Sind Neutronensterne seltsam?

Der Zustand von Materie im Innern von Neutronensternen, den ultradichten Überresten kollabierter Sterne, ist eine der größten ungeklärten Fragen der Astrophysik. Forscher vom Max-Planck-Institut für Astrophysik zusammen mit Kollegen der Universitäten in Frankfurt, Heidelberg und Jena berechnen, wie bei den zerstörerischen Kollisionen solcher Sterne erzeugte Signale helfen können, dieses Rätsel zu lösen.

Abb. 1: Vier Zeitpunkte bei der Kollision zweier sich umkreisender, anfangs kalter Neutronensterne. Die im Computer simulierte Entwicklung dauert nur rund 0,02 Sekunden. Die beiden Sterne nähern sich durch Abstrahlung von Gravitationswellen schnell an (oben links), stoßen zusammen (oben rechts), verschmelzen miteinander (unten links) und bilden schließlich einen dichten, superschweren Neutronenstern, der von einer ausgedehnteren, dünneren Gashülle umgeben ist (unten rechts). Die Farben geben die Materietemperatur wieder, wobei Blau "kühles" Gas bis etwa 15 Milliarden Grad bedeutet und Grün Werte um 30-40 Milliarden Grad signalisiert. Der Ablauf der Sternverschmelzung ist in den Filmen gut zu verfolgen. Sie unterscheiden sich in der Auflösung und der Art der Visualisierung:
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Abb. 2: Ähnlich wie die Neutronensterne in Abb.1 verschmelzen auch zwei Sterne aus seltsamer Quarkmaterie nach rascher Annäherung zu einem sehr schnell rotierenden Superstern, der nach einer kurzen Zeit heftiger Vibrationen schließlich zum Schwarzen Loch kollabieren wird. Anders als bei den beiden Neutronensternen bilden sich sehr dünne Spiralarme aus, deren Struktur mit den besonderen Eigenschaften der Quarkmaterie zusammen hängt. Von den Enden dieser Spiralarme werden Klümpchen seltsamer Materie in den interstellaren Raum injiziert und sollten mit der kosmischen Strahlung auch die Erde erreichen. Der Ablauf der Sternverschmelzung ist wieder in den Filmen genau zu verfolgen, die in unterschiedlicher Größe und Visualisierungsart angeboten werden:
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Die Kerne der Atome, aus denen die uns vertraute Materie besteht, setzen sich aus positiv geladenen Protonen und elektrisch neutralen Neutronen zusammen. Diese wiederum sind aus noch fundamentaleren Bausteinen, den Quarks, aufgebaut. In Neutronen und Protonen, den Nukleonen, kommen lediglich die zwei leichtesten der sechs bekannten Arten von Quarks vor, nämlich die "up" und "down" (deutsch: "oben" und "unten") Quarks. Um die anderen Quarks auf der Erde zu erzeugen, brauchen Physiker große Beschleunigerexperimente wie den gerade fertiggestellten Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Teilchenforschungslabor CERN nahe Genf. Am LHC werden dazu Protonen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann zur Kollision gebracht. Bei solchen Crashes entstehen kurzzeitig extreme Bedingungen, wie sie nur kleinste Bruchteile einer Sekunde nach dem Urknall im Universum geherrscht haben.

Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass es im heutigen Weltall auch noch Quarks einer anderen Familie, die sog. "strange" (deutsch: "seltsamen") Quarks, gibt. Diese sind deutlich schwerer als ihre Verwandten vom up und down Typ und zerfallen normalerweise sofort in die energetisch günstigeren nukleonischen Quarks. Die Wechselwirkungen zwischen den Quarks könnten jedoch dafür sorgen, dass Objekte nicht aus up und down Quarks allein bestehen, sondern auch die seltsamen Quarks enthalten. Solche Objekte wären aufgrund ihres niedrigen Energiezustandes stabiler als Atomkerne. Es könnte sie als winzige "Klümpchen" aus wenigen hundert Nukleonen geben, die mit der kosmischen Strahlung durch das Weltall fliegen und aufgrund ihrer Kleinheit "strangelets" genannt werden. Seltsame Quarks könnten aber auch im Innern von Neutronensternen entstehen, den dichtesten bekannten Objekten, die als extrem kompakte Überreste beim Gravitationskollaps von Sternen zurückbleiben. Solche Sternleichen wären dann gar keine Neutronensterne, sondern "seltsame Sterne" (strange stars). Diese stellaren Exoten hätten etwa die 1,5-fache Sonnenmasse und einen Radius von rund 10 Kilometern. Bei gleicher Masse wären sie kompakter als Neutronensterne, was ein charakteristisches Merkmal zu ihrer Identifizierung sein könnte. Denn im Gegensatz zu Neutronensternen wäre ihre Materie nicht nur durch Gravitationskräfte gebunden, sondern durch die starke Wechselwirkung der Quarks, weshalb seltsame Sterne viel schärfere Oberflächen hätten.

Astronomen sind auf intensiver Suche nach den seltsamen Sternen. Ihre Entdeckung wäre eine Sensation, würde sie doch bedeuten, dass es den stabilen, exotischen Grundzustand von Materie aus seltsamen Quarks tatsächlich gibt. Leider gestaltet sich die Suche extrem schwierig, weil bislang nur bei wenigen Neutronensternen in Doppelsystemen die Massen genau gemessen wurden und Radien nur ungenau und unter unsicheren theoretischen Annahmen bestimmt werden können. Mit den bekannten Daten läßt sich die Kompaktheit nicht ausreichend einschränken.

Ein Team aus Astrophysikern des Max-Planck-Instituts für Astrophysik und der Universität Jena zusammen mit Kernphysikern der Universitäten in Frankfurt und Heidelberg zeigt nun einen anderen Weg auf, wie der Existenz der exotischen Sterne auf die Spur zu kommen ist. Dazu untersuchte das Team mit Computermodellen die messbaren Signale, die bei der Kollision zweier Sterne aus seltsamer Materie in einem Doppelsystem erzeugt werden. Doppelsterne leben nicht ewig. Sie strahlen als bewegte Massen nach Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie Gravitationswellen ab, Schwingungen der Raumzeit, die sich wellenartig ausbreiten. Dabei verlieren die sich umkreisenden Sterne Energie. Deshalb schrumpft ihr Abstand stetig, so dass sie immer schneller umeinander wirbeln. Die Gravitationswellenabstrahlung steigt ständig weiter, bis die Sterne in einer finalen Katastrophe ineinander stürzen (Abbn.1 und 2). Wenn das passiert, kommt es zu einem heftigen Ausbruch von Gravitationswellen, der danach abklingt, wenn der aus der Sternverschmelzung hervorgegangene, wild vibrierende, superschwere Körper allmählich zur Ruhe kommt und schließlich zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Die Modellrechnungen des Physikerteams zeigen nun, dass eine ganze Reihe von Eigenschaften des Gravitationswellensignals sich eignen, Neutronensterne von seltsamen Sternen zu unterscheiden.

Die kosmischen Kollisionen von zwei Sternen aus Neutronen oder seltsamer Materie sollten sich nach Schätzungen der Astrophysiker in Galaxien wie der Milchstraße im optimistischen Fall einmal alle 10.000 Jahren ereignen. Das ist natürlich viel zu selten, um es in unserer eigenen Welteninsel zu erwarten. Allerdings werden die großen Gravitationswellenantennen wie das vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik betriebene linkPfeilExtern.gifGEO600-Instrument bei Hannover oder das linkPfeilExtern.gifLIGO-Experiment in den USA in wenigen Jahren so weit aufgerüstet sein, dass sie die schwachen Signale auch aus dem linkPfeilExtern.gifVirgo-Galaxienhaufen in 65 Millionen Lichtjahren Entfernung auffangen können, wo sich Tausende von Galaxien tummeln.

Aber selbst dann wird für eine solche Gravitationswellenmessung ein bißchen Glück nötig sein. Gut daher, dass die Ergebnisse des Forscherteams eine weitere interessante Möglichkeit aufzeigen. Die kosmischen Sternkollisionen schleudern nämlich Materie in die stellare Umgebung. Falls die aufeinander prallenden seltsamen Sterne nicht zu kompakt sind, können so etliche Erdmassen als kleine Klümpchen seltsamer Quarkmaterie in die den Weltraum durchflutende kosmische Teilchenstrahlung injiziert werden (Abb.2). Mit einem im kommenden Jahr auf der Internationalen Raumstation ISS geplanten Experiment, dem linkPfeilExtern.gif"Alpha Magnetic Spectrometer" (AMS-02) , wird auch nach solchen exotischen Bestandteilen der die Erde erreichenden kosmischen Strahlung gefahndet werden. Sollte AMS-02 die strangelets finden, wäre die erhoffte Sensation perfekt. Aber selbst wenn dies ausbleibt, lassen sich mit Hilfe der Berechnungen der Astro- und Kernphysiker den Messungen noch nützliche Informationen über die Eigenschaften möglicher Quarksterne entlocken. In jedem Fall wird daher die Spannung steigen, wenn das neue Experiment auf den Weg zur ISS geht.


A. Bauswein und H.-Thomas Janka


Publikationen:

A. Bauswein, H.-T. Janka, R. Oechslin, G. Pagliara, I. Sagert, J. Schaffner-Bielich, M.M. Hohle and R Neuhäuser, Physical Review Letters, 103, 011101 (2009)

A. Bauswein, R. Oechslin and H.-T. Janka, Physical Review D, 2009, submitted linkPfeilExtern.gifarXiv:0910.5169


Danksagung:

Die Simulationen wurden im Rechenzentrum Garching (RZG) und Leibniz-Rechenzentrum Garching (LRZ) durchgeführt. Wir danken Markus Rampp (RZG) für die Visualisierung der Ergebnisse. Dabei wurde die Splotch Visualisierungs-Software von K. Dolag, M. Reinecke, C. Gheller und S. Imboden verwendet.