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Abb. 1:
Dreidimensional Karte des Verteilung der Dunklen Materie in unserer
kosmischen Nachbarschaft mit 1.5 Milliarden Lichtjahren
Kantenlänge erstellt aus dem sechsten Galaxienkatalogs des
Sloan-Digital-Sky-Surveys mit dem am Max-Planck-Institut für
Astropysik entwickelten ARGO-Computerprogramm.
Der Karte liegen die Daten von etwa einigen hunderttausend Einzelgalaxien
zugrunde.
(Filmversion)
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Die Kartierung des Universums, die Kosmographie, hat im Gegensatz zur
irdischen Kartographie noch ausgedehnte weiße Flecken. Sterne
und Staubwolken unserer eigenen Galaxie versperren manchen Blick,
zudem kann das schwache Leuchten der fernsten Galaxien die Randgebiete
des beobachtbaren Universums nur wenig erhellen. Ähnlich wie die
Geographen des Mittelalters kann man versuchen, diese weißen
Flecken durch Annahmen aufzufüllen. Im Gegensatz zu ihnen greift
die moderne Kosmographie dabei nicht auf Fantasien und Legenden von
Ländern mit Drachen und anderen Fabelwesen zurück, sondern
auf statistische Methoden der Signalverarbeitung und ausgereifte
mathematische Theorien zur Entstehung und Verteilung der
Galaxien. Fehlende Informationen können dabei natürlich
nicht aus dem Hut gezaubert werden, aber dort, wo eine zu große
Lücke klafft, können stochastische Verfahren mögliche
kosmische Landstriche einfügen, die zumindest die korrekten
statistischen Eigenschaften haben.
So erzeugte Karten des Kosmos sind von großem wissenschaftlichen
Wert, weniger zum Zwecke kosmischer Navigation, da intergalaktische
Reisen selbst mit Lichtgeschwindigkeit Jahrmillionen bis
Jahrmilliarden dauern würden, sondern vielmehr um mit ihnen
Aufbau und Entwicklung des Universums zu untersuchen.
Die Saat der heute sichtbaren Strukturen wurden in den ersten
Sekundenbruchteilen des Universums gestreut. In den folgenden vierzehn
Milliarden Jahren wuchsen sie beständig. Diese Strukturen sind
damit quasi ein Fenster in die Frühphasen des Universums kurz
nach dem Urknall und geben uns Einblick in Epochen als der Raum mit
Strahlung und heißem Plasma erfüllt war, und es weder
Sterne noch Galaxien gab. Eine Analyse dieser Strukturen gibt zudem
Aufschluss über Eigenschaften der kosmischen Materie, über
die Gravitation, die für das Strukturwachstum verantwortlich ist,
sowie über geometrische Eigenschaften von Raum und Zeit des
Universums. Gutes kosmisches Kartenmaterial ermöglicht auch die
detaillierte Vorhersage einer Vielzahl von beobachtbaren Effekten,
welche durch Vergleiche mit tatsächlichen Messungen unser
Verständnis von Raum, Zeit und Materie überprüfbar
machen.
Die Konstruktion solcher Karten war bisher ein gigantisches
Berechnungsproblem, da im Prinzip jede einzelne Galaxie
ein wenig Information für jeden der Millionen von Orte
des rekonstruierten Universums mit sich bringt. Bisherige Versuche,
solche Karten zu erstellen, benötigten immens viel Rechenzeit auf
Supercomputern und lieferten nur Karten mit mäßiger
Detailfülle. Jens Jasche und Fracisco S. Kitaura des
Kosmographie-Teams haben am MPA ein Computerprogramm entwickelt, ARGO
(Algorithm to Reconstruct Galaxy-traced Overdensities), das
dreidimensionale Karten im Stundentakt auf handelsüblichen
Personalcomputern mit wesentlich höherer Auflösung als
bisher erstellt. Cheng Li, ein weiterer Kosmograph am
MPA, und Fracisco S. Kitaura haben die Daten des
Sloan-Digital-Sky-Surveys für die Datenprozessierung
aufbereitet. Somit ist es dem Wissenschaftler-Team gelungen die bisher
detailreichste Karte des Kosmos zu errechnen. Diese zeigt die
Verteilung der Dunklen Materie in einem Raumgebiet mit 1.5 Milliarden
Lichtjahren Kantenlänge in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Die hohe Geschwindigkeit, mit der ARGO solche Karten erzeugen kann,
wird es in Zukunft erlauben, die stetig wachsende Zahl von bekannten
Galaxien in einer gemeinsamen, hochaufgelösten Kartierung des
sichtbaren Universums zu vereinigen. Gleichzeitig können stets
vorhandene Ungenauigkeiten auf Grund von Messunsicherheiten in den
Karten präzise charakterisiert werden. Damit werden die Karten
für solide wissenschaftliche Zwecke nutzbar.
So plant zum Beispiel Torsten Enßlin,
der das Kosmographie Projekt initiert
hat, solcherart Karten zur
Vorhersage jener Temperaturschwankungen der kosmischen
Mikrowellenhintergrundsstrahlung zu nutzen, die durch das
Auseinanderreißen der Materiestrukturen durch die beschleunigte
Expansion des heutigen Universums entstehen. Voraussichtlich im Jahr
2009 wird die Planck-Surveyor Satellitenmission diese Schwankungen
genauer vermessen. Die Messdaten sollen dann mit den Vorhersagen
verglichen werden, um die Beschleunigung der kosmische Expansion
genauer zu bestimmen.
Zwar sind die kosmographischen Karten für rein wissenschaftliche
Zwecke gedacht, sollte sich doch wider erwarten ein Reisender finden,
der anhand des neuen Kartenmaterials durch das Universum navigieren
möchte, wünscht das Kosmographie-Team ihm jedenfalls
für die nächsten Jahrmillionen eine angenehme Reise.
Franciso S. Kitaura, Jens Jasche, Cheng Li, Torsten A. Enßlin
Weitere Mitglieder des Kosmographie-Teams:
Ben Metcalf, Gerard Lemson, Benjamin D. Wandelt, Jérémy Blaizot
Beteiligte Institutionenen:
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching (JJ, FSK, CL, TAE, SDMW, JB, BM)
Max-Planck-Institut für Extraterrestische Physik, Garching (GL)
Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati di Trieste (FSK)
Université de Lyon (JB)
University of Illinois at Urbana-Champaign (BDW)
Veröffentlichung
Die kosmographische Karte basiert auf der in follgender Publikation
beschriebenen Methode:
F.S. Kitaura & T.A. Enßlin,
"Bayesian reconstruction of the cosmological
large-scale structure: methodology, inverse algorithms and numerical
optimization", 2008,
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
Volume 389, Issue 2, pp. 497-544.
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