am Max-Planck-Institut für Astrophysik hat nun Jens Jasche den auf der Bayesischen Statistik basierenden Computeralgorithmus HADES (HAmiltonian Density Estimation and Sampling) entwickelt, der es erlaubt, die dreidimensionalen kosmischen Strukturen zu analysieren und zu bewerten.

HADES liefert nicht nur eine einzige Karte des Universums, sondern gleich einen Satz unterschiedlicher Karten, die alle im Mittel die gleichen durch die Beobachtungsdaten aufgezeigten Strukturen zeigen, sich aber in ihren sonstigen Details unterscheiden. Jede dieser Karte zeigt ein mögliches Universum, welches mit den Daten kompatibel ist. Strukturen, die in allen Karten vorhanden sind, sind daher glaubwürdiger als Strukturen, die sich nur in wenigen dieser Karten finden. Der Satz dieser Karten liefert also die Information über die Vertrauenswürdigkeit aller kartographierten Strukturen, die notwendig für eine weitere wissenschaftliche Analyse ist.

Basierend auf dieser Methode hat ein internationales Team, bestehend aus Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Deutschland und der Scuola Normale Superiore di Pisa in Italien, aus den Galaxiendaten des Sloan-Digital-Sky-Surveys die bisher detailgetreuste Abbildung unserer kosmischen Umgebung ermittelt. Die Analyse der Daten umfasst ein kubisches Gebiet mit einer Seitenlänge von mehr als 2,1 Milliarden Lichtjahren und spiegelt in überraschender Qualität das großskalige kosmische Geflecht wieder. Dieses besteht, wie von Simulationen vorhergesagt, aus vielen filamentären Strukturen und großen leeren Regionen.

Insgesamt erzeugten die Forscher 40.000 solcher möglichen Universen und erhielten drei Terabyte an Daten, mittels derer sie die Glaubwürdigkeit der erkannten Strukturen bewerten und präzise Vertrauensgrenzen bestimmen können. Das gewonnene kosmische Kartenmaterial erlaubt nun weitergehende Analysen der Galaxien- und Strukturentstehung im Universum sowie die Vorhersage einer Reihe physikalischer Effekte, die mittels der Planck-Surveyor Satelliten Mission oder dem LOFAR Radiointerferometer gemessen und bestätigt werden können.

Zukünftige Beobachtungen der Galaxienverteilung werden noch weitaus größere und detailliertere kosmische Karten ermöglichen. Dann steht auch das Forscherteam am Max-Planck-Institut bereit, die Grenzen des bekannten Universums weiter in die Tiefen des Raumes zu verschieben.


Jens Jasche, Franciso S. Kitaura, Cheng Li, Torsten A. Enßlin


Beteiligte Institute:

Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching (JJ, CL, TAE)
Scuola Normale Superiore di Pisa (FSK)

Veröffentlichungen

Details der kosmographischen Analyse werden in den folgenden Publikationen beschrieben:

J. Jasche, F.S. Kitaura, C. Li, T.A. Enßlin, "Bayesian non-linear large scale structure inference of the Sloan Digital Sky Survey data release 7", linkPfeilExtern.gifarXiv:0911.2498

J. Jasche, F.S. Kitaura, "Fast Hamiltonian sampling for large scale structure inference" linkPfeilExtern.gifarXiv:0911.2496