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Abb. 1:
Mit einem Radioteleskop sollte es möglich sein, Bilder von
Wasserstoffgaswolken einige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall zu
machen. Mit Optischen Teleskopen kann man hingegen Bilder von den
Galaxien aufnehmen, die sich einige Milliarden Jahre später aus
den Gaswolken gebildet haben. In dem man die Verzerrungen in den
Bildern misst, welche durch die Schwerkraft der Materie zwischen uns
und den Lichtquellen hervorgerufen wird, kann man die gesamte
Vordergrundmasse kartografieren.
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Abb. 2:
Massenverteilung in einem Himmelsgebiet mit einer Fläche von etwa
einem Viertel der Fläche des Vollmonds. Diese Bilder wurden von
Stefan Hilbert, Doktorand am MPI für Astrophysik, mit Hilfe der
Millennium Simulation erstellt, der größten jemals
durchgeführten Computersimulation zur Strukturbildung im
Kosmos. Die obere Abbildung zeigt eine Massenkarte, wie sie mit einem
100 km großen Radioteleskop aus den gravitativ verzerrten
Bildern prägalaktischer Strukturen angefertigt werden
könnte. Die untere Abbildung zeigt, wie der gleiche
Himmelsausschnitt auf einer Karte aussähe, für die mit einem
optischen Weltraumteleskop die Bildverzerrungen von fernen Galaxien
gemessen wurden. (Um die Strukturen besser zu sehen, wurde in der
zweiten Abbildung der Kontrast verdreifacht.)
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Das Licht von weit entfernten Quellen wird auf dem Weg zu uns durch
die Schwerkraft von nahe gelegenen Objekten leicht abgelenkt. Dieser
Effekt wurde erstmals 1919 am Licht von Sternen nachgewiesen, welches
ganz nah an der Sonne vorbei flog. Dabei zeigte die beobachtete
Ablenkung, dass Einsteins Gravitationstheorie eine bessere
Beschreibung der Wirklichkeit liefert als Newtons. Die gravitative
Lichtablenkung bewirkt eine messbare Verzerrung in den Bildern
entfernter Galaxien vergleichbar der Verzerrung einer entfernten
Landschaft, die man durch eine schlechte Fensterscheibe oder als
Spiegelung auf einer gekräuselten Teichoberfläche sieht. Die
Stärke der Verzerrung kann man dazu benutzen, die Stärke der
Gravitation und damit die Masse der Objekte im Vordergrund zu
messen. Hat man die Bildverzerrungen von ausreichend vielen entfernten
Galaxien zur Verfügung, so kann man eine Karte von der Verteilung
der Materie im Vordergrund erstellen.
Diese Technik lieferte bereits
recht genaue Werte für die typische mit Vordergrundgalaxien
assoziierte Masse wie auch für die Massenverteilung einiger
großer Galaxienhaufen. Dennoch unterliegt diese Technik einigen
grundlegenden Beschränkungen. Selbst mit einem großen
Weltraumteleskop kann man nur eine begrenzte Anzahl an
Hintergundgalaxien beobachten, etwa bis zu 100 000 in einem Bereich so
groß wie der Vollmond. Um das Signal der gravitativen
Bildverzerrung zu bestimmen, müssen Messungen von circa 200
Hintergrundgalaxien gemittelt werden. Somit ist die kleinste
Fläche, auf der man die Masse ermitteln kann, etwa 0.2 % der
Fläche des Vollmonds. Die daraus entstehenden Karten sind
allerdings für die meisten Zwecke zu grob und zu verschwommen. So
kann man auf ihnen zum Beispiel nur die allergrößten
Strukturen - also die größten Galaxienhaufen - mit einiger
Sicherheit ausmachen. Ein weiteres Problem ist, dass viele der
Materiestrukturen, welche man abbilden möchte, weiter weg sind,
als die meisten Galaxien, deren Bildverzerrung man messen kann. Das
heißt, dass die Bilder der näheren Galaxien unbeeinflusst
von der Gravitation der weiter entfernten Massen bleiben. Um ein
scharfes Bild der gesamten Materie in einer bestimmten Richtung zu
bekommen, benötigt man also viel mehr und viel weiter entfernte
Lichtquellen. Die MPA-Wissenschaftler Ben Metcalf und Simon White
haben nachgewiesen, dass Radiowellen aus der Zeit, bevor Galaxien
entstanden sind, solche Quellen bieten.
Etwa 400 000 Jahre nach dem Urknall hatte sich das Universum soweit
abgekühlt, dass sich praktisch die gesamte gewöhnliche
Materie in ein diffuses nahezu homogenes neutrales Gas aus Wasserstoff
und Helium verwandelt hatte. Ein paar 100 Millionen Jahre später
hatte die Gravitation die anfangs geringen Inhomogenitäten soweit
verstärkt, dass sich daraus die ersten Sterne und Galaxien
bildeten. Deren UV-Licht erhitzte daraufhin das Wasserstoffgas
wieder. Während dieser Zeit war das Gas nicht im
thermodynamischen Gleichgewicht mit der vom Urknall
zurückgelassenen Hintergrundstrahlung. Also muss das
Wasserstoffgas elektromagnetische Strahlung ausgesandt oder absorbiert
haben, insbesondere Radiowellen mit einer Wellenlänge von 21
cm. Aufgrund der Ausdehnung des Universums hat diese Strahlung heute
Wellenlängen zwischen zwei und zwanzig Metern. Mehrere
Niederfrequenz-Radioteleskope befinden sich derzeit im Bau, um diese
Strahlung zu suchen. Eines der am weitesten gediehenen Projekte ist
das Low Frequency Array (LOFAR) in den Niederlanden, das aus Tausenden
kleiner über ein leistungsstarkes Netzwerk verbundener
Radioantennen bestehen soll. Das Max-Planck-Institut für
Astrophysik plant zusammen mit anderen deutschen Instituten, bei
diesem Projekt eine wichtige Rolle zu übernehmen.
Das prägalaktische Wasserstoffgas besitzt Strukturen
verschiedenster Größe, aus denen sich später Galaxien
bilden. In jeder Blickrichtung findet man bis zu tausend solcher
Strukturen in unterschiedlicher Entfernung. Ein Radioteleskop kann die
verschiedenen Strukturen entlang einer Blickrichtung auseinander
halten, da deren unterschiedliche Entfernungen Signale mit
unterschiedlichen beobachteten Wellenlängen hervorrufen. Metcalf
und White haben gezeigt, dass die gravitative Bildverzerrung dieser
Strukturen dazu benutzt werden kann, Karten der kosmischen
Materieverteilung zu erstellen, die eine mehr als zwanzig mal
höhere Auflösung besitzen als die besten mit Hilfe von
Galaxien erstellten Karten. Ein Objekt der Masse unserer
Milchstraße könnte man somit bis zu einer Zeit
aufspüren, als das Universum nur ein Zwanzigstel so alt war wie
heute. Solche hochauflösenden Bilder erfordern ein sehr
großes Radioteleskop: z. B. ein dicht mit Radioantennen
bestücktes Gebiet von etwa 100 km Durchmesser. Dies wäre
zwar hundert mal so groß wie der geplante Zentralteil von LOFAR,
und etwa zwanzig mal so groß wie der Kern des Square Kilometer
Array (SKA), der größten derzeit diskutierten Anlage. Solch
ein Riesenteleskop könnte jedoch eine Karte von der Verteilung
der gesamten schweren Masse im Universum liefern. Diese Karte
wäre ein Vergleichsmaßstab für alle mit anderen
Teleskopen aufgenommenen Bilder, auf denen nur jener winzige Bruchteil
der Materie zu sehen wäre, der für das verwendete Teleskop
sichtbare Strahlung aussendet.
Um mit der neuen Technik Spitzenergebnisse zu erzielen, müssen
wir allerdings nicht auf solch ein Riesenteleskop warten. Eine der
dringendsten Fragen der aktuellen Physik betrifft die mysteriöse
Dunkle Energie, welche die gegenwärtige Ausdehnung des Universums
beschleunigt. Metcalf und White haben gezeigt, dass man mit einer
Massenkarte, die von einem Teleskop wie dem SKA für einen
Großteil des Himmels erstellt wurde, die Eigenschaften der
Dunklen Energie genauer bestimmen kann, als mit jeder anderen bisher
vorgeschlagenen Methode. Die Ergebnisse wären z. B. zehn mal
genauer als solche, die man von einer vergleichbar große Karte
der mit einem Weltraumteleskop gemessenen gravitativen Verzerrungen
optischer Galaxienbilder erwarten würde.
(Simon White, Ben Metcalf)
Publikation
R. Benton Metcalf & S.D.M. White:
"High-resolution imaging of the cosmic mass
distribution from gravitational lensing of pregalactic HI",
submitted to MNRAS, preprint available at
astro-ph/0611862
Kontakt
Prof. Simon White, Max-Planck-Institut für Astrophysik,
Tel. 089/30000 2211, E-mail: swhite mpa-garching.mpg.de
Dr. Ben Metcalf, Max-Planck-Institut für Astrophysik,
Tel. 089/30000 2014, E-mail: bmetcalf mpa-garching.mpg.de
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