"Deep Impact" aus dem extragalaktischen Raum: Reste einer zertrümmerten Galaxie im Hinterhof der Sonne entdeckt

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Nahegelegene Überreste einer längst verschwundenen Galaxie haben Astronomen von der Sternwarte Leiden und vom Max-Planck-Institut für Astrophysik bei der Auswertung von Daten des Hipparcos- Satelliten der Europäischen Weltraumagentur ESA gefunden (Nature, 4 November 1999).

Die Kometenüberreste, die anscheinend die Dinosaurier vernichtet haben, schlugen sich als eine dünne Schicht iridiumreichen Staubs auf deren versteinerten Knochen nieder. Auf dieselbe Weise können Überreste einer Zwerggalaxie, die durch einen Zusammenstoß mit unserer eigenen Galaxie zerstört wurde, sich als Ströme übriggebliebener Sterne um die Milchstraße wickeln. Wie sollten solche Ströme aussehen und wie kann man sie aufspüren? Computersimulationen von Galaxienkollisionen bieten einige Antworten.

Danach sollten sich selbst Galaxien, die bereits in der Kindheit der Milchstrasse zerstört wurden, noch als gespenstische Ströme von Sternen, die auf nahezu parallelen Umlaufbahnen kreisen, nachweisen lassen. Theoretische Ergebnisse ermutigten das Team aus Leidener und Garchinger Astronomen, nach solchen Restströmen zu suchen. Dies führte zur Entdeckung zweier nahegelegener Ströme, die offensichtlich die Überreste einer einzigen Zwerggalaxie sind, die durch die Schwerkraft der Milchstrasse vor etwa 10 Milliarden Jahren in Trümmer gerissen wurde.

Zwischen 1989 und 1993 hat der Satellit Hipparcos der Europäischen Weltraumorganisation ESA die Standorte, Entfernungen und Bewegungen von hunderttausenden von Sternen gemessen. Die aus den Messungen entstandenen und im Jahr 1997 publizierten Kataloge liefern eine einzigartige Gelegenheit, nach Sternströmen zu suchen. Durch das genaue Studium dieser Kataloge gelang es, eine nahezu vollständige Zählung der alten Riesensterne innerhalb einiger tausend Lichtjahre um die Sonne durchzuführen. (Zum Vergleich dazu mißt unsere Milchstrasse als Ganzes ungefähr 50,000 Lichtjahre im Durchmesser.) Bereits zuvor waren diese Riesensterne mit erdgestützten Teleskopen beobachtet und dabei festgestellt worden, daß die Sterne um über das Dreißigfache weniger Eisen und Magnesium als die Sonne enthielten - ein sicheres Zeichen dafür, daß sie zu den ältesten Sternen der Milchstraße gehören. Diese Beobachtungen haben auch gezeigt, wie schnell sich jeder Stern von der Sonne entfernt. Hipparcos andererseits hat Änderungen in der scheinbaren Richtung zu jedem Stern aufgezeichnet und damit festgestellt, wie schnell er sich quer zur Blickrichtung bewegt. Kombinationen dieser Daten legten die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit von einigen hundert nahegelegenen Riesensternen fest.

Bild: Das obere Bild ist eine Aufnahme des Himmels, die das DIRBE-Instrument auf dem Cosmic-Background-Explorer-Satelliten COBE der NASA aufgenommen hat. Bei den Wellenlängen, die für dieses Bild gewählt wurden, hebt sich unsere eigene Galaxie, die Milchstraße, sehr schön hervor und sieht ganz ähnlich aus wie eine entfernte Galaxie von der Seite.
Das mittlere Bild zeigt eine Computersimulation der Zerstörung einer Zwerggalaxie, die so angelegt wurde, dass sie der kürzlich entdeckten Galaxie im Sternbild Schütze entspricht, die gerade zerrissen wird. Sterne der Zwerggalaxie finden sich um den ganzen Himmel herum, aber sie sind auf ein schmales Band parallel zur Umlaufbahn der Galaxie beschränkt. Das schwarze Gebiet zeigt den Überrest der Galaxie.
Das untere Bild schließlich zeigt eine Computersimulation der Bruchstücke einer Zwerggalaxie, die in der Kindheit der Milchstraße zerstört wurde. Diese Simulation wurde so angelegt, dass sie Sternströme ähnlich denen erzeugte, die das Leidener und Garchinger Team entdeckte. Sterne sind am gesamten Himmel verteilt und bilden keine wahrnehmbaren Muster mehr. Die Struktur des Systems enthüllt sich erst, wenn die Bewegungen und Entfernungen der Sterne gemessen werden. Sie liegen alle auf Bändern, die vielmals um die Milchstraße gewunden sind, wobei sich die Sterne nahe irgendeinem Punkt auf einem der Bänder alle auf nahezu parallelen Bahnen bewegen.

Bei der Analyse dieser Beobachtungen fiel dem Leidener & Garchinger Team auf, daß sich die meisten Sterne in scheinbar zufälligen Richtungen bewegen, zwei kleine Gruppen von Sternen sich aber gemeinsam bewegen. Eine Gruppe von neun Sternen folgt nahezu parallelen Umlaufbahnen, die die Milchstraßenscheibe in hoher Geschwindigkeit von Nord nach Süd durchquert. Eine zweite Gruppe von drei Sternen folgt Umlaufbahnen, die die Scheibe mit derselben Geschwindigkeit und unter demselben Winkel durchqueren, aber von Süd nach Nord. In beiden Fällen unterscheidet sich die Richtung und die Bewegungsgeschwindigkeit deutlich von denen der anderen nahegelegenen Riesensterne. Aus dem Vergleich mit ihren veröffentlichten Computersimulationen schloß das Team, daß jede Gruppe von Sternen Teil eines Reststroms ist und daß beide Ströme von einer einzigen Zwerggalaxie herrühren, die von der Schwerkraft der Milchstraße während deren eigener Entstehung oder kurz danach auseinandergerissen wurde. Die für diese Zwergalaxie abgeleiteten Merkmale lassen sie ähnlich erscheinen wie die anderen kleinen Galaxien, die noch in den Außenbereichen des Milchstrassensystems überlebt haben, und auch ähnlich wie die kürzlich entdeckte Sagittarius-Zwerggalaxie, die gerade von der Milchstrasse zerrissen wird. Die Sterne in den einzelnen Gruppen sind über den ganzen Himmel verteilt, obwohl sie sich parallel bewegen, was zeigt, daß sich die Sonne tatsächlich innerhalb der beiden Restströme befindet.

Die tiefere Bedeutung dieser Entdeckung mag in ihren Annahmen zur Entstehung der Milchstrasse liegen. Unsere Galaxie hat zwei wichtige Komponenten. Eine ist eine stark abgeflachte Scheibe, in der Gas und Sterne um das galaktische Zentrum kreisen ähnlich wie die Planeten um die Sonne. Die andere ist fast kugelförmig und besteht ausschließlich aus alten Sternen, die sich in fast willkürlichen Richtungen bewegen so wie Bienen in einem Schwarm. Die nunmehr untersuchten Riesensterne sind nahegelegene Mitglieder dieser zweiten Population. Die meisten Astronomen stimmen darin überein, daß die Scheibe langsam gewachsen ist, als sich das Gas auf Kreisbahnen festsetzte und sich in Sterne umgewandelt hat. Es herrscht jedoch keine Übereinstimmung darüber, wie sich die ältere Komponente angesammelt hat. Die frühere Vorstellung, daß sie sich durch den schnellen Kollaps einer einzigen massereichen Gaswolke gebildet hat, wird durch neue Theorien in Frage gestellt, die vorschlagen, daß sie durch die Vermischung von bereits existierenden kleineren Galaxien hervorgerufen wurde. In den letzten Jahren wurden Galaxien in solch enormen Entfernungen entdeckt, daß man sie nicht so sieht, wie sie heute wären, sondern so, wie sie waren als sie jung waren. Diese entfernten Galaxien sind tatsächlich viel kleiner als ältere und nähergelegene Systeme. Sie könnten vielleicht die Bausteine der nahezu sphärischen Komponente der Milchstrasse sein. Die gespenstischen Ströme, die von dem Leidener & Garchinger Team entdeckt wurden, könnten die ersten fossilen Beweise dafür sein, daß unsere eigene Galaxie aus solchen Stücken zusammengesetzt wurde.

Aus der Pressemitteilung der MPG





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Last modified: Mon Mar 27 18:48:28 MDT 2000 by Markus Rampp
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