Unsere Milchstraße und ihr stellarer Halo

Obwohl sie nur eine Galaxie unter vielen ist, ist unsere eigene Galaxie, die Milchstraße, diejenige, die wir am detailliertesten untersuchen können. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) haben ihre Entstehung und Entwicklung untersucht, indem sie hochaufgelöste N-Teilchen-Simulationen mit semi-analytischen Verfahren verknüpften, um die Entwicklung der baryonischen Komponenten innerhalb von Halos dunkler Materie zu studieren.

Abb. 1: Alter-Metallizitäts-Verteilung für alle (linkes Bild) und kugelförmige (rechtes Bild) Sterne der Modell-Milchstraße

Abb. 2: Prognostizierte Verteilung der Sternteilchen, die im stellaren Halo enden, bei unterschiedlichen Rotverschiebungen

Abb. 3: Prognostiziertes Dichteprofil des stellaren Halo (durchgezogene schwarze Linie) und des Halos dunkler Materie (gestrichelte schwarze Linie). Die durchgezogenen grünen und orangen Linien zeigen die prognostizierten Dichteprofile für Sternteilchen mit einer Metallizität, die geringer bzw. höher ist als 0,4-mal der Wert der Sonne ist.

Unsere Galaxis, die Milchstraße, ist eine ziemlich große Spiralgalaxie, die aus vier stellaren Hauptkomponenten besteht: (1) die dünne Scheibe, die die meisten Sterne in der Galaxie enthält, mit einer großen Vielfalt im Alter und mit hohen Drehimpulsen; (2) die dicke Scheibe, die ungefähr 10 bis 20 Prozent der Masse in der dünnen Scheibe enthält und deren Sterne im Durchschnitt älter sind und weniger Metalle enthalten als jene in der dünnen Scheibe; (3) der Bulge — die innere Verdickung der Spiralform zu einem nuklearen Sternhaufen —, in dem sich alte und metallreiche Sterne mit niedrigem Drehimpuls befinden; und (4) der stellare Halo, der nur ein paar Prozent der gesamten stellaren Masse enthält und dessen Sterne alt und metallarm sind und niedrige Drehimpulse aufweisen.

Die Astrophysiker Gabriella De Lucia (MPA) und Amina Helmi (Kapteyn Astronomical Institute) haben die Bildung der Milchstraße und ihres stellaren Halo untersucht, indem sie hochaufgelöste N-Teilchen-Simulationen mit semi-analytischen Verfahren der Galaxienbildung verknüpften (linkPfeil.gifAktuelle Forschung Mai 2004). In diesen Modellen wird davon ausgegangen, dass sich Galaxien bilden, wenn sich Gas im Zentrum von Halos dunkler Materie verdichtet, deren Ort und Entwicklung mithilfe der N-Teilchen-Simulation verfolgt wird. Die Entwicklung der baryonischen Komponenten von Galaxien (z. B. Gas, Sterne, Metalle) kann dann anhand der Geschichte der Halos dunkler Materie nachgezeichnet werden, indem die Wissenschaftler einfache analytische Gesetze anwenden, unterstützt durch Beobachtungsdaten und/oder theoretische Argumente.

Die physikalischen Eigenschaften unserer Modell-Milchstraße weisen eine gute Übereinstimmung mit empirischen Messungen unserer Galaxie auf. Abb. 1 zeigt etwa die Verteilung der unterschiedlichen Altersstufen und Metallizitäten für alle Sterne (linkes Bild) und für die Sterne in der kugelförmigen Verdickung (rechtes Bild) der Modell-Milchstraße. Die Darstellung zeigt, dass die Galaxie Sterne jedes Alters enthält — was bedeutet, dass diese innerhalb eines langen Zeitraums entstanden sind —, die aber gleichzeitig nur eine begrenzte Spannweite an Metallhäufigkeit abdecken. Im Gegensatz dazu haben die Sterne in der spheroidalen Komponente alle ein sehr hohes Alter, und ein paar von ihnen weisen einen relativ geringen Metallgehalt auf, was mit den Ergebnissen empirischer Messungen übereinstimmt.

Um die Struktur und Metallizitätsverteilung des stellaren Halos zu untersuchen, gehen wir davon aus, dass er sich aus dem Inneren von Satellitengalaxien aufbaut, die über lange Zeiträume hinweg mit der Milchstraße verschmolzen sind. Abb. 2 zeigt die prognostizierte Verteilung der Sternenteilchen, die im stellaren Halo enden, zu unterschiedlichen kosmischen Zeiträumen. Die Sternenteilchen sind in Abhängigkeit von ihrem Metallgehalt farblich gekennzeichnet, wie im Schaubild ganz links gezeigt wird. Die Abbildung zeigt, dass die Sternenteilchen, die im stellaren Halo enden, sich über einen prognostizierten Bereich von ~ 1 Mpc2 bei z ~ 10 erstrecken. Bei z ~ 1 sind die Sternenteilchen bereits auf einer einzelnen, relativ lang gestreckten Komponente versammelt, die bei abnehmender Rotverschiebung fortschreitend kugelförmiger wird.

Das Schaubild ganz rechts von Abb. 2 zeigt, dass es keine klare Korrelation zwischen Metallizität und Entfernung vom Zentrum des stellaren Halo gibt (z. B. keinen klaren Metallizitätsgradienten), wobei Sterne niedriger und hoher Metallizität in unterschiedlichen Entfernungen verteilt sind. Sterne hoher Metallizität sind jedoch stärker im Zentrum konzentriert als Sterne niedriger Metallizität. Dies wird noch deutlicher in Abb. 3, die das prognostizierte Dichteprofil des stellaren Halo (schwarz) zeigt sowie das prognosizierte Dichteprofil von Sternen mit einer Metallizität, die höher (orange) bzw. niedriger (grün) als 0,4-mal der Wert der Sonne ist. Die Wahrscheinlichkeit, Sterne niedriger Metallizität zu beobachten, steigt daher bei größeren Abständen vom galaktischen Zentrum an (> ~ 10-20 kpc), wo der Beitrag der inneren, metallreicheren Sterne weniger dominierend ist. Die stärkere Konzentration von Sternen hoher Metallizität ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bausteine des stellaren Halo auf einer klar definierten Masse-Metallizität-Relation beruhen, und dass sie durch dynamische Reibung näher an die inneren Regionen des Halos gezogen werden.

Die numerische Auflösung der Simulationen, die in unserer Untersuchung verwendet wurden, ist zu gering für Untersuchungen des räumlich und kinematisch kohärenten Sternstroms im heutigen stellaren Halo. Simulationen mit höherer Auflösung (linkPfeil.gifPresseerklärung November 2008) werden für diese Untersuchungen benötigt. Dies alles sind dringend notwendige Schritte, um das Ergebnis von laufenden und zukünftigen großen Studien wie SEGUE, RAVE und schließlich GAIA zu interpretieren, mit dem Ziel, die Entwicklungsgeschichte unserer Galaxis zu enthüllen.


Gabriella De Lucia; Mona Clerico (Übersetzung)


Weitere Informationen:

Gabriella De Lucia and Amina Helmi, The Galaxy and its stellar halo: insights on their formation from a hybrid cosmological approach,
MNRAS in press, linkPfeilExtern.gifarXiv0804.2465