Sonnenprotuberanzen: die Notwendigkeit einer dynamischen Modellierung.

Neue Weltraumbeobachtungen der Sonne haben gezeigt, dass die ultravioletten Linien des Wasserstoffs (die sogenannten Lyman Linien) sehr asymmetrisch sind. Dieses unerwartete Resultat wurde nun kürzlich von einer Gruppe von Wissenschaftlern des Max-Planck- Instituts für Astrophysik und des astronomischen Instituts der Akademie der Wissenschaften in Ondrejov, tschechische Rep., erklärt. Es zeigte sich, dass für diese Modellierung ein hoher Grad an Feinstruktur in Verbindung mit einem dynamischen Verhalten dieser Strukturen nötig sind.

Abb. 1: Bild einer Protuberanz am Sonnenrand im Licht einer Linie des neutralen Heliums. Die weiße Linie markiert die Position des Spektrographenspalts für die Lyman-Linien-Beobachtungen.

Abb. 2: H-alpha Bild eines Filaments auf der Sonnenscheibe vom schwedischen 1-m Solar Telescope (SST). Das Filament zeigt einen hohen Grad an Feinstruktur (von O. Engvold).

Abb. 3: Linienprofile von Lyman-alpha (oberer Teil) und Lyman-beta (unterer Teil) einer von SUMER am 25. Mai 2005 beobachteten Protuberanz. Die Spektren sind an verschiedenen Positionen entlang des Spalts aufgenommen.

Abb. 4: Theoretische Profile von Lyman-alpha bis Lyman-gamma berechnet für verschiedene Fadenpositionen. Die vollen Linien zeigen die Profile für ein Modell mit 10 individuellen Fäden. Die strich-punktierten Linien zeigen die Profile eines einzelnen Fadens an der gleichen Stelle.

Sonnenprotuberanzen sind relativ kühle Gebilde von etwa 8000 K, die weit in die meherere Milionen K heiße Korona hineinragen. Man kann sie am besten in der starken H-alpha Linie des neutralen Wasserstoffs beobachten. Aber auch in anderen Spektrallinien sind sie gut sichtbar und ein Beispiel dafür ist in Abb. 1 gezeigt. Wenn man sie gegen den Hintergrund der Sonnenscheibe in H-alpha betrachtet, erscheinen sie als dunkle Strukturen, die Filamente genannt werden. Sie haben im Allgemeinen eine sehr detailierte Feinstruktur; ein typisches Beispiel dafür ist in Abb. 2 gezeigt.

Mit Hilfe des SUMER (Solar Ultraviolet Measurements of Emitted Radiation) Spektrographen an Bord des SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) Satelliten wurden diese auch in den Lyman Linien des Wasserstoffs beobachtet. In Abb. 1 ist die Position des Spektrographenspalts als weiße Linie eingezeichnet. Beispiele für die gemessenen Linienprofile der ersten zwei Lyman Linien an mehereren Stellen entlang dem Spalt sind in Abb. 3 gezeigt. Ein überraschendes Ergebnis dieser Messungen war, dass in vielen Fällen die Profile sehr unsymmetrisch sind.

Theoretische Modelle für die Protuberanzenfeinstruktur wurden von Ulrich Anzer in Zusammenarbeit mit Petr Heinzel und Stanislav Gunar vom astronomischen Institut in Ondrejov entwickelt. Mit Hilfe dieser Modelle konnten wir die beobachteten Asymmetrien reproduzieren. Für unsere Untersuchung benutzten wir eine Konfiguration die aus mehereren individuellen Fadenstrukturen besteht, die zufällig gewählte Geschwindigkeiten entlang der Sichtlinie (LOS, line-of-sight) besitzen; außerdem sind sie senkrecht zur LOS um zufällige Distanzen versetzt. Für diese Modelle wurden detaillierte Strahlungstransportrechnungen durchgeführt. Unsere Rechnungen ergaben, dass bereits relativ kleine LOS-Geschwindigkeiten zwischen -10 km/s und +10 km/s ausreichen, um starke Asymmetrien zu produzieren. Ausgewählte Beispiele berechneter Linienprofile sind in Abb. 4 dargestellt. Der physikalische Mechanismus, der zu diesem Ergebnis führt, liegt in den verschiedenen Geschwindigkeiten der einzelnen Fäden zueinander. Deshalb wird die Strahlung von einem Faden von allen vor ihm liegenden mit entsprechenden Dopplerverschiebungen absorbiert. Dies kann die gefundenen Linienasymmetrien produzieren. Entscheidend dabei ist die Tatsache, dass bereits relativ kleine Geschwindigkeiten große Asymmetrien ergeben. Dies ist deshalb der Fall, weil zum einen die Linienprofile zwei sehr ausgeprägte enge Spitzen besitzen und zum anderen die Absorptionsprofile steile Flanken haben.

Diese neuen Ergebnisse zeigen uns, dass für realistische Protuberanzenmodelle die Dynamik der Feinstrukturen von entscheidender Bedeutung ist.


Ulrich Anzer


Veröffentlichungen:

Stanislav Gunar, Petr Heinzel, Ulrich Anzer and Brigitte Schmieder, "On Lyman-line asymmetries in quiescent prominences", 2008, Astronomy & Astrophysics 490, 307 - 313