Selbst-wechselwirkende dunkle Materie und die Entstehung von Strukturen im Universum

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coma-cluster Abbildung 1:
Der Coma Galaxienhaufen (im sichtbaren Licht).

Schon 1933 beobachtete Fritz Zwicky im Coma Galaxienhaufen einen großen Unterschied zwischen der Summe der Masse der einzelnen Galaxien und der Masse, die vorhanden sein muß, um die Bewegung dieser Galaxien aufgrund der Gravitation erklären zu können. Damit konnte er zeigen, dass ein Großteil der Materie in Galaxienhaufen in einer unsichtbaren unbekannten Form vorliegt - der dunklen Materie. Nun, fast siebzig Jahre später, wurde diese Beobachtung in vielen anderen Galaxienhaufen bestätigt. Es gilt weitgehend als bewiesen, dass ein Großteil der Materie in unserem Universum aus dieser dunklen Materie besteht, welche bisher nur aufgrund ihrer Gravitationswechselwirkung beobachtet werden konnte. Gängige Modelle der Strukturentstehung im Universum gehen davon aus, dass die dunkle Materie aus einer Unmenge von freien Elementarteilchen besteht, die als kollisionsfrei betrachtet werden. Damit ist gemeint, dass sie nur durch Gravitation mit sich und der übrigen Materie interagieren. Kürzlich haben die Wissenschaftler David Spergel und Paul Steinhardt aus Princeton ein alternatives Modell für die Eigenschaften der dunklen Materie veröffentlicht. In diesem Modell kollidieren die Teilchen der dunklen Materie gelegentlich (ähnlich wie Billardkugeln) während sie sich durch den Galaxienhaufen bewegen. Spergel und Steinhardt argumentierten dabei, dass dieses Modell mit der beobachteten Menge an dunkler Materie in den Zentren von Zwerggalaxien besser übereinstimmt als das der kollisionsfreien Teilchen.

Abbildung 2: Darstellungen der Verteilung der dunklen Materie in unseren Simulationen. Die obere Bilderreihe zeigt einen Ausschnitt von 50 Millionen Lichtjahren, während die unteren Abbildungen jeweils eine Vergrößerung des zentralen Bereichs zeigen. In der linken Simulation wurde ein kollisionsfreies Modell für die dunkle Materie verwendet. In der mittleren Simulation haben die Teilchen der dunklen Materie nahe dem Zentrum ungefähr zehn Kollisionen während der Zeitspanne, in der sich das Universum entwickelt, in der rechten Simulation sogar 100. Deutlich ist zu erkennen, dass die Form und Konzentration der Materie in den Galaxienhaufen von den Teilchenkollisionen beeinflusst wird.

Angeregt von dieser Idee haben wir am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA), zusammen mit unseren Kollegen, kürzlich sehr aufwendige Computersimulationen durchgefürt, um herauszufinden, wie derartige elastische Kollisionen zwischen den Teilchen der dunklen Materie die beobachtbare Struktur von Galaxienhaufen beeinflussen. Diese Berechnungen wurden auf dem Cray T3E Großrechner im Rechenzentrum (RZG) der Max-Planck Gesellschaft in Garching mit einer modifizierten Version des parallelisierten Simulationsprogramms GADGET durchgefürt. Es wurden für eine ganze Reihe von verschiedenen Streuwahrscheinlichkeiten Simulationen gerechnet. Diese wurden dabei so gewählt, dass die Teilchen der dunklen Materie im Zentrum der Galaxienhaufen während der Zeitspanne, in der sich das Universum entwickelt, wenige, einige zehn, hundert oder sogar einige tausend Kollisionen haben. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, beeinflussen die Kollisionen der Teilchen deutlich die Struktur des gebildeten Galaxienhaufens. Mehr Kollisionen führen im Allgemeinen zu runderen und weniger konzentrierten Galaxienhaufen.

Abell2218 Abbildung 3:
Bild des Weltraumteleskops Hubble von Abell 2218. Es sind viele große Bögen zu sehen.

Da die dunkle Materie in Galaxienhaufen nicht direkt beobachtet werden kann, ist der Gravitationslinseneffekts der direkteste Weg, etwas über die Eigenschaften der dunklen Materie zu erfahren. Bilder von Galaxien, die weit hinter dem Galaxienhaufen liegen, werden, wenn sie auf dem Weg in unsere Teleskope in den Galaxienhaufen den gewaltigen Gravitationskräften ausgesetzt sind, zu großen Bögen verzerrt. Die Form und Position derartiger Bögen lässt detaillierte Rückschlüsse auf die Verteilung der Materie in den Zentren von Galaxienhaufen zu. Dies kann dazu benutzt werden, festzustellen, welcher - falls überhaupt einer - der simulierten Galaxienhaufen mit den Beobachtungen übereinstimmt. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in Padova (siehe Referenzen an Ende) wurden die simulierten Galaxienhaufen auf ihre Eigenschaften als Gravitationslinsen hin untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass große Bögen, wie sie in A2218 zu sehen sind, nur dann reproduziert werden können, wenn die Teilchen der dunklen Materie nur sehr selten kollidieren. Schon wenige Kollisionen im Laufe der Entwicklung des Universums sind genug, um die Wirksamkeit der Galaxienhaufen als Gravitationslinsen so stark zu reduzieren, dass sie derart eindrucksvolle Bögen, wie sie beobachtet werden, nicht mehr produzieren können. Damit bietet der Gravitationslinseneffekt nicht nur eine Möglichkeit, bestimmte intrinsische Eigenschaften der dunklen Materie zu limitieren, sondern sogar zu messen.


Naoki Yoshida und Simon White




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Last modified: Tue Nov 28 13:19:02 MET 2000
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