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  Aktuelle Forschung :: Oktober 2009 Zur Übersicht

Kartierung extragalaktischer Strukturen in der dunklen Materie mit Gammastrahlen

Unter Verwendung der hochaufgelösten Millennium-II Simulation haben Wissenschaftler des Max-Planck Instituts für Astrophysik (MPA) die ersten vollständigen Himmelskarten der Gamma-Hintergrundstrahlung erstellt, die aufgrund von Vernichtung von dunkler Materie in extragalaktischen Strukturen erwartet wird.

Abb. 1: Obere Abbildung: Ein Ausschnitt einer Karte mit dem extragalaktischen Gammahintergrund aufgrund von Vernichtung dunkler Materie in nahen Strukturen. Für die Karte wurden nur Quellen benutzt, die sich innerhalb von 68 Mpc um den Beobachter, welcher zufällig in der Simulationsbox plaziert wurde, befinden. Die Farbskala gibt einen visuellen Eindruck von der Intensität der Gammastrahlung für jedes einzelne Pixel der Karte; rot bedeutet dabei die höchste Intensität. Die beobachtete Energie der simulierten Gammastrahlung beträgt 10 GeV.
Untere Abbildung: Karte des kompletten Gammastrahlenhimmels aufgrund von Vernichtung dunkler Materie in Quellen bis zu z~10. Die Gamma-Leuchtkraft der dominierenden nahen Halos, die im oberen Bildausschnitt deutlich zu sehen sind, wird hier von einer gleichmäßigeren Strahlung aus den zahlreichen fernen Halos überstrahlt, die effektiv als Punktquellen gesehen werden. In beiden Fällen wurden die Beiträge aller von der Simulation auflösbaren Haloes (bis zu kleinsten Objekten von 9 x 108 Sonnenmassen) berücksichtigt.

Abb. 2: Obere Abbildung: Karte des kompletten Himmels mit Energien von 0,1 und 32 GeV in der linken beziehungsweise rechten Ecke. Die Karten wurden mit einer Gaußverteilung mit einer FWHM von 5 Grad geglättet. Bei einer festen Energie ist eine Karte des ganzen Himmels sehr glatt und nahe Strukturen sind nur schwach sichtbar.
Untere Abbildung: Verhältnis der Karten aus der oberen Abbildung (links) und einer Teilkarte, die nur nahe Strukturen innerhalb von 68 Mpc bei einer beobachteten Energie von 0,1 GeV enthält (rechts). Solche Differenzen zwischen Karten (“Farbkarten”) unterschiedlicher Beobachtungsenergie erhöhen den Kontrast im Signal naher Strukturen deutlich.

Obwohl die dunkle Materie die meiste Materie im Universum ausmacht, bleibt ihre Natur unbekannt. Bisher ist die Existenz dunkler Materie nur indirekt durch ihre Gravitationseffekte nachgewiesen worden. Sollte die dunkle Materie jedoch aus Neutralinos bestehen, einer neuen Teilchensorte, die von der Supersymmetrie vorausgesagt wird, so würde sie, wenn auch nur sehr schwach, mit gewöhnlicher Materie wechselwirken. So könnte sie vielleicht bald in Labors auf der Erde nachgewiesen werden. Zusätzlich können sich Neutralinos, da sie Majorana-Fermionen sind, gegenseitig selbst vernichten und dabei gewöhnliche Partikel wie Positronen, Neutrinos und Gammastrahlen produzieren. Wenn diese Produkte der Vernichtung zahlreich genug sind, könnten sie durch Satelliten wie FERMI nachgewiesen werden, der den Gammastrahlenhimmel seit Mitte des Jahres 2008 durchforstet.

Diese Gammastrahlung wird hauptsächlich in Regionen mit sehr hoher Dichte produziert. Daher scheint es sinnvoll, in sehr dichten, nahe gelegenen Gegenden nach ihr zu suchen, wie zum Beispiel im Zentrum unserer Galaxie und/oder in den Zentren der Satellitengalaxien der Milchstraße. Tatsächlich stellt sich heraus, dass die Erfolgschancen für die Suche nach Gammastrahlung aus unserer Galaxie dann am höchsten sind, wenn man leicht neben das galaktische Zentrum blickt, um eine starke Vermischung des Signals mit Gammastrahlung aus anderen Quellen im galaktischen Zentrum zu vermeiden (linkPfeil.gifsiehe Aktuelle Forschung Dezember 2003).

Allerdings werden auch außerhalb der Milchstraße große Mengen an Gammastrahlung durch Vernichtung dunkler Materie in all den vielen Halos und Unterhalos entlang einer Sichtlinie produziert, was ingesamt zu einem sogenannten Extragalaktischen Gammastrahlungshintergrund (extragalactic gamma-ray background, EGB) führt. Obwohl der EGB auch Anteile aus anderen Quellen, zum Beispiel von Blazaren oder von beschleunigten geladenen Teilchen (den “kosmischen Strahlen”) enthält, sollte das Energiespektrum und die Winkelverteilung der Vernichtungsstrahlung ausgeprägte Signaturen aufweisen, die neue Wege zur Entschlüsselung dieses Signals eröffnen. Daher ist eine detaillierte Analyse des EGB eine vielversprechende Möglichkeit, dunkle Materie zu entdecken.

In einer neuen Studie haben Wissenschaftler am MPA die neue Millennium-II-Simulation verwendet, um für den gesamten Himmel Karten des Beitrags der Vernichtungsstrahlung dunkler Materie zum EGB zu erstellen. Dabei wurde eine spezielle Methode zur Erstellung der Karten enwickelt, mit dessen Hilfe sich der rückwärtige Lichtkegel eines virtuellen Beobachters in einer Bezugsgalaxie unter Einbeziehung der Gammaleuchtkräfte aller Halos und Unterhalos konstruieren läßt. Außerdem berücksichtigt die Methode Korrekturen für Emissionskomponenten, die von der Simulation nicht aufgelöst werden können, sowie eine Extrapolation des Signals bis zu der minimalen Masse für gebundene Neutralino-Halos. Die Winkelauflösung der so erstellten Karten wurde ähnlich der von FERMI gewählt, nämlich ungefähr 0,115 Grad.

Es stellte sich heraus, dass das Signal für einen großen Teil des relevanten Energiespektrums (0.1-30 GeV) hauptsächlich aus Quellen mit einer Rotverschiebung von bis zu z~2 stammt. Für die optimistischsten teilchenphysikalischen Szenarien liegt das erwartete Energiespektrum des isotropen Anteils der Hintergrundstrahlung etwa eine Größenordnung unter den Werten, die das EGRET-Teleskop (der Vorläufer von FERMI) in dem Energiebereich von 1-20 GeV für den EGB tatsächlich gemessen hat. Ursprünglich wurde dieser beobachtete Überschuß an Gammastrahlen als ein mögliches Signal der Vernichtung von Dunkler Materie interpretiert. Die Ergebnisse der MPA-Gruppe zeigen nun, dass, sollten die Befunde von FERMI bestätigt werden, nur dann Neutralinovernichtung für das Signal verantwortlich sein kann, wenn der Prozeß in irgendeiner Weise verstärkt wäre. Es gibt durchaus verschiedene Vorschläge für Mechanismen, die eine solche Verstärkung verursachen könnten, zum Beispiel das Vorhandensein extremer “Dichtespitzen” von dunkler Materie um mittelschwere schwarze Löcher mit Massen zwischen 100 und einer Million Sonnenmassen herum, oder die so genannte Sommerfeldverstärkung, ein quantenmechanischer Bündelungseffekt, der den Wirkungsquerschnitt des Vernichtungsprozesses vergrößert.

Die MPA-Gruppe untersuchte auch die anisotrope Komponente des EGB, indem sie das Winkelenergiespektrum der simulierten Karten berechnete. Dies lieferte insbesondere genaue Vorhersagen für die Form des Spektrums, die dazu benutzt werden könnte, die Messungen klar gegen andere Gammastrahlenquellen abzugrenzen, da das Vernichtungssignal auf ganz besondere Art und Weise von der Verteilung und Häufigkeit von Halos auf großen Skalen, von der Verteilung von Unterhalos innerhalb der Halos und von der inneren Struktur der Halos abhängt. Außerdem zeigte sich, dass die Winkelverteilung der Strahlung auch von der Energie der beobachteten Photonen abhängt. Interessanterweise können diese Unterschiede ausgenutzt werden, um “Farbkarten” zu erstellen, die das Signal naher Strukturen aus dunkler Materie verstärken, analog zu Techniken, die in Röntgenbeobachtungen verwendet werden. Beispielsweise fanden die Wissenschaftler vom MPA heraus, dass es den Kontrast in den lokalen Strukturen aus Dunkler Materie enorm verbessert, wenn man die Werte der Karten bei 0,1 GeV und 32 GeV durcheinander teilt, da dadurch der Gammahimmel von näher liegenden Strukturen deutlich sichtbarer wird. Enthält das Emissionsspektrum der Vernichtungsstrahlung im Ruhesystem markante Signaturen (z.B. Linien), könnte das vielleicht sogar tomografische Aufnahmen der Strukturen in der dunklen Materie ermöglichen.


Jesus Zavala, Volker Springel und Michael Boylan-Kolchin


Veröffentlichung

Jesus Zavala, Volker Springel, Michael Boylan-Kolchin, "Extragalactic gamma-ray background radiation from dark matter annihilation", 2009, eingereicht bei MNRAS.
linkPfeilExtern.gifarXiv:0908.2428v2



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Letzte Änderung: 24.9.2009