Intergalaktische Wetterstation meldet Stoßfront
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Eine gigantische Stoßfront, wie sie bislang nur innerhalb von
Galaxienhaufen beobachtet wurde, haben Forscher der
Max-Planck-Gesellschaft erstmals auch in einem weit
größeren Galaxienfilament aufgezeigt. Den entscheidenden
Hinweis lieferte dem internationalen Team unter Leitung der
Max-Planck-Institute für Astrophysik (Garching) und
für Radioastronomie (Bonn) eine ungewöhnlich geformte
Radiogalaxie, die kurz zuvor bei mehreren Radiofrequenzen beobachtet
und kartographiert worden war. Radiogalaxien werfen
gewaltige Mengen von Radiostrahlung emittierendem Gas aus, das eine
Vielzahl von Formen annehmen kann. Diese Formen werden, ähnlich
wie Rauchfahnen in der irdischen Atmosphäre, stark von den
vorherrschenden externen "Wetterbedingungen" geprägt und eignen
sich daher als "Wetterstationen". In der vorliegenden Arbeit dienten
die ungewöhnlich geformten Auswürfe der Riesenradiogalaxie
NGC 315 inmitten des mehrere hundert Millionen Lichtjahre langen
Pisces-Perseus Galaxienfilament als Wetterstation.
Die
Radiogalaxie NGC 315 gehört mit ihren mehrere Millionen
Lichtjahre langen Gas-Auswürfen, den so genannten Jets, (siehe Abb. 1) zu den größten bekannten
Radiogalaxien. Das Gas stammt vermutlich aus der Nähe eines
supermassiven Schwarzen Lochs im Mittelpunkt der Galaxie und
fließt mit hoher Geschwindigkeit in entgegengesetzten Richtungen
in den intergalaktischen Raum, bis es durch den Widerstand des
umliegenden Gases abgebremst wird. Da sich die Auswurfsrichtungen aus
nicht vollständig geklärter Ursache drehen, ziehen die Jets
an ihren Enden zwei gigantische Spuren des Radio-Gases wie zwei
riesige Rauchfahnen hinter sich her(Abb. 1 und 2). Die westliche dieser Spuren weist allerdings
einige Besonderheiten auf: Sie ist geknickt, länger als die
andere und bei der Altersbestimmung erscheint sie an ihrem Ende
jünger als im Mittelteil. Diese Besonderheiten können durch
Kompression in einer intergalaktischen Stoßfront erklärt
werden: Die Stauchung in der Stoßfront erzeugt den Knick. Das
Radiogas am Ende der Spur wird durch die Kompression wieder zum
Leuchten gebracht und erscheint damit wesentlich jünger.
Zum
heutigen Zeitpunkt - so das angenommene Szenario - stürzt die
Galaxie NGC 315 zusammen mit dem sie umgebenden intergalaktischen Gas
in eine Stoßfront hinein. Jedoch hat bisher nur der
vorauseilende, westliche Teil des Radiogases die Stoßfront
passiert (Abb. 2) und zeigt daher die
beobachteten Besonderheiten. Eine Untersuchung der Galaxienverteilung
um NGC 315 zeigt, dass die Riesengalaxie an einer Stelle im
Pisces-Perseus-Galaxienfilament befindet, an der mehrere
Unterfilamente auf das Hauptfilament treffen (Abb. 3 und 4). Dort erwartet man
- entsprechend den Ergebnissen von Simulationen und der Analyse der
Galaxienverteilung - dass Gas auf Grund der
Gravitationsanziehungskraft mit einer Geschwindigkeit von einigen
Hundert km/s auf das Hauptfilament prallt und dabei
stoßkomprimiert wird. Die besondere Form von NGC 315 stützt
damit Simulationen der Entstehung von kosmischen Strukturen wie
Galaxienfilamenten und Galaxienhaufen und könnte der erste
Beobachtungsnachweis sein, dass Stoßfronten auch innerhalb von
Galaxienfilamenten vorkommen.
Gigantische Stoßfronten sind
die primäre Wärmequelle des intergalaktischen Gases. Sie
erlauben dessen noch unbekannte entropische Vergangenheit zu
vermessen. Sie wurden vorgeschlagen als mögliche
Geburtsstätten von intergalaktischen Magnetfeldern, von
ultra-hochenergetischer kosmischer Strahlung sowie auch als ein
möglicher Ursprung des diffusen Gammastrahlungshintergrundes. Vor
dieser Arbeit waren Stoßfronten nur innerhalb von Galaxienhaufen
anhand von Temperaturstrukturen oder durch Radioemission
von stoßbeschleunigten Elektronen detektiert. Die hier
vorgestellte Stoßfront sitzt in einem Galaxienfilament und damit
in einer Struktur, die 10-100 mal größer als ein
Galaxienhaufen ist und eine um mehrere Größenordnungen
geringere Gasdichte besitzt.
Torsten
Enßlin
Abbildung
1: Radiokarte der Riesenradiogalaxie NGC 315. |
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Die Position der Galaxie NGC 315 ist mit einem Kreuz markiert. Aus
dem Zentrum der Galaxie strömen in entgegengesetzte Richtung zwei
radioleuchtende Gasstrahlen (so genannte `Jets') heraus, die nach einigen
Millionen Lichtjahren durch den Aufprall auf ein dünnes intergalaktisches
Gas abgestoppt werden. Das abgestoppte Radiogas lagert sich in zwei Spuren
ab, die die Drehung der Jetrichtungen während der letzten hundert
Jahrmillionen nachzeichnen. Die westliche Spur (rechts) ist dabei wesentlich
länger, zeigt einen Knick und erscheint wesentlich `frischer' als
die östliche Spur (links). Das Alter des Radiogases können Experten
an dem farbkodierten Spektralindex ablesen. Diese Besonderheiten deuten
auf eine Stoßfront in dem das Radiogas umgebenden intergalaktischen Gas
hin. |
Abbildung
2: Vorgeschlagenes Szenario |
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Die Radiogalaxie NGC 315 fällt, zusammen mit dem sie umgebenden
intergalaktischen Gas, in eine Stoßfront hinein (links). Dabei wird älteres
nun unsichtbares Radiogas durch die Kompression in der Stoßfront wieder
zur Radioemission angeregt, was die morphologischen Besonderheiten der
westlichen Radiospur von NGC 315 erklären kann (rechts). |
Abbildung
3: Pisces-Perseus Galaxienfilament |
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Galaxienverteilung im Pisces-Perseus Galaxienfilament. Jedes Kreuz
entspricht der Position einer Galaxie in der Himmelsansicht (oben) und
in der Aufsicht im so genannten Rotverschiebungsraum (unten). NGC 315 ist
als rotes Dreieck markiert. Die Galaxien verschiedener Unterfilamente,
die nahe NGC 315 auf das Hauptfilament treffen, sind farbig markiert. Der
Entfernungen sind in Einheiten von Megaparsec (ca. 3 Millionen Lichtjahren)
gegeben. |
Abbildung
4: Simulierte kosmische Umgebung |
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Simulierte Materieverteilung im `lokalen' Universum, gezeigt in
einem Ausschnitt von 520 Millionen Lichtjahren Kantenlänge und 100
Millionen Lichtjahren Tiefe. Die Positionen von unserer Galaxie, mehrerer
naher Galaxienhaufen, des Pisces-Perseus Galaxienfilaments und von NGC
315 sind markiert. Details der zugrundeliegenden Simulation können
hier
gefunden werden. |
Weitere Informationen:
-
Jack O. Burns,
Stormy
Weather in Galaxy Clusters,
Science, Vol. 280, 400 (1998)
-
Torsten A. Enßlin, Patrick Simon, Peter L. Biermann,
Ulrich Klein, Sven Kohle, Philipp P. Kronberg, Karl-Heinz Mack,
Signatures
in a Giant Radio Galaxy of a Cosmological Shock Wave at Intersecting Filaments
of Galaxies,
Astrophysical Journal Letters, 549, L39 (2001)
Last modified: Tue Feb 22 17:42:21 2002
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